Die Tomaten vom Bauern im Umland, der Kaffee fair gehandelt und das Steak vom Bio-Metzger. Deutschland hat die Nachhaltigkeit für sich entdeckt. Und während beim Wochenendeinkauf seit Jahren immer häufiger Bio-Produkte oder solche aus regionalem Anbau in die Einkaufstüte wandern, landet die immer häufiger im Kofferraum eines SUV. Die stehen aber so gar nicht für ökologisches Handeln, sondern gelten als Treibstoffschlucker. Ein Widerspruch.
Rekord beim Verkauf der sportlichen Geländewagen
Einer, der sich in den kommenden Jahren noch verstärken wird. Laut einer Studie des CAR-Center Automotive Research an der Universität Duisburg-Essen unter Leitung von Ferdinand Dudenhöffer, wurde 2015 ein neuer Rekord beim Verkauf der sportlichen Geländewagen (SUV) in Deutschland erreicht. Und auch 2016 dürfte der Trend zur imposanten Mischung aus Limousine und Geländewagen weitergehen. Die Deutschen scheinen Gefallen an dem Fahrzeugtyp gefunden zu haben. Das haben auch die Autobauer erkannt, die immer neue Modelle auf den Markt bringen. Doch warum braucht es in einem Land mit intaktem Straßennetz und ohne größere Wildnis eigentlich Geländewagen?
573.040 SUV wurden in den ersten elf Monaten des laufenden Jahres neu zugelassen, so die Studie des CAR-Center Automotive Research. Zum Vergleich: 2014 waren es rund 550.890, im Jahr 2010 gerade einmal 332.730 SUV-Zulassungen. Für das Gesamtjahr geht die Studie für 2015 mit rund 617.000 und einem Marktanteil von 19,4 Prozent aus. Ein Trend, der sich fortsetzen dürfte: 2016 erwartet das Forschungsinstitut schon 665.000 Neuzulassungen und einen SUV-Anteil von 21 Prozent am Markt. In den USA sei mehr als die Hälfte der Neuwagen die sogenannten „Light Commercials“, bei denen die SUV die Spitzenstellung einnahmen. Bei den Schweizern liege der SUV-Marktanteil bereits bei rund 40 Prozent, so die Studie.
Mythos SUV: Sicherheit und Aktivität
Umweltschonend ist dieser Trend keineswegs: Wie die Studie vorrechnet, brauchen SUV etwa 25 Prozent mehr Treibstoff als konventionelle Limousinen der gleichen Größe. Zudem würden mehr als 60 Prozent von Dieselmotoren betrieben, die mehr Stickoxide freisetzen als etwa Benzinmotoren. Laut einer Erhebung von IFAK, Ipsos und Media Markt Analysen aus dem Jahr 2014 sind es gerade die höheren Einkommensgruppen, die die Wichtigkeit von sozial und ökologisch verantwortlichem Unternehmenshandeln als Kaufkriterium höher einschätzen. Der SUV gehört nicht zu den unteren Preisklassen im Automobilmarkt.
Warum also verkauft sich das Modell so gut? Für Dirk Ziems, Managing Partner beim Beratungs- und Forschungsinstitut Concept M, geht es beim Mythos SUV um das besondere Aktivitätsversprechen und ein besonderes Sicherheitsgefühl: „Mit dem SUV kauft man sich die Option ein, in schwergängigem Gelände auch ohne vorgegebene Bahnen durchzukommen und sich durchzusetzen. Auch wenn diese Option nur einen symbolischen, für die Fahrpraxis gar nicht relevanter Wert hat, so ist sie auf unbewusster Ebene psychologisch hoch wirksam.“ Im Angesicht einer undurchschaubaren und vielfach bedrohlich erlebten Welt, habe man im SUV das Gefühl, dem Leben gewachsen zu sein, meint Ziems: „In dem SUV kann mir nichts etwas anhaben, ich komme sicher durch.“ Vielfach sei der Wechsel zum SUV auch als ein Upgrade der Mittelschichtkäufer zu verstehen, der sie in eine unangreifbare Position bringe, erklärt der Markenstratege: „Der SUV scheint so auch die latenten Abstiegsängste der Mittelschichten zu bearbeiten.“
Und der Boom dürfte weitergehen
Billiger Treibstoff und ein noch breiteres SUV-Angebot machen es möglich, so die Studie des CAR-Centers. Während 2015 Modelle wie der Fiat 500X, Porsche Macan oder den BMW X4 dem Segment kräftig Schub gaben, ist auch für 2016 SUV-Nachwuchs zu erwarten: 22 neue SUV-Modelle werden nachgelegt. Davon haben 14 keine Vorgängermodelle und erweitern somit das Angebot. Der Profit winkt: Auch Marken, die bisher ohne höhergelegte Limousine auskamen, wollen jetzt einen Teil vom Geländewagen-Boom abhaben. 2016 werden erstmals auch Alfa Romeo, Bentley, Jaguar, Seat und Tesla einen SUV auf den Markt bringen. In Zukunft dürften also mehr SUV vor Deutschlands Biomärkten parken.