VDZ-Chef Scherzer hat den Mediaagenturen kürzlich „Print-Blindheit“ vorgeworfen. Zu Recht?
BERNHARD WILLER: Ja, dieser Eindruck verdichtet sich. Bei den großen Etats geht es den Agenturen in erster Linie darum, den besten Deal zu planen – anstatt den besten Plan zu kaufen. Das hat immense Auswirkungen auf die Planungsqualität. Faustregel: Je höher die Qualität, desto mehr Print, desto weniger Income für die Agentur. Das ist ein sehr deutlicher Wettbewerbsnachteil für Print.
Und welche Medien profitieren von dieser Situation?
WILLER: Die TV-Sender haben es bis heute brillant verstanden, die Mediaagenturen an den Tropf zu hängen. Ohne Fernsehen könnten Mediaagenturen ihre 25- bis 35-prozentigen Margen gar nicht abliefern. Hier geht es um das große Geld. TV hat für eine Mediaagentur immer noch die höchste Profitabilität. Wer hier noch von Planungsneutralität einer Mediaagentur spricht, ist naiv.
Die Agenturen argumentieren anders.
WILLER: Ja, mit Effizienz, ich weiß. Effizienz wird dann sehr schnell mit der dritten Kommastelle im TKP verwechselt. So werden leider immer noch Pitches gewonnen. Nehmen wir das Beispiel Daimler und den Etatwechsel von MEC zu Publicis, der erst kürzlich durch die Fachpresse ging. „Noch stärkere Effizienz bei der Mediaplanung“ wurde als einer der Gründe für den Agenturwechsel genannt. Übersetzt für mich heißt das nichts anderes als Konditionendrücken. Die Zeche zahlen die Vermarkter – und letztlich die Kunden, denn sie bekommen von ihrer Agentur nicht den Mediaplan mit der optimalen Wirkung vorgeschlagen, sondern den mit dem besten Ertrag für die Agentur.
Wie wollen Sie dagegen tun?
WILLER: Mein Appell: Wir müssen das Thema Werbewirkung noch viel stärker in den Fokus rücken. Wirkung ist die neue Leitwährung! Die OWM fordert das mit immer größerem Nachdruck. Zu Recht.
Verlage haben in jüngster Zeit mehrfach Vermarktungsbündnisse geschmiedet, um schlagkräftiger zu werden und im direkten Wettbewerb mit TV zu punkten. Wird das die Verhandlungsposition gegenüber Agenturen stärken?
WILLER: Das hat sicher hier und da einen Vorteil, weil die Angebotspakete interessanter werden und die kreativen Möglichkeiten wachsen. Aber ein echter Verhandlungsvorteil gegenüber den Agenturen erwächst daraus nicht.
Digitale Werbung hat viele Vorteile: Sie kann dank ausgefeilter Technik sekundenschnell Anbieter und Nachfrager zusammenbringen, Kontakte und Transaktionen lassen sich unmittelbar messen, Streuverluste reduzieren. Ist es da nicht logisch, dass Print ins Hintertreffen gerät?
WILLER: Messung erscheint auf den ersten Blick immer genauer. Man erzeugt riesige Datenmengen, muss diese mit großem Aufwand verarbeiten und wiegt sich danach in Sicherheit, nun alles zu wissen. Aber das ist ein Trugschluss. Bis heute wissen wir nicht, was wirklich passiert, wenn ein TV-Werbeblock läuft. 50 Prozent der TV-Nutzungsdauer ist Nebenbei-Nutzung! Und wir wissen auch nicht, welche Displaywerbung überhaupt gesehen wird. Laut einer Studie des US-Marktforschungsunternehmens Comscore hat über die Hälfte der ausgelieferten Displaywerbung gar keine Möglichkeit, überhaupt gesehen zu werden. Und zwei Punkte werden bei der Technikfokussierung sträflich vernachlässigt: Zum einen, dass die messbare Performance einer – digitalen – Kampagne auch durch nicht unmittelbar messbare Branding-Effekte beeinflusst wird und zum anderen, dass angesichts der zunehmend divergenten Mediennutzung auch crossmediale Effekte für die Wirkung einer Kampagne eine immer wichtigere Rolle spielen. Bei einer ganzheitlichen Betrachtung wirklich aller in einer Kampagne eingesetzten Mediengattungen würde Print deutlich weniger im Abseits stehen.
Mediaagenturen haben zum Teil erheblich in Online-Technologie, also in IT-Ausstattung und Datenbanken, investiert. Entsteht da ein neuer Geschäftszweig, den sie durch Übervorteilung von digitalen Werbeträgern finanzieren?
WILLER: Ohne adäquate Software und Tools sind die riesigen Datenmengen nicht mehr sinnvoll bei der Entwicklung von Mediastrategien zu verarbeiten. Dass darüber hinaus über angebliche Veredelung wie zum Beispiel Targeting Onlinemedien präferiert werden, mit denen die Mediaagenturen ebenfalls wesentliche Einkommensteile bestreiten, nimmt nicht wirklich Wunder.
Es scheint so, als hätten sich viele Medienmanager mit den bestehenden Verhältnissen abgefunden. Die versuchen dann, durch noch mehr Zugeständnisse das für sie Beste aus dem Werbemarkt herauszuholen. Zu welcher Erkenntnis gelangen Sie?
WILLER: In der Tat ist die Abhängigkeit der Mediamanager von Income-Strömen wie etwa Trading immens. Mit den spartanischen Honoraren der Werbungtreibenden sind die von den Holdings geforderten Margen nicht zu erzielen. Diese Entwicklung ist nicht mehr umkehrbar.
Werden die Medien letztlich zwischen den Interessen von Werbungtreibenden und Agenturen zerrieben?
WILLER: Das ist in der Tat ein interessanter Aspekt. Ohne die – stillschweigende – Billigung der Werbungtreibenden wäre die Situation heute eine andere. Solange Agenturleistungen in ihrem Wert nicht ausreichend honoriert werden, bleibt den Agenturen fast gar nichts Anderes übrig, als sich das Geld woanders zu holen. Im Zweifel bei den Medien. Agenturen sind daher nicht mehr nur Mittler, sie sind heute eine eigene Wirtschaftsstufe mit eigenen wirtschaftlichen Interessen. Welche Rolle dabei die Interessen der Kunden noch spielen, bleibt dahingestellt.
Dabei sind Mediaagenturen einst als Berater von Werbungtreibenden und als Mittler zwischen ihnen und den Medien gestartet. Daraus sind Milliarden schwere Netzwerke entstanden mit einer enormen Machtposition. Muss, soll, wird sich daran etwas ändern?
WILLER: Die Mediawelt steht auf dem Kopf. Der Preis rangiert heute vor Leistung und Wirkung. Strategie und Qualität nimmt man gerne mit – aber der Preis muss stimmen! Die Umsatzkumulation bei den großen Mediaagenturen halte ich ebenfalls für irreversibel. Erstens erzeugt Marktmacht günstige Konditionen, zweitens haben die Werbungtreibenden diese Entwicklung mit zu verantworten, weil sie sich alle mit den großen Mediaagenturen ins Bett gelegt haben. Selbst engste Konkurrenten finden sich innerhalb einer Holding!
Welche realistischen Möglichkeiten gibt es, die Macht der Agenturen zu beschneiden?
WILLER: Die Macht der Media-Agenturen kann man allenfalls beschneiden, indem die Werbungtreibenden die Medien juristisch und unter Androhung von Vertragsstrafen verpflichten – erstens – jeglichen Agenturumsatz-Bonus ex ante im Fair-Share-Prinzip den Kunden zuzurechnen und – zweitens – Trading-Volumina allen Kunden öffentlich zugänglich zu machen und zu auktionieren.
Profunder Kenner des Mediadreiecks
Bernhard Willer ist seit September dieses Jahres – neben Helge-Jörg Volkenand – Geschäftsführer von AIM (Ad Impact Monitor), einer groß angelegten Forschungsinitiative zum Nachweis der Werbewirkung. Sie wird getragen von großen deutschen Publikumszeitschriften und kooperiert mit Marktpartnerorganisationen wie OMG und OWM. Vor wenigen Wochen wurde der AIM SHIFT Planner vorgestellt – ein praxisorientiertes Tool, mit dem „Werbungtreibende und Agenturen erstmals die ideale Mediamix-Zusammensetzung für eine optimale Werbewirkung ihrer Kampagnen interaktiv simulieren können“, wie die Initiative verkündet.
Willer war seit 2004 selbstständig als Inhaber seiner Medienberatung Willkom und widmete sich im Auftrag von Verlagen und Medienunternehmen vornehmlich um Vermarktungs- und Personalfragen. Der 50-Jährige, der seine Berufslaufbahn als Assistent der Geschäftsleitung bei Bauer Media begann, kennt alle Seiten des Mediadreiecks und verfügt über langjährige Erfahrung auf Unternehmens-, Medien- und Agenturseite. So war Willer bei OMD Germany als Head of Print übergeordnet für die Beratung der Mediaplanungsgruppen in allen Printfragen und die Zusammenarbeit mit den Verlagen verantwortlich, bei der Motorpresse Stuttgart arbeitete er als Leiter Anzeigenmarketing Markenartikel und bei Kraft Foods kümmerte sich der Diplom-Betriebswirt (FH) als Mediamanager unter anderem um die strategische Mediaplanung über alle Medien kümmerte.
Mehr zu den Verflechtungen und Entwicklungen bei Werbungtreibenden, Agenturen und Medien lesen Sie in der Ausgabe 12/2013 der absatzwirtschaft: www.absatzwirtschaft-shop.de