Mit der Wahrheit ist es so eine Sache. Dass etwas „klimaneutral“, „biologisch abbaubar“ oder „natural“ sei, wird gern behauptet, aber selten belegt. Das soll sich ändern, lautet ein Vorschlag der Europäischen Kommission, den vergangene Woche das Europäische Parlament gebilligt hat und über den die absatzwirtschaft berichtete. Dabei kann die Verwendung solcher Begriffe auch heute schon für irreführend und damit wettbewerbswidrig erklärt werden. Allerdings ist, wie etwa diese Übersicht einer Mainzer Anwaltskanzlei zeigt, die Rechtsprechung bislang uneinheitlich. Eine Klarstellung, was geht und was nicht, würden womöglich nicht nur Verbraucher*innen, sondern auch viele Marketer*innen begrüßen. Ein Aufschrei der Werbeindustrie über die „Green Claims“-Initiative jedenfalls blieb bisher aus.
Wie ist das eigentlich in den USA? Interessanterweise gelten für Werbetreibende dort schon lange sogenannte Green Guides, festgelegt von der Federal Trade Commission (FTC) als zuständiger Behörde. Aussagen wie „eco-friendly“, „non-toxic“ oder „recycable“ sind im Mutterland des Marketing streng reglementiert. Das detaillierte Regelwerk inklusive Praxisbeispielen finden Sie bei Bedarf hier. Derzeit ist ein Update der zuletzt 2012 novellierten Bestimmungen geplant. Vielleicht könnten sich die Behörden diesseits und jenseits des Atlantiks abstimmen, damit Unternehmen einheitliche Bedingungen vorfinden? Nur so eine Idee.
Konsument*innen wissen über Greenwashing Bescheid
Konsument*innen sind mit Greenwashing als Marketinginstrument vertraut: 84 Prozent glauben sogar, dass Unternehmen nur deshalb Gutes für die Umwelt tun, weil es gut für ihr Image ist, hieß es in dieser Woche in einer Expertendiskussion der GfK (Aufzeichnung hier). Dort gab es noch andere interessante Zahlen: Der Verkauf von refurbed Smartphones hat sich seit 2020 mehr als verdoppelt, ihr Durchschnittspreis ist höher als der von Neuware. Bei Tablets liegt die Plattform „Rebuy“ jetzt unter den Top-30-Einkaufsstätten.
Die Reparierbarkeit von Klein- und Großgeräten spielt auch eine immer wichtigere Rolle bei der Kaufentscheidung. „Sicherlich ein Thema, das in Zukunft in der EU noch stärker kommen wird“, sagt Markus Wagenhäuser, Director of Customer Success bei der GfK. Unternehmen sollten sich darauf einstellen.
Genuss ohne Abfall? Eine gewagte Behauptung
Freilich wird um die Zulässigkeit von Behauptungen gestritten, seit es Werbung gibt. Ein beliebter Zankapfel sind Superlative, weshalb Unternehmen sehr kreativ darin geworden sind, Steigerungen so unbestimmt zu formulieren, dass sie kaum zu beanstanden sind. Edeka beispielweise bewirbt die Einführung eines Kaffeesystems derzeit als „bedeutendste Kaffee-Innovation seit Erfindung der Kaffeekapsel“. Die Müllschleuder wurde bereits 1976 patentiert, von Nestle, und auch die gegenwärtige Neuerung kommt aus der Schweiz, von der Migros. Sie ersetzt die Kapseln durch Kugeln aus gepresstem Kaffee, überzogen mit einer kompostierbaren Schutzfolie. Klingt erstmal einleuchtend. Die Behauptung, das System garantiere Kaffeegenuss, „ohne Abfall zu verursachen“, ist trotzdem gewagt. Schließlich werden die „Coffee Balls“ in einer Kunststoffverpackung verkauft. Von den Kaffeemaschinen, die ausgemustert werden, weil „CoffeeB“ nur mit einem eigenen Modell funktioniert, ganz zu schweigen.
Juristisch unangreifbar heißt nicht unbedingt fair
Juristisch unangreifbar dürfte die „Fair-Heizen“-Kampagne der CDU gegen die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes sein: Besorgte Bürger*innen wünschen sich da, dass wahlweise ihre Rente, ihr Erspartes oder ihr Elternhaus nicht verheizt werden. Dagegen kann niemand etwas haben, oder? Doch natürlich machen die Christdemokraten Stimmung gegen die Ampel: „Dieser Heizungs-Hammer trifft die Menschen mit voller Wucht. Viele haben Angst, auf den Kosten von häufig mehreren zehntausend Euro für einen Heizungstausch sitzen zu bleiben.“ So wird geschickt insinuiert, was nicht stimmt, denn einen Austausch auf einen Schlag soll es ja gerade nicht geben (nur diejenigen, die eine Heizung ohnehin ersetzen müssen, sollen dies umweltfreundlich tun). Ganz ehrlich: Fair ist das nicht.
Wahr oder unwahr? Influencer*innen im Kreuzverhör
Das Spiel mit der Wahrheit kann aber auch vergnüglich sein, wie Jack Link’s, der Hersteller von Bifi, beweist. Vor knapp einem Jahr hat die Snackmarke die Line Extension „Bifi Veggie“ auf den Markt gebracht. Das Echo auf das vegetarische Miniaturwürstchen im Netz war durchaus verhalten („ganz schön trocken, ey“). Vor etwa zwei Wochen plötzlich ein anderer Tenor: „Fast schon leckerer als Omas selbstgekochtes Essen“, schwärmten B-Promis wie Niko Griesert. Der Clou ist das Follow-up-Video: Bifi-Marketer*innen bitten die angeblichen Enthusiasten zum „Influencer Verhör“ und prüfen deren Aussagen per Lügendetektor. Die originelle Idee stammt von Bifis neuer Kreativagentur Scholz & Friends. Damit kommt die Wahrheit bestimmt ans Licht.
Eine gute Woche noch, und behalten Sie die Zukunft im Blick!