Kopenhagen in Aufruhr: Seit Juni kurvt ein ungewöhnlich beklebter Bus durch die Straßen der dänischen Hauptstadt. Statt der üblichen Werbung ziert diesmal aber ein übergroßer, gut sichtbarer Schriftzug das Verkehrsmittel: „AD BLOCK THIS!“ – Wer hinschaut, hat schon verloren. Das ist einerseits intelligente Eigenwerbung für die dänische Agentur Out of Home Media und andererseits Gattungsmarketing für die Verkehrsmittelwerbung. Und es ist gleichzeitig cleveres Zitieren eines scheinbar ach so aktuellen Trends.
Werbeverweigerung ist zeitlos
Immer wieder gerne genommen wird das Aufregerthema Adblocker auch von Vielfach-Kolumnisten und Profi-Polarisierern, die das Ende der Online-Werbung prophezeien, weil die Zeit der zweistelligen Display-Wachstumsraten vorbei ist. Für Konsumbotschaften nicht mehr erreichbar kämpfe die Generation Y mit Adblockern bewaffnet gegen penetrante Online-Werbemittel und redundantes Retargeting, so unken die Digital-Kassandras. Dies sei ein Wink mit dem Zaunpfahl, den Marketer endlich verstehen müssten.
So ein Quatsch! AdBlocker sind kein digitales Phänomen. Werbeverweigerung ist ein zeitloses Phänomen einer reifen Konsumgesellschaft. Gerne auch nachzulesen in Robinsonlisten oder alten Ausgaben der Werbefachmedien, als schon lange vor dem Start des Privatfernsehen Menschen Werbung zum Großteil ablehnten. Und das in nahezu allen klassischen Medien (Kinowerbung ausgenommen). Früher klebten „Keine Werbung“-Schilder auf dem Briefkasten gegen die Werbebriefe, die Beilagen wurden aus der Tageszeitung geschüttelt, Werbeblocks im Fernsehen und Radio weggezappt oder gemutet und Plakatsäulen besprüht.
Die Mangelphase der Nachkriegsjahre ist lange vorbei
Die Adblocking-Debatte von heute ist die Pinkelpause in der Werbeblock-Diskussion der 90er Jahre. Sie ist die ins Digitale transformierte Reaktion auf uninteressante, irrelevante und kontext-insensitiver Werbeinhalte. Der einzige Unterschied zu „damals“: Den Werbeverweigerern von heute stehen zahlreiche und unkompliziert einzusetzende technologische Möglichkeiten zur Verfügung, um Werbung auszublenden. Mit der einfachen Installation von Plug-Ins oder Apps können Menschen ihr Desinteresse gegenüber Werbung ausdrücken. Und jetzt?
Der Streber in der ersten Reihe würde antworten: „Wir müssen interessante und relevante, aber insbesondere personalisierte Inhalte schaffen!“ Netter Versuch, aber nicht die Lösung in einer Gesellschaft, die sich im Wandel vom Massenkonsumzeitalter hin zum Transformationszeitalter befindet. Tiefe Sinnsuche und Hinterfragen des Konsums inklusive. Wir befinden uns nicht mehr in der Mangelphase der Nachkriegs- und Wirtschaftswunder-Jahre, in denen massenhafter Konsum als Statussymbol, Ersatz für Sinnsuche und auch als Vergangenheitsbewältigung diente.
Werbung ist doch so gut wie tot
Werbung, interpretiert als Erfüllungsgehilfe einer GRP-gesteuerten Penetranz und Massenkommunikation, ist heute tatsächlich so gut wie tot. Marken – und damit auch das Marketing – müssen heute ganz andere Probleme lösen und Funktionen erfüllen. Das Transformationszeitalter stellt sie vor herausfordernde Aufgaben: Marken müssen Marketing als Service verstehen. Ihre Touchpoints zu den Menschen im Handel und den Medien statt mit einem Versprechen mit positiven Erlebnissen aufladen. Und sie müssen Markenerlebnisse mit Gelegenheit zur Trans- und Interaktion ausstatten. Dazu gehört auch eine neue Rolle von Erzählkommunikation. Im Transformationszeitalter ist es nach wie vor in Ordnung einen TV-Spot zu drehen. Aber die Menschen bewerten nicht nur den Spot oder seine kommunikative Message. Sie wollen wissen, was Unternehmen ganz praktisch unternehmen, um eine Veränderung in der Gesellschaft oder Wirtschaft herbeizuführen. Und das wollen sie auch in der realen Welt überprüfen. Nur wer so handelt, wie er kommuniziert, bleibt dauerhaft glaubwürdig.
Adblocker sind für uns kein Fluch. Sie sind eine Chance: Sie zwingen Marken viel intensiver darüber nachzudenken, wie Kontakte und Erlebnisse mit einer Marke aussehen müssen, damit die Menschen sie ohne Adblocker freiwillig akzeptieren. Im Übrigen gibt es trotz der seit Jahrzehnten angestimmten Abgesänge auf klassische Werbung immer noch Prospekte und Plakate, TV- und Radio-Spots, Printanzeigen und Werbe-eMails. Sogar Banner werden hin und wieder noch gesichtet. Die Untoten leben noch. Zum Wesen der Transformation gehört nämlich auch, dass sich Prozesse parallel vollziehen.