Statt sich über die im ersten Halbjahr gestiegenen Werbeausgaben zu freuen, mäkeln zahlreiche Werbeagenturbosse derzeit an ihren Auftraggebern herum. Moniert wird vor allem der hierzulande völlig unterentwickelte Mut der Marketingentscheider, was die ernst dreinblickenden Agenturchefs zu strammen Forderungen veranlasst: Deutschlands Marketing braucht, so ist’s zu lesen, mehr Experimentierfreude und obendrein weit weniger Zahlengläubigkeit! Denn, wer es noch nicht wissen sollte, Kreation braucht Mut, und Marktforschung macht jedem kreativen Geniestreich ohnehin den Garaus. Reformstau nun auch im Marketing des verkrusteten Hartz-IV-Deutschland? Vorfahrt also für Bauch, statt Zahlen?
Lösungsvorschläge statt Kundenschelte
Denen, die da so klappern und sich in der Schelte gleich mal wieder als Gralshüter von Innovation, Kreation und Markenführung positionieren, stünde nicht nur ein wenig mehr Selbstreflexion gut zu Gesicht, sondern auch eine differenziertere Ursache-Wirkungs-Analyse.
Keine Frage, die tief sitzende Verunsicherung hat längst auch die deutschen Marketingchefs erreicht. Im Zuge der flauen Inlandskonjunktur und noch immer knapp bemessener Budgets wird naturgemäß eher auf „Bewährtes“ zurückgegriffen, dem berühmten Bauch manchmal zu wenig vertraut und viele Entscheidungen durch Marktforschung abgesichert. Wer als kundenorientierte Werbeagentur diese keineswegs neuen Bedürfnisse seiner Klientel ernst nimmt, wird daran aber kaum Anstoß nehmen.
Anlass dazu gäbe vielmehr ein tieferer Blick in das, was da an Marktforschung betrieben wird und auf welch dünner Erkenntnisbasis die Werbeinvestionsentscheidungen basieren. Und hier greifen die Agenturen mit ihrem Vorwurf, wonach das kreations-mordende Übel insbesondere in dem hohen Standardisierungsgrad von Werbewirkungstests bestünde, deutlich daneben. Das wahre Manko nämlich besteht zumeist nicht hierin – im Gegenteil gute Teststandards sichern Vergleichbarkeit und machen Zeitraumanalysen erst möglich –, sondern in der falschen Anwendung von Werbewirkungsverfahren, die obendrein sehr häufig nicht mehr auf der Höhe der Zeit sind.
Clevere Werbewirkungsforschung? Mangelware!
Nicht das Ob oder das Zuviel, sondern wie Werbeerfolgskontrolle betrieben wird ist also das Thema. Beispiele dafür gibt es en masse: Warum etwa finden viele Werbetrackings trotz unterschiedlicher Kreationen nur einmal jährlich statt? Warum verzichten Unternehmen auf den Aufbau wertvoller eigener Pre- und Posttest-Benchmarks, indem sie laufend Institut, Methodik und Messsystematik verändern? Warum tut sich Modelling hierzulande noch schwer, obgleich etwa das Ad-hoc-Response-Modelling wertvolle Aussagen darüber liefert, wie sich kognitive Werbewirkungsparameter in Abhängigkeit von Mediakontakten und -kanal entwickeln?
Kurz: Warum fordern die Werbetreibenden von ihren gesamten Werbedienstleistern nicht die Auseinandersetzung mit und die Anwendung von modernen und kundenindividuell zugeschnitten Werbewirkungsverfahren?
Selbst wenn der allseits ersehnte Aufschwung kommt, und die Werbekonjunktur nachhaltiger an Fahrt gewinnt – die deutsche Entscheidermentalität wird sich, allen Hoffnungen so mancher Agenturchefs zum Trotz, nicht grundlegend wandeln. Handlungsbedarf und Hoffnung auf Änderung bestehen hingegen hinsichtlich der notwendigen Optimierung der Werbeerfolgskontrolle in den Unternehmen.
Effizienzgewinn durch RoI-Messung
Möchten die Werbetreibenden ihren Werbe- und Media-RoI valide messen und gezielt ausbauen, sollten sie inhaltsarme Einmalschüsse und in die Jahre gekommene Standardtrackings hinterfragen, von ihren Marktpartnern moderne, maßgeschneiderte Pre- und Post-Verfahren fordern und auch nicht die Media – Stichwort Modelling – umschiffen. Nachdem Werbung und Media zumeist die Investitionsschwergewichte in den Marketingbudgets bilden, gibt es kaum Optimierungen, die sich schneller bezahlt machen.
Über den Autor: Markus Werner ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter der Beratungsgesellschaft BRAIN.