Ein Kommentar von Frank Puscher
„Wir können die digitale Kundenreise 1:1 abbilden“, freut sich Marketingleiter X und sein Technikdienstleister Y ergänzt: „Das System ist selbstlernend, die Fehlerquote wird mit der Zeit immer geringer“. Diese Phrasenkombination findet aktuell mindestens einmal pro Digitalkonferenz statt. Sie steht stellvertretend für den gläsernen Konsumenten, den man auch in der Anonymität des Web endlich „in den Griff bekommen hat“. Man kennt seine Präferenzen, seine Bewegungsmuster und weil schon andere vor ihm ähnlich gehandelt haben, weiß man auch das potentielle Verhalten in der Zukunft zu berechnen – anhand von Wahrscheinlichkeiten.
1:1-Marketing ist nicht nur möglich, es ist endlich da!
Was für ein Unsinn. Jeder Marketer, der mit dem Begriff der Customer Journey hausieren geht, müsste schon das Haupt senken, wenn er nur an seine eigene Customer Journey denkt. Wie viel Prozent der dem Nutzer präsentierten Werbeausspielungen auf Desktop, Tablet oder Mobile passen denn wirklich? Fast täglich erhalten wir irrelevante Newsletter, Retargeting-Kampagnen für Produkte , die wir bereits gekauft haben. Jede zweite Onlinewerbung wird inzwischen als selbstabspielendes Video inszeniert und zwar am besten gleich drei Stück davon pro Seite. Das erinnert an die schlimmsten Zeiten der Bannerwerbung, so um 2005.
Wir erinnern uns: Die Folgen waren
1. ein psychologisches Phänomen namens Bannerblindheit
2. ein technologisches Machtspiel namens Adobe Flash
3. ein ökonomisches Desaster namens Adblocker
Die Customer-Journey-Jünger
Woher kommt es, dass gut ein Viertel aller Nutzer den fairen Deal zwischen Verlag und Leser (Free-Content für Werbung) nicht eingehen möchte? Entweder ist die Werbung so schlimm, dass der User den Schmerz langfristig nicht erträgt. Oder der Content ist so schlecht, dass er diesen Schmerz nicht überkompensiert. Oder beides. Das Geschäftsmodell von Eyeo ist zu diskutieren, aber nicht das klare Statement der Nutzer.
Und wie begegnen die Customer-Journey-Jünger dieser Herausforderung, die mindestens eine Datenunschärfe von 25 Prozent (ein statistisches Desaster) mit sich bringt? Sie installieren alternative Trackingmethoden, die am Adblocker vorbei messen und Werbung ausspielen. „Wir haben Adblocker bei uns gut im Griff“, sagt ein Technologiedienstleister.
Aber die 25 Prozent sind ja längst nicht alles. Sacha Berlik von „The Trade Desk“ sagt auf der Adtrader-Konferenz in Berlin: „Bis zu 40 Prozent einzelner Kampagnen können Fraud-belastet sein“. Fraud heißt Betrug. Die anekdotischen Betrugsanfänge früherer Jahre, bei denen kleine Chinesinnen vor Wänden von Smartphones standen und bei allen die gleichen Apps installierten sind vorbei. Inzwischen senden betrügerische Algorithmen falsche Datenanfragen und falsche Trackingzahlen einfach direkt an den Adserver. Das kostet noch weniger und ist auch schwerer zu entdecken.
Sind einzelne Kampagnenauswertungen schon zu 65 Prozent unscharf?
Es gibt gefühlt eine Million unterschiedliche Device/Software-Kombinationen. Das macht nicht nur ein Trackingproblem – bei manchen geht’s halt gar nicht – es macht vor allem ein Format-Problem. Wie spiele ich Werbung relevant aus, wenn ich nicht weiß, ob der Nutzer sein Smartphone direkt oder via Smartwatch bedient?
Dann wären da noch die ganz alten Unschärfen, wie Shared-Devices. Ich kenne im direkten Freundeskreis zehn Familien, wo es ein Familien-iPad gibt. Wer ist dann eigentlich der Customer hinter der Journey. Und dann wären da noch Cookie-Löscher, Menschen, die sich IPs teilen, weil die Firewall das so möchte, Menschen, die innerhalb einer Session vom Wlan zu LTE wechseln … und so weiter.