Fast drei Jahrzehnte nach meinem Wehrdienst überlege ich, Reservist zu werden – und will wissen, was das praktisch bedeutet. Ich bin Ende 40, habe eine Firma, eine Familie und wenig Zeit. Seien wir ehrlich: Jedes Engagement, das ich heute zusätzlich übernehme, muss zu meinem Leben passen. Sonst klappt es nicht. Wie das geht, sollte mir die Bundeswehr erklären. Tut sie aber nicht.
Von der Informationssuche zur Frustration
Was als simples Informationsbedürfnis begann, wurde schnell zur Frustrecherche. Ich suchte nach einem Überblick: Wie werde ich Reservist? Was bedeutet das konkret? Wie passt das in mein Leben? Wer ist zuständig?
Heimatschutz? Sanitätsdienst? Heer? Die Bundeswehrseiten schicken mich zwischen Bundeswehr.de, Karriereportal, Reservistenverband und Landeskommandos hin und her – jede mit vielen News und wenig Blick auf das, was mich tatsächlich bewegt. Ich will nicht wissen, was ein 23-jähriger Stabsunteroffizier bei zwei Wochen Dienst verdient. Ich will wissen, ob ich in meiner Lebensrealität überhaupt realistisch einsteigen kann.
Hochglanz ersetzt keine Orientierung
Die Bundeswehr zeigt sich gern interaktiv. Hochglanzvideos, Eurofighter, Nato-Manöver. Aber unter der Imagefläche wird wenig Fokus auf mich – den Kunden – gelegt. Es wird kommuniziert, aber nicht erklärt. Beworben, aber nicht begleitet. Schon beim ersten Kontakt bekam ich das Gefühl, dass ich nicht der typische Fall bin und dass mein Case nicht auf der Tagesordnung steht.
Nach einem LinkedIn-Posting zum Thema meldeten sich viele Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Mein Text wurde innerhalb der Bundeswehr geteilt und ich durfte Feedback geben. Das war gut und positiv. Dass das Thema aber mehr als drei Jahre nach Russlands Vollinvasion in der Ukraine immer noch nicht Chefsache ist, irritiert sehr. Wie lange genau hat man noch Zeit für eine moderne Informationsarchitektur in diesem Bereich?
Zeitenwende heißt: Zugänge schaffen
Zeitenwende müsste heißen: Menschen mitnehmen, die sich einsetzen wollen. Nicht nur mit Eurofighter-Videos. Sondern mit konkretem Zugang für ihre Leben. Mit Orientierung. Mit Respekt für Biografien, die durchaus einiges an Aufwand in Kauf nehmen würden – wenn man sie ließe. Die Realität: Die Bundeswehr Seiten wirken wie eine Instagram-Page für Zeitsoldat*innen, an die man in der Tiefe die Gelben Seiten von Wuppertal 1987 angeklebt hat, wenn man in die Tiefe navigiert.
Das mag eine Weile funktioniert haben. Wer nun in der Breite unserer Gesellschaft verschiedene Nutzergruppen ansprechen und überzeugen will, kommt so nicht weiter. Zeigt mir, wie ich reinpasse. Sprecht Endvierziger anders an als Frühzwanziger, weil wir nun mal andere Lebensrealitäten haben. Wer mir nicht vermitteln kann, warum ich hier und heute Reservist werden soll, sollte von mir nicht die Transferleistung erwarten, dass ich den Schritt trotzdem gehe.
Es ist 2025. Ist die Lage nun ernst oder ist sie das nicht, liebe Bundeswehr?