Herr Grosskopf, wird analoges Lernen aussterben?
SASCHA GROSSKOPF: Das Ziel ist nicht, das „analoge“ Lernen einfach eins zu eins in den digitalen Bereich zu übertragen. Ganz ähnlich, wie auch die Onlineshops den stationären Handel niemals gänzlich ersetzen. Dennoch werden einzelne Learning-Bereiche ganz oder teilweise in den digitalen Sektor verlagert. Das bringt zum einen Kosteneinsparung, generiert eine dauerhafte „Überall-Verfügbarkeit“ und ist nutzerfreundlicher. Zum anderen werden Learning-Maßnahmen dadurch endlich messbar und können gezielt auf individuelle Mitarbeiterprofile abgestimmt werden.
Letztlich geht es immer um eine Ergänzung beziehungsweise um ein sinnvolles Neben- und Miteinander. Im Vertrieb sind Face-to-Face-Verkaufsgespräche ja auch nicht automatisierbar. Zwar haben erfolgreiche Lead-Kampagnen viele „Cold Calls“ ersetzt, dennoch bleibt im Vertrieb der persönlich Faktor ebenso wichtig wie im Bereich der Human Resources (HR).
Haben Online-Kurse eine ähnlich hohe Erfolgsquote wie Offline-Kurse? Und wie hoch ist die Abbrecherquote?
GROSSKOPF: Das lässt sich nicht verallgemeinern und ist sicherlich auch themenabhängig. Sprachkurse funktionieren beispielsweise am besten als Blended-Mix aus Online und klassischen Präsenztrainings. Schulungen für neue Tarifmodelle oder andere Produkt-Updates sind auch als reine Online-Kurse sehr erfolgreich. Es gilt, eine optimale Mischung aus Lernerfolgen, effektiver Budgetierung und Resultaten zu erreichen – am Ende des Tages steht ein Blended-Learning-Konzept, bei dem der Lernende die Inhalte und Darreichungsform im Idealfall selbst wählen kann. Eines ist aber sicher: Nur durch strategisch vernetztes Lernen – vernetzt mit Performance, Nachfolge- und Karriereplanung – lässt sich überhaupt ein Wertbeitrag messen. Der übliche „Nachweis erfolgreicher Teilnahme“ reicht nicht aus, um zu evaluieren, ob das Erlernte einen nachhaltigen Erfolg bringt, anwendbar ist und den Mitarbeiter wirklich auf das nächste Level hebt. Das funktioniert nur mit integriertem Learning. Alles andere ist nur ein Hoffen, wie auch in der Werbung: Anzeigen und Plakate sind und waren wichtig, aber wirklich messbar sind nur die Onlineaktivitäten.
Wie kann betriebliches Lernen auf die Digitalisierung zugeschnitten werden?
GROSSKOPF: Hier kann man sehr gut den Vergleich zu Marketing und Vertrieb ziehen. Denn Human Resources befindet sich ebenfalls im Wandel. Zwar ist HR in Sachen Digitalisierung noch deutlich hinterher. Im Prinzip durchläuft die Branche, und damit auch Teilprozesse wie das betriebliche Lernen, aber eine ganz ähnliche Entwicklung. E-Learning boomt – für 2016 werden Umsätze von 51 Milliarden Dollar erwartet. Und auch der Markt für Corporate E-Learning wächst rasant um jährlich 13 Prozent.
Es hieß mal, die kostenlosen Universitätskurse würden die klassische Uni umkrempeln. Das glaubt heute niemand mehr, oder?
GROSSKOPF: Auch hier ziehe ich einmal Parallelen: Mittlerweile wird jeder fünfte Euro im Onlinehandel gemacht. Viele denken, dass der stationäre Handel dadurch aussterben wird. Doch letztlich geht es darum, die Vorteile der Online- und Offline-Welt zu verbinden und Kunden mit neuen Services zu überzeugen.
Ähnlich geht es auch in den Universitäten zu. Allerdings ist der Bildungsbereich geschützt. Demzufolge ergibt sich Innovationskraft lediglich aus den Universitäten selbst und nicht wie im Handel durch neue Player am Markt. Die Digitalisierung hat die Art und Weise, wie an Universitäten gelehrt und gelernt wird, zum Teil stark verändert. Seit das MIT im Jahr 2002 die ersten Kurse online zur Verfügung gestellt hat, hat sich einiges getan. Aber auch hier zeigt sich, dass es nicht darum geht, bewährte Modelle abzuschaffen, sondern zu verbessern oder zu ergänzen. Maßgeblich geht es dabei vor allem um Kollaboration, also um die Anwendung und Konservierung des Wissens. Professoren und Studenten sind in geschlossenen Facebook-Gruppen organisiert, tauschen sich aus, informieren sich über Fakten und Projekte.
Also ist es von Vorteil, wenn Professoren auch digital aktiv sind?
GROSSKOPF: Die meisten Professoren, die heute von Studenten als gut bewertet werden, finden Sie weit von der klassischen Folienschlacht entfernt. Vielmehr bieten sie ihre Vorlesungen auf Youtube, nutzen Entertainmentformate und moderne Techniken, die auf die Zielgruppe zugeschnitten sind. Ein gutes Beispiel hier ist Professor Armin Trost, der bereits seit 2012/2013 einige seiner Vorlesungen auf Youtube anbietet:
Welche Herausforderungen kommen auf uns zu?
GROSSKOPF: Eine wesentliche Herausforderung ist, das richtige Wissen zur richtigen Zeit anzubieten. HR konkurriert heute mit Google und Youtube, wenn es um Informationen geht. Sofern muss modernes Learning auch den Charakter, die Dramaturgie und die Darreichungsform dieser Tools abbilden können. Das heutige Innovationstempo verkürzt die Halbwertszeit von Wissen rapide. Lernkonzepte, die ein „Lernen auf Vorrat“ verfolgen, sind wenig effektiv und gehören der Vergangenheit an. Die Zukunft gehört dem „Lernen on Demand“, das auf Anfrage Antworten und Lösungen zu einer speziellen Fragestellung liefert. Auch hier lassen sich Parallelen zu digitalen Vorreiterbranchen ziehen.
Deswegen benutzen Menschen lieber Google als Learning-Plattformen?
GROSSKOPF: Wenn sich das LMS allzu sehr von kommerzieller genutzter Software unterscheidet, wird es schnell als altbacken, verstaubt und nicht attraktiv wahrgenommen. Wie generell das Problem veralteter IT-Strukturen in deutschen Unternehmen ist, hat die Wirtschaftswoche erst kürzlich wieder thematisiert – Deutschland liegt in Sachen Digitale Infrastruktur gerade einmal im Mittelfeld. Für HR ist dies noch gravierender, da dieser Bereich in Sachen Innovation nicht gerade in vorderster Reihe steht. Kurz: Wenn Google besser ist beziehungsweise besser angenommen wird als das betriebliche Learning-System, läuft etwas schief.
Heißt also auch, dass Mitarbeiter es befürworten, wenn ihr Unternehmen Weiterbildungen anbietet?
GROSSKOPF: Auf jeden Fall. Learning wird immer mehr zum entscheidenden Unterscheidungskriterium. Eine aktuelle Studie der Deutschen Universität für Weiterbildung zeigt, dass 42 Prozent der Befragten bei einem Jobwechsel den Arbeitgeber vorziehen, der ihnen Weiterbildung ermöglicht. Lernen nach dem Gießkannenprinzip hat damit ausgedient. Learning muss mit den individuellen Mitarbeiterprofilen vernetzt agieren, Performance messbar steigern, Wissens- und Kompetenzlücken für den nächsten Karriereschritt schließen und einen umfangreichen Lernpfad für den Mitarbeiter offerieren. Stellen Sie sich Spotify oder auch Netflix ohne Nutzerdaten vor – der Erfolg dieser Dienste wäre undenkbar. Warum also nicht davon lernen und Empfehlungs-Learnings offerieren nach dem Prinzip der Messbarkeit eines Sternesystems? Und analysieren, welche Learnings welchen Erfolg bieten? Netflix ist nicht deshalb so erfolgreich, weil es das Prinzip der Videothek einfach online abbildet, sondern Nutzerprofile mithilfe von Big Data auswertet und Serien entwickelt, die genau auf den Geschmack der Zielgruppe abgestimmt sind.
Sind MOOCs adäquate Lösungen für Unternehmen? Wie könnte man sie besser gestalten?
GROSSKOPF: Das ist eine interessante Frage. Eine Möglichkeit ist es, MOOCs wie beispielsweise die des MIT in das betriebliche Lernen zu integrieren. Auf diese Weise erweitert man Learning-Formate und -Themen durch die Nutzung von externen Ressourcen – auch TED-Talks oder Youtube-Videos sind dafür geeignet. Da viele Corporate Learnings vertrauliche Information enthalten, ist eine gänzliche Öffnung nach dem Vorbild der Universitäten eher kontraproduktiv. Corporate Open Online Kurse (COOCs), die allen Mitarbeitern oder auch Partnern und dem Servicenetzwerk eines Unternehmens offen stehen, sind dagegen durchaus denkbar wie das Beispiel des „Magenta MOOC“ der Deutschen Telekom im letzten Jahr zeigt. Der Kurs setzte sich aus Videovorträgen interner und externer Experten zusammen, aus Teamaufgaben und Online-Foren.
Was macht Cornerstone OnDemand anders im Bereich Learning?
GROSSKOPF: Ein zentraler Punkt ist, dass wir uns mit unserer Lösung hinsichtlich Geschwindigkeit, Benutzeroberfläche und Design an „kommerziellen“ Software-Standards orientieren. Die Idee ist, Nutzerfreundlichkeit und -erfahrung gängiger Onlineshopping-Lösungen oder Social-Media-Portale auf alle relevanten HR-Prozesse zu übertragen, um dem Mitarbeiter einen möglichst einfachen und intuitiven Zugang zu ermöglichen. So kann die Qualität von Kursen und Lehrenden wie bei Amazon bewertet und kommentiert werden. Wir machen Lernen und Fortbildung so einfach und interessant, dass die Mitarbeiter dieses Angebot gerne wahrnehmen und selber aktiv werden. Im Vergleich dazu sind die Standard-LMS isolierte Systeme, in die man sich einloggt, wenn das Compliance-Training ansteht. Unsere Lösung deckt die gesamte Mitarbeiterlaufbahn ab – von der Auswahl bis zum Erfolg – und umfasst vernetzte Anwendungen in den Bereichen Recruiting, Onboarding, Learning, Kollaboration, Performance, Compensation, Nachfolge und Analytik. Anders als bei anderen Anbietern ist unser System organisch gewachsen, funktioniert damit ohne Systembrüche und Silos und verfügt über eine einheitliche Architektur und Datenbasis. Statt also für jeden HR-Prozess auf separate Datenbanken zurückzugreifen, zieht Cornerstone alles aus einer einheitlichen Codebasis.
Zum Schluss noch eine wichtige Frage: Wie streut man denn nun Wissen am effektivsten?
GROSSKOPF: Das ist eine nahezu philosophische Fragestellung, die seit Henry Ford auch das Marketing umtreibt: „Ich weiß, dass 50 Prozent meines Marketingbudgets verschwendet sind, aber ich weiß nicht, welche Hälfte“. Ich versuche das mal aus dem reinen Unternehmenskontext zu erklären: Mein Ratschlag ist daher: Verlagern Sie Ihr Learning auf die Pull-Seite. Der Mitarbeiter soll seine Weiterbildung selber in die Hand nehmen und selbstbewusst werden. Vereinbaren Sie Karrierepfade, identifizieren Sie Lücken in den Kompetenzen und Fähigkeiten, die dann erläutert und durch einen Trainingsplan geschlossen werden. Marketing ist auch dann am erfolgreichsten, wenn der Nutzer sich aktiv in den Newsletter oder die Facebook-Gruppe einschreibt und zum Multiplikator der Message wird.
Sascha Grosskopf unterstützt seit April 2014 das Marketing und Demand Generation Team in EMEA bei Cornerstone OnDemand und arbeitet vom Düsseldorfer Büro aus. Grosskopf verfügt über umfassende Branchenkenntnisse und Wissen in den Bereichen Talent Management, Change Management und Unternehmensentwicklung. Vor seinem Eintritt bei Cornerstone arbeitete Grosskopf für Lumesse und war dort als Leiter des europäischen Marketings zuständig – unter anderem verantwortete er hier das globale Rebranding im Mai 2011.