Und plötzlich hängt da „SpongeBob” im Football-Tor. Bei einem ganz normalen Football-Spiel in der US-Profiliga NFL stört plötzlich ein Schwamm. Oder Schleimkanonen spritzen glibberige Masse über das Feld. Doch die Spieler und Zuschauer im Stadion bekommen davon nichts mit. Denn „SpongeBob” und die Schleimkanonen sind nicht wirklich im Raum, sondern mithilfe von Augmented Reality (AR) dorthin projiziert.
Wer das Spiel auf den großen US-TV-Networks schaut, bekommt davon auch nichts mit. Schaut man allerdings beim Kindersender Nickelodeon rein, dann sieht das Spiel völlig anders aus. Dort nämlich will man die jüngste Generation für Livesport begeistern. Die Zielgruppe also, der selbst beim ereignisreichen und auf Highlights getrimmten US-Sport noch nicht genug Action ist.
AR wird auch in der Bundesliga eingesetzt
Während in der Sportschau mit wissenschaftlicher Fundierung über eine Erosion der Fanbindung – verstärkt noch durch die Corona-Pandemie – gesprochen wird, könnte der Einsatz von AR auch hierzulande helfen, Zielgruppen zu gewinnen, die sich vom klassischen Sport-Event nicht angesprochen fühlen. In der Fußball-Bundesliga wird das Thema AR keineswegs ignoriert: Für den Supercup 2021 wurde beispielsweise ein AR-Format ausprobiert, bei dem neben den eigentlichen Bildern vom Spielgeschehen im Wohnzimmer der Zuschauer*innen Livedaten wie Statistiken betrachtet und analysiert werden konnten. AR wird so zum Tool für Nerds und Statistikfans.
Dass es damit möglich ist, neue Zielgruppen zu erschließen, glaubt die Deutsche Fußball Liga (DFL) allerdings nicht: „Es wird uns nicht gelingen, nur dank gutem Rahmenprogramm Menschen zum Fußball zu führen, wenn sie vorher Fans einer anderen Sportart waren“, sagt Andreas Heyden, als Executive Vice President zuständig für digitale Innovationen. Außerdem ist die DFL überzeugt, dass AR – anders als in den USA – nicht der Kern der Übertragung werden soll. „Im deutschen Fußball steht der Sport im Mittelpunkt. Auch wenn ich es persönlich außergewöhnlich finde, was die NFL in diesem Bereich macht, würde Augmented Reality als Kern der Übertragung bei uns nicht funktionieren“, so Heyden. Die DFL geht andere Wege, zum Beispiel mit der Bundesliga Next App, einer Art Bundesliga-TikTok. Doch ganz ausgeschlossen scheint es dennoch nicht, dass irgendwann die virtuelle Bierdusche kommt.
Im deutschen Fußball steht der Sport im Mittelpunkt.
Andreas Heyden, DFL
Auch über das reine „Nerdtum” hinaus setzt die DFL durchaus auf AR. Im Alltag angekommen ist der Einsatz virtueller Werbebanden: Auf unterschiedlichen Märkten sind so im gleichen Moment eines Spiels unterschiedliche Werbebotschaften zu sehen. Gut möglich, dass damit in Zukunft komplett personalisierte Werbung ausgespielt wird: „Ich bin fast sicher, dass wir irgendwann über eine Million individueller Streams über Video-on-Demand zur Verfügung stellen. […] Und natürlich wollen die Medienpartner dann auch Werbung personalisieren. Das wird kommen“, sagt Heyden.
Denkbar ist der Einsatz von AR auch im sekundenaktuellen Online-Wettgeschäft: Wo es oftmals auf wenige Sekunden ankommt, könnten Wettende mithilfe von AR beispielsweise einfach auf Spieler*innen klicken, von denen sie glauben, dass sie ein Tor schießen. Um auf potenzielle Torschützen zu wetten, müssen sie also nicht mehr den Second Screen hervorholen, sondern können die Wette sofort im Livebild platzieren. Wobei sich hier die Frage stellt, ob damit nicht Wettsucht Vorschub geleistet wird – die Schwelle wird schließlich gesenkt.
AR bei Olympia-Eröffnungsfeier in Peking
Auch bei anderen Sportereignissen wird zunehmend AR eingesetzt. Die Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele in Peking bestand zu großen Teilen aus AR-Elementen, schon weil aufgrund von Corona-Beschränkungen nicht so viele Menschen im Stadion sein sollten. Doch wirklicher Teil des eigentlichen Sportgeschehens – so wie eben beim Football – sind diese Einsätze selten.
Experimentierfreudiger als der Fußball zeigt sich das Sport-Entertainment: zum Beispiel die RTL-Sendung „Ninja Warrior“, die irgendwo zwischen Sport und TV-Event anzusiedeln ist. Für „Ninja Warrior“ gibt es eine App, bei der Nutzende den Ninja-Parcours absolvieren können. Das geht, indem das eigene Zimmer mit der Kamera gefilmt wird. Auch wenn hier und da mit AR experimentiert wird, ist die Technologie im deutschen Markt bislang eher Begleiterscheinung und selten Kern sportlicher Events. Die junge Zielgruppe soll auf anderen Wegen erreicht werden. Mit virtuellem Schleim wird sich hierzulande in naher Zukunft wohl keiner übergießen lassen.