Es geschieht immer wieder: Der Kunde fühlt sich nicht gut bedient und macht darauf aufmerksam. Doch das Personal verteidigt die eigene Perspektive und fühlt sich im Recht.
Beispiele aus dem täglichen Leben
Im Hotel: Der Kunde checkt ein oder aus. Das Telefon klingelt und sein Ansprechpartner geht ran. Das geschieht mehrfach. Der Kunde macht deutlich, dass er auch Kunde ist und darum die volle Aufmerksamkeit beansprucht. Nur weil er „live“ ist, ist er kein Kunde zweiter Wahl. Die meisten Manager on Duty erkennen nicht, dass es ihr Organisations- und nicht das Kundenproblem ist, das es zu lösen gilt.
In der Bank: Die Bank ruft bei einem Kunden an, der 30 Jahre dort Kunde ist. Man könne ihm seinen Kreditrahmen nicht mehr einräumen. Er hätte ja keinen Gehaltseingang (denn er ist ja Freiberufler). Und das Konto wäre – wie seit 20 Jahren – ja nur ein Nebenkonto. Ja, er hätte noch nie in den 30 Jahren eine Mahnung bekommen müssen. Aber jetzt wären die Bestimmungen so. Ohne Gehalt oder Hauptkonto müsse er auch seine Kreditkarte zurücksenden. Dem Bankmitarbeiter ist nicht einsichtig, dass der Kunde auf ein Hartz-4-Positivkonto gestuft wird, obwohl er nachweislich solvent ist.
Im Restaurant: Der Kunde reserviert einen bestimmten Tisch, der ihm bestätigt wird. Als er kommt, sitzt dort bereits eine Gruppe, mehrere Tische sind zusammengerückt. Man bedeutet ihm, dass die Gruppe dort gerne sitzen wollte und man eben eine größere Gruppe bevorzugt behandeln müsse. Für ihn hätte man ja durchaus woanders Platz.
In der Industrie: Der Kunde bestellt eine begehrte und limitierte Ware. Die Bestellung wird angenommen und bestätigt. Kurz darauf wird er angerufen, dass man ihn als „neuen, kleinen Kunden“ nicht beliefern wolle. Der Kunde macht darauf aufmerksam, dass er für diesen Auftrag nicht nur rechtlich ein Kunde sei, sondern dass ein einmal angenommener Kunde auch als solcher behandelt werden sollte. Nein, sagt sein Gesprächspartner, denn er müsse doch verstehen, dass man erst die Stammkunden bevorzugt behandeln will. Man hätte das eben übersehen. Schließlich müsse man mit diesen Geld verdienen.
Konfrontation bis zur Selbsterkenntnis
Hinter solchen Verhaltensweisen wähnen sich Unternehmen beziehungsweise Mitarbeiter in der Macht, die Kundenbeziehung so zu gestalten, dass sie selbst einseitig ein bestehendes Band verändern oder zerschneiden können. Abweichende Kunden betrachten sie als störende Bettler.
Mindestens drei Ansätze hat ein Unternehmen, seinen Mitarbeitern die Augen zu öffnen:
1. Schleusen Sie neue Mitarbeiter immer wieder wie Kunden durch den Betrieb. Zahnärzte setzen neue Helferinnen auf den Stuhl. Nie wieder wird sie zu viel Abdruckmasse verwenden. Hotels lassen neue Mitarbeiter für eine Nacht ein- und auschecken. Industrie-Unternehmen lassen neue Mitarbeiter im Mystery Shopping beim Einkauf agieren.
2. Setzen Sie Mitarbeiter rollierend in die „Reklamationsabteilung“. Und lassen Sie einen Bericht schreiben, wie oft sie auf „unsere Bestimmungen“, „unsere Organisation“ oder „unser wichtigerer Kunde“ vertrösten
3. Präsentieren Sie auf Vertriebs- und Mitarbeiter-Events unbedingt Kunden, „die nie mehr bei Ihnen kaufen werden“ und dieses im Interview deutlich machen. Dort habe ich den größten Schock von Mitarbeitern erlebt.
Die meisten Mitarbeiter halten die Position des Unternehmenskunden für ein Kinderspiel – dabei haben sie das selbst nie erlebt.
Über den Autor: Malte W. Wilkes ist Seniorpartner der Management Consultancy Erfolgsketten Management Wilkes Stange GbR in Hamburg, Redner, Moderator, Diskutant, zigfacher Buchautor, Pionierexperte in Customer Centricity sowie Ehrenpräsident des BDU Bundesverband Deutscher Unternehmensberater.