Frau Alex, Sie haben zusammen mit Julia Bösch Outfittery vor gut fünf Jahren gegründet. Wer war ganz am Anfang Testperson? Papa, Bruder, Freund?
ANNA ALEX: Am Anfang mussten auf jeden Fall viele Leute herhalten. Besonders mein damaliger Freund, jetzt Mann, wurde immer wieder dafür eingespannt und musste bei uns bestellen, um zu schauen, ob auch alles klappt. Aber auch unsere Väter, Onkel und sogar Großväter: Alle Männer im Dunstkreis wurden involviert (lacht). Ursprünglich ist uns die Idee aber gekommen, als wir mit einem Freund in New York waren und der sich den Luxus eines Personal Shoppers gegönnt hat. Das ist da für Geschäftsmänner etwas komplett Normales.
In Amerika ist man auf dem Gebiet schon einige Schritte voraus. Können Sie uns den Bestellvorgang bei Outfittery beschreiben?
Ihr Freund zum Beispiel meldet sich einfach bei uns an und füllt einen kurzen Fragebogen auf der Website aus, mit ein paar Basisinformationen, was er sucht und braucht. Dann kann er auswählen, ob er ein Telefonat mit seiner Stylistin haben möchte oder ob er direkt online bestellen möchte. Schließlich gibt es Männer, die nicht gerne telefonieren. Und danach macht sich die Stylistin dran und stellt ein Outfit zusammen.
Wie viele Marken haben Sie im Sortiment?
Wir arbeiten mit über 100 Marken zusammen. Wir haben ein Einkaufsteam mit sehr erfahrenen Einkäufern, die aber auch immer die Stylisten mit zu den Organisations-Terminen nehmen. Denn schließlich wissen die Stylisten viel besser, was der Kunde gerade will, am Ende sind sie der Personal Shopper. Einkäufer und Stylist suchen also gemeinsam aus und schauen, dass die Marken gut in unser Portfolio passen. Wir haben damit eine gute Mischung aus bekannten Marken wie Boss oder Tommy Hilfiger, aber auch aus kleinen, noch unbekannten, zum Beispiel skandinavischen Marken. Das schätzen unsere Kunden: Wenn sie mal eine Marke besitzen, die nicht jeder trägt.
Warum gerade Männer? Was macht diese Zielgruppe aus?
Viele Männer sehen Kleidung als etwas Notwendiges an, nicht als etwas, wobei man tatsächlich Spaß haben kann. Wir versuchen jeden Interessierten auf eine gemeinsame Reise mitzunehmen und Lust am Onlineshoppen zu machen. Wir versuchen auch, den Stil des Kunden weiterzuentwickeln. Es ist für einige Kunden, die modeaffin sind, natürlich leichter, so eine Plattform zu testen, als für Shoppingmuffel. Die meisten Männer, die Outfittery testen, haben irgendwann Spaß daran, wenn sie merken, dass es nicht nur beige oder weiße Chinos gibt, sondern auch mal eine blaue. Und dann machen plötzlich auch noch die Kollegen Komplimente für das neue Outfit (lacht). Das schmeichelt auch dem Mann von heute.
Welchen Mehrwert geben Sie dem Kunden darüber hinaus?
Häufig nervt es den Mann, shoppen zu gehen. Das liegt aber nicht am Einkauf, sondern am Service in den Läden und an der Masse von Kleidung. Es geht nicht darum, dass unsere Kunden nicht gerne einkaufen gehen. Aber auch ich habe ehrlich gesagt keinen Spaß mehr daran, ein großes Kaufhaus zu betreten,
wo alle Stockwerke gleich aussehen und, wenn ich zur Jeans einen Blazer haben will, ich der Verkäuferin erst einmal wieder viele Fragen beantworten muss: Was suche ich eigentlich, welche Größe habe ich und für welchen Anlass suche ich? In diesen Kaufhäusern kennt sich jede Verkäuferin nur auf ihren 15 Quadratmetern aus. Wir glauben, dass sich so der Handel ins eigene Fleisch schneidet und sich selbst abschafft. Wir haben die Lücke gefunden und sind für unsere Kunden einfach praktisch.
Was ist das grundlegende Problem des stationären Handels?
Der Handel ist vor sehr langer Zeit stehengeblieben. Dazu dreht er sich sehr viel um sich selbst anstatt um die Bedürfnisse des Kunden. Wenn heutzutage ein Geschäft als einziges Argument für den Kunden hat, dass es bei ihnen noch günstiger ist als nebenan, dann hat dieses Geschäft ein Problem. Damit fängt eine Abwärtsspirale an, die damit beginnt, dass immer früher die Schlussverkäufe anfangen. Es gibt Sommerschluss-, Winterschluss- und nun auch noch Midseason-Verkauf. Man sucht förmlich danach, irgendwelche Ereignisse zu erfinden, um wieder einen Preisabzug geben zu können. Das führt dazu, dass die Margen geringer werden und dass man Einsparungen machen muss. Also sparen sie beim Service. Man hat schlecht ausgebildetes Personal, wenn sie überhaupt noch Personal haben. Der Kunde betritt also den Laden und ist überfordert. Alle Marken und alle Artikel sehen gleich aus, wo fängt der Kunde an? Das wollen wir durchbrechen. Wir glauben daran, dass guter Service nach wie vor sehr, sehr wichtig ist und für den Kunden eine Relevanz schaffen kann. Wir nehmen ihm ab, sich in dem riesigen Markt entscheiden zu müssen.
Ihre Kleidung ist nie reduziert?
Wir geben keine Abzüge und wir versprechen dem Kunden, dass unsere Preise entsprechend den Ladenpreisen sind – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Daran halten wir uns. Die Kunden, die bei einem Hemd noch einmal fünf Euro sparen wollen, die passen auch nicht zu uns.
Wie oft bestellt ein Stammkunde bei Ihnen?
Was ich Ihnen sagen kann, ist, dass unsere Kunden zwischen zwei- und viermal im Jahr wiederkommen. Und gerne, das habe ich über die männliche Psyche in den letzten Jahren gelernt, temperaturabhängig einkaufen. Heißt: Wenn der weibliche Konsument schon mal im Winter ein Kleid kauft, weil er weiß, dass der nächste Sommer kommt, kauft der männliche Konsument noch lange nicht. Männer kümmern sich erst um die Sommermode, wenn es schon warm ist. In unseren Paketen ist meist Ware im Wert von 500 bis 1 000 Euro enthalten, im Schnitt behalten Kunden Kleidung im Wert von knapp 200 Euro. Das ist dreimal so hoch, wie sonst im E-Commerce üblich.
Das Thema KI ist also für Sie eines. Wie wichtig ist für Ihr Business künstliche Intelligenz?
Schon wichtig. Wir haben ein Team aus Data-Scientists, die sich mit dem Thema Machine-Learning beschäftigen und sich Fragen stellen wie: Wie kann ich den Stylisten in der Auswahl der Kleidung unterstützen? Ein Beispiel: Wenn sich von einer auf die nächste Saison eine Artikelnummer oder der Name des Produkts ändert, dieses aber das gleiche ist, was gar nicht mal so selten vorkommt, kann das System dem Stylisten sagen, dass es der gleiche Artikel nur mit einer anderen Nummer ist. So helfen wir uns aus. Solche Informationen sind für die Mitarbeiter Gold wert.
Glauben Sie, dass sich der Handel vom E-Commerce-Markt einiges abschauen sollte?
Ich glaube, der Einzelhandel kann sich nicht darauf ausruhen, was da in den letzten Jahrzehnten passiert ist, denn alle Zeichen weisen darauf hin, dass der Kunde immer anspruchsvoller wird. Es geht stark um die Verknüpfung beider Welten – Online und Offline. Ich glaube, diese Trennlinie zwischen den beiden gibt es nicht mehr, und da muss sich der Handel endlich bewegen, um in den nächsten Jahren einige der Tendenzen, die es da gerade gibt, umzukehren. Müssen sie deswegen jetzt Machine-Learning machen? Sicher nicht.
Und was sollte sich der E-Commerce-Markt da draußen bei Ihnen abschauen?
Auf die enorme Anzahl von Kleidungsstücken hat einfach keiner mehr Lust. Bei einem großen Onlineshop bekommt man bei der Suchanfrage „hellblaues Hemd“ um die 1 800 Ergebnisse. Das ist zu viel. Das wollten wir anders machen und liefern nun genau die Relevanz, die der Kunde braucht.
Was unterscheidet Sie von der direkten Konkurrenz wie Modomoto und was machen Sie anders?
Unsere Philosophie ist, dass wir uns auf unsere Kunden anstatt auf die Wettbewerber konzentrieren. Den Wettbewerber hat man irgendwann überholt, aber der Kunde hat immer neue Wünsche und treibt einen immer noch weiter an. Wir sind in acht Ländern vertreten und sind in diesen Ländern auch Marktführer, deswegen ist uns der Kunde immer präsenter als der Wettbewerber. Wir haben Herz und Seele in dieses Projekt gesteckt und wir schaffen beim Kunden Relevanz. Dazu gestalten wir auch im Team einiges anders. Bei einem anderen Anbieter sind zum Beispiel die Stylisten alle Freelancer und nicht fest angestellt. Bei uns schon. Wir glauben daran, dass man Mitarbeiter fördern muss, auch durch Schulungen. Nur so kann man am Ende guten Service liefern, wenn man auch als Team zusammenwächst.
Facebook, Twitter, Instagram darf man heutzutage nicht vernachlässigen. Haben Sie eine Content-Marketing-Strategie?
Wir haben eine sehr starke Facebook-Präsenz mit rund 470 000 Gefällt-mir-Angaben, und dort werben wir auch. In unserem Onlinemagazin teilen wir gerne auch mal eine Kunden-Story und nennen Tipps und Tricks zu verschiedenen Anlässen – zum Beispiel wie man Farben kombiniert oder welches Outfit man als Hochzeitsgast tragen kann. Wir schauen immer, wo wir unsere Zielgruppe am besten erreichen. Und das sind nun mal Männer zwischen 25 und 50, und die sind nicht auf Instagram.
Sind 25-jährige Jungs nicht auf Instagram?
Nicht so viele, als dass es für uns relevant wäre, dort Werbung zu platzieren. Instagram ist einfach noch sehr jung und primär weiblich, unsere präferierte Zielgruppe hält sich dort weniger auf. Wir pflegen natürlich einen Kanal, aber fokussieren das Marketing eher auf andere Kanäle.
Zum Schluss brauchen wir von einer erfolgreichen Gründerin auch noch Tipps. Können Sie uns drei wichtige Punkte Ihres Erfolgsrezepts nennen?
Jede Bühne nutzen, die sich einem bietet. Am Anfang geht es darum,
die Firma und das Konzept so bekannt wie möglich zu machen und mit
vielen Investoren zu sprechen. Da darf man nicht schüchtern sein. Dann sich genau überlegen, mit wem man das Projekt startet, und sich dafür auch Zeit lassen. Und zum Schluss sollte man
nie den Mut verlieren und sich immer auf das gerade aktuelle Problem konzentrieren und dieses lösen. Alles auf einmal lösen zu wollen bringt nichts.
Kommt da vielleicht noch Outfittery für Kids und Frauen?
Es gibt viele Frauen, die uns anbetteln, doch endlich einen Koffer für sie zu gestalten. Aber wir sehen noch zu viel Potenzial bei den Männern und werden uns erst mal darauf weiter konzentrieren. Im Grunde dienen wir eh den Frauen, die dann gut gekleidete Männer an ihrer Seite haben (lacht).