Gerade tobt ja um die Viertagewoche ein regelrechter Viertagekrieg in den sozialen Medien. Die einen sehen die Welt untergehen, wenn die Viertagewoche kommt. Die anderen sehen die Welt untergehen, wenn die Viertagewoche nicht kommt. Heiße Debatten bei derart wichtigen Themen sind eine feine Sache.
Nur leider lassen die meisten Protagonist*innen bei ihren Meinungsäußerungen dringend notwendige Differenzierungen vermissen. 38 oder 32 Stunden? Mit oder ohne Lohnausgleich? Freiwillig für alle oder branchenweit vorgeschrieben? Blue Collar oder White Collar? Pflegekraft oder Prompter*in? Egal. Hauptsache: eine eigene Sicht auf die Dinge.
In Betracht kommen drei Varianten
Variante 1, auch als 100-80-100-Prinzip bekannt, meint Arbeitszeitreduzierung bei vollem Lohnausgleich, wie es gerade die IG Metall als erste Kraftdemonstration vor den nächsten Tarifverhandlungen für ihre rund 68.000 Mitglieder fordert. Gemeint ist damit 100 Prozent Lohn, 80 Prozent Arbeitszeit und weiterhin 100 Prozent Leistung. Glaubt man den wenigen bisher vorliegenden Studien, findet diese Variante die Mehrzahl der Beschäftigten gut, die Arbeitgebenden hingegen eher nicht so. Vermutlich auch, weil sie an die 100-prozentige Leistung bei 80-prozentiger Arbeitszeit nicht so recht glauben wollen.
Variante 2 meint Arbeitszeitreduzierung ohne Lohnausgleich, also eine Art große Teilzeitbeschäftigung oder einfach 80-80-80. Damit können sich manche Arbeitgebende und so einige Besserverdienende schon mehr anfreunden. Wenn da nur nicht die drängende Frage nach der Lösung des Fachkräftemangels wäre.
Bleibt last but not least Variante 3, die eine Arbeitstagereduzierung bei gleicher Wochenarbeitszeit und gleichem Lohn vorsieht, also 100 Prozent Arbeit für 100 Prozent Lohn an künftig vier statt fünf Tagen oder – nicht ganz so einfach – das Prinzip 100-100-100:4. Vor allem über letztere Variante scheiden sich die Geister. Bringt sie mehr Erholung oder mehr Stress für die Beschäftigten? Senkt sie den Krankenstand und fördert die Produktivität? Steigert sie Effizienz UND Mitarbeiterbindung? Und vor allem: Lindert sie den Fachkräftemangel, weil sie bestimmte Berufe wieder attraktiver macht?
Es gibt sogar schon Menschen, die als Lösung für das ganze Durcheinander eine Opt-out-Regelung vorschlagen. Danach solle die Viertagewoche als Standardmodell für alle gelten, und wer mehr arbeiten möchte, könne das gerne beantragen. Um die tatsächliche Praxistauglichkeit dieser Variante einschätzen zu können, braucht es vermutlich nicht einmal Studien. Ein gutes Bauchgefühl reicht meines Erachtens an der Stelle völlig aus.
Erste große Studie in Deutschland geplant
Umso mehr freut es mich, dass Anfang 2024 nun auch in Deutschland ein erster umfassender Pilotversuch zur Viertagewoche starten soll. Mehr als 50 Unternehmen sollen dann sechs Monate lang das Für und Wider des 100-80-100-Prinzips testen, schreibt das Redaktionsnetzwerk Deutschland RND. Für die Koordination des Projekts ist die Beratungsagentur Intraprenör verantwortlich, begleitet wird es von der Initiative 4 Day Week Global.
Teilnehmende Unternehmen sollen von Februar bis Juli 2024 die Arbeitszeit von fünf auf vier Tage reduzieren, während das Gehalt unverändert bleibt. „Wir erhoffen uns von der Pilotstudie eine Weiterentwicklung der Diskussion über die Viertagewoche. Dafür schaffen wir eine Grundlage“, sagt Jan Bühren von Intraprenör. Im Beirat, der die Studie begleiten wird, sitzen übrigens auch Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaft IG Metall, des Arbeitgeberverbands BDA und des Zentralverbands des Deutschen Handwerks.
Weniger freut es mich jedoch, dass die Stoßrichtung der Studie eher einseitig formuliert ist. Zentrale Fragen sollen „die Arbeitszeitwünsche und die Gesundheit der Beschäftigten“ sein. Außerdem solle ein Beitrag zur Förderung von Gleichstellung, Klimaschutz und Arbeitgeberattraktivität geleistet werden. Ob man so auch mehr Klarheit über Machbarkeit schafft, bleibt abzuwarten.
Diskussion vom falschen Ende?
Ohnehin würde die Viertage-Diskussion derzeit „vom falschen Ende her geführt“, glaubt Tobias Hagenau, Gründer und CEO von awork, mit dem ich kürzlich über Pro und Contra der Viertagewoche für Wissensarbeiter gesprochen habe. „Kürzere Arbeitszeiten bei vollem Lohnausgleich wird für die meisten Unternehmen ganz sicher nicht darstellbar sein“, so Hagenau.
Die einzige Variante für kürzeres Arbeiten sei insgesamt weniger Arbeitszeit – aber ohne Lohnausgleich. Doch auch dafür müssten Unternehmen zunächst einiges ändern. Die Frage sei deshalb zunächst nicht, was die Mitarbeitenden wollten, sondern was und wie Unternehmen ihren Mitarbeitenden tatsächlich Arbeitsverkürzungen anbieten können.
„Wir müssen unsere Arbeit insgesamt deutlich effizienter und produktiver gestalten, bevor wir über eine Verkürzung der Arbeitszeiten sprechen“, so Hagenau. Vor allem müssten durch den Einsatz neuer Technologien und Künstliche Intelligenz Prozesse vereinfacht und „Zeitfresser wie Meetings und E-Mail-Kommunikation beschleunigt“ werden.
Auch die Arbeitsorganisation müsste deutlich optimiert werden, weil es da noch „viel zu viele Flickenteppiche in den Unternehmen“ gäbe. „Meiner Beobachtung nach stehen die allermeisten Unternehmen in diesen Dingen noch am Anfang und sind längst noch nicht bereit für nachhaltig kürzere Arbeitszeiten“, glaubt der awork-Chef.
Tijen Onaran: Teures Signal für arbeitende Mütter
Ein anderes Thema. Tijen Onaran, Gründerin von Global Digital Woman (GDW) und von mir sehr geschätzte Vorkämpferin für Diversity und Female Empowerment, hat sich und ihrem Anliegen jetzt vermutlich einen ziemlich teuren Gefallen getan. Als neues Mitglied der TV-Jury von „Höhle der Löwen“ hat Onaran vergangene Woche ihr erstes Investment verkündet: 250.000 Euro für 28 Prozent an Freemom. Dieses Start-up will arbeitenden Müttern helfen, Familie und Job besser unter einen Hut zu bekommen.
Die Idee: Um flexibler in Arbeitszeit und Arbeitsaufwand zu sein, machen die Mütter sich selbstständig und bieten ihre Leistungen auf der neuen Freemom-Plattform an. Arbeitgebende wiederum suchen auf der Plattform ganz gezielt nach arbeitenden Müttern als freie, flexible Mitarbeiterinnen. Nichts gegen die Idee. Ich wünsche Freemom und Onaran von Herzen viel Erfolg damit. Aber irgendwie scheint mir dieses Prinzip doch sehr deutlich aus Angebots- und weniger aus Nachfragesicht konzipiert. Oder was meinen Sie?
Aber sei‘s drum. Onaran selbst betont ja, dass sie mit dem eingesetzten Kapital nicht nur Geld verdienen, sondern auch etwas bewirken will. Und manchmal bewirkt ja auch ein positives, wenn auch teures, Signal schon was.
Currywurst für alle
Zum Schluss noch eine wirklich gute Nachricht: VW zeigt seit vergangener Woche, wie einfach Mitarbeiterbindung sein kann – und wie leicht viele Menschen doch glücklich zu machen sind. Nach zweijähriger Abstinenz serviert der Konzern nun auch in der Kantine des Markenhochhauses in Wolfsburg wieder regelmäßig Fleisch und Fisch – also auch die heißgeliebte Currywurst.
Man komme damit den Wünschen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach, so eine Sprecherin. Und schon sind alle wieder ein kleines bisschen glücklicher.
In diesem Sinne: Eine appetitanregende Woche und bleiben Sie gut drauf!