Hilfreiche Tutorials, geniale Kitchen Hacks, leckere Rezepte und coole Tanzvideos – wer auf Tiktok nach diesen Dingen sucht, wird mit Sicherheit schnell fündig. Doch die Social-Media-Plattform ist längst kein Medium mehr, auf dem sich nur Kids und Teenager tummeln, die auf der Suche nach den neusten Outfit-Inspirationen oder Beauty-Tipps sind.
Auch immer mehr Unternehmen nutzen Tiktok, um die jüngere Zielgruppe zu erreichen und für sie Themen wie Finanzen, Wirtschaft, Politik und Co. greifbarer zu machen. Das hat auch die „Washington Post“ gemerkt und zu ihrem Vorteil genutzt. Das Ergebnis: ein Tiktok-Channel mit mehr als 1,4 Millionen Follower*innen.
Was macht die Washington Post anders?
Andere Tageszeitungen wie beispielsweise die „Daily Mail“ oder die „New York Post“ setzen auf Videos, in denen es um Celebrity Gossip oder die neuesten Panorama-Nachrichten geht, die von einem Sprecher oder einer Sprecherin in oft langweiliger Tagesschau-Manier erzählt werden. Die „New York Times“ oder auch die deutsche „Bild“-Zeitung haben noch nicht einmal einen Tiktok-Channel. Die „Washington Post“ dagegen geht mit der Zeit und präsentiert wichtige, tagesaktuelle Themen auf die Art und Weise, wie es auch zahlreiche Influencer*innen tun würden – in einer Reihe von humorvollen und oft selbstironischen Clips, die zum Teil Millionen von Klicks generieren. Social Media Marketing vom Feinsten.
Der Account des Blattes gehört zu den Pionieren auf Tiktok. Bereits im Mai 2019 wurde der Channel von Dave Jorgenson ins Leben gerufen. Tiktok selbst gab es zu diesem Zeitpunkt in der Form, wie wir es heute kennen, erst seit einem Jahr (davor hieß die Plattform Musical.ly und wurde 2018 in Tiktok umbenannt). Und auch erst 2018 feierte die mobile Video-App ihren großen Durchbruch, im November 2019 erreichte sie eine Milliarde monatlich aktive Nutzer*innen und gehörte damit zu den am schnellsten wachsenden sozialen Netzwerken. Jorgenson ist das Gesicht der „Washington Post“ und Creative Video Producer. Innerhalb eines halben Jahres schafften er und sein Social-Media-Team es, rund 300.000 Follower*innen auf Tiktok zu gewinnen, und das, obwohl die Nutzer*innen der App nicht zur typischen Zielgruppe der Zeitung gehören.
Tiktok ist vor allem bei der Generation Z beliebt. Laut Statista nutzen 41 Prozent der 18- bis 24-Jährigen die App. Der durchschnittliche Abonnent der „Washington Post“ ist laut Jorgensen aber „deutlich über 40“. Der Socia-Media-Experte sieht die Plattform jedoch als „unbeschwertes Nebenprojekt, das heimlich dazu dient, die journalistische Mission der Zeitung zu verstärken und neue Leser anzuziehen“. „Das ist also ein wirklich guter Weg, um jüngere Menschen dazu zu bringen, der Marke zu vertrauen oder die Marke kennenzulernen“, sagte er gegenüber „The Atlantic“.
„Zeitungen sind wie iPads, aber auf Papier“ behauptet die „Washington Post“ von sich. Jorgenson vergleicht die Tiktok-Videos mit redaktionellen Cartoons. „Technisch gesehen gibt es Cartoons seit 300 Jahren in Zeitungen“, erklärte er. Und gerade die Cartoons der „Washington Post“ brachten dem Blatt eine Handvoll Pulitzer-Preise ein. Wieso also nicht auch viral darauf aufbauen? Die Zeitung präsentiert den User*innen deshalb wichtige Themen aus dem tagesaktuellen Geschehen oder der Politik mit Kreativität und Witz (oft auch mit lauter Popmusik unterlegt) – und zwar so, dass sie jeder verstehen kann und nicht erst ein Wörterbuch braucht, um alle Fachbegriffe nachzuschlagen. Die „Washington Post“ nutzt Tiktok eben auf die gleiche Weise wie die Generation Z. Weil die Tageszeitung sich selbst und ihren Content in den sozialen Medien auch nicht allzu ernst nimmt, trifft sie mit ihrer Strategie voll ins Schwarze. Inzwischen zählt ihr Tiktok-Account 1,4 Millionen Follower*innen und generiert mit seinen Clips eine große Reichweite.
Themen für dich und mich
Die Themen gehören zum aktuellen Zeitgeschehen und haben für viele Nutzer*innen eine hohe Relevanz. Dabei stehen vor allem Naturkatastrophen, politische Aufreger oder auch der Krieg in der Ukraine im Fokus. Doch auch Verbraucherthemen rund um Smartphones oder Digitales werden regelmäßig aufgegriffen.
Dass das EU-Parlament jüngst für die Einführung eines einheitlichen Ladekabels (USB-C) gestimmt hat, ist ein großes Thema – zumal die US-Amerikaner auch weiterhin mit unzähligen verschiedenen Modellen zu kämpfen haben. Zwei Millionen Views hat das witzige Video dazu generiert, das den enttäuschten Blick eines Amerikaners zeigt, der einfach kein richtiges Ladekabel für sein Smartphone finden kann.
Die Reise der US-Demokratin Nancy Pelosi nach Taiwan war für die Regierung in Peking ein Affront. Doch ihren umstrittenen Besuch in diesem Sommer verteidigte die Politikerin: „Wir werden es China nicht erlauben, Taiwan zu isolieren“, sagte Pelosi in Washington. Auch diesen Konflikt greift die „Washington Post“ auf und bringt ihn seinen Follower*innen mit einem Clip näher, in dem er von einem vermeintlichen Mitglied einer Boyband besungen wird. Kein konventioneller Weg, solch ein Thema zu erläutern. Diese gänzlich andere Art und Weise, Content mit ernstem Hintergrund zu beleuchten, wurde aber mit 1,7 Millionen Views belohnt.
Auch die Pandemie wird thematisiert. Und obwohl es auch hier um ein ernstes Thema geht, verpackt die Tageszeitung alle Informationen darüber in einem slapstick-artigen Clip, über den man herzlich lachen muss. Und das ist besser, als im Hinblick auf die ganzen Corona-Sicherheitsmaßnahmen und Regelungen zu weinen. Wie sich vor allem Eltern mit Schulkindern durch das Dickicht an Informationen schlagen müssen und das Thema „Homeschooling“ angehen, zeigt ein Video, in dem ein Vater den Lehrer seines Sohnes über einen Videocall anruft und mit Fragen wie „Wann gibt es wieder normalen Unterricht?“ oder „Müssen wir eine Maske tragen?“ bombardiert.
Immerhin eine halbe Million Views generierte ein Video, das die Durchsuchung von Donald Trumps Anwesen in Mar-a-Lago durch das FBI auf besonders sarkastische Weise präsentiert. Der Star des Clips: ein schmieriger FBI-Agent mit Sonnenbrille und Föhnfrisur, der dem Ex-Präsidenten so richtig einheizen will.
Wer ist der Washington Post Guy?
In den meisten Clips spielt Dave Jorgenson selbst die Hauptrolle: „Er launchte den Tiktok-Channel im Mai 2019 und keiner hat ihm je gesagt, dass er es lassen soll“, beschreibt die „Washington Post“ Jorgensons Job (natürlich) mit einem Augenzwinkern auf der Webseite.
Der Social-Media-Manager weiß genau, was bei den Zuschauer*innen ankommt und punktet vor allem mit Humor und Charme. Sein Wissen über Tiktok behält Jorgenson dabei nicht für sich, sondern teilt es. In seinem Buch „Make a Tiktok every day“ (zu deutsch: „Mache jeden Tag ein Tiktok“) gibt er 365 Tiktok-Ideen für jeden Tag: „Tanze mit deinem Hund“ oder „Sag’ nette Dinge zu deiner Zimmerpflanze und beobachte, ob sie schneller wächst“, um nur einige zu nennen. Sein Motto: Ein Video mit einer witzigen Idee geht dann viral, wenn es die Aufmerksamkeit der User*innen in weniger als 15 Sekunden auf sich ziehen kann. Eine Strategie, die bislang aufzugehen scheint – zumindest auf dem Tiktok-Account der „Washington Post“.