Herr Conrad, Sie gelten als Werbelegende, Kreativpapst und Texter-Urgestein. Welches Etikett ist Ihnen denn am liebsten?
MICHAEL CONRAD: Wenn überhaupt, bitte einen Buchstaben austauschen: Werbelegente. Ich hatte gute und schlechte Eier, faule aber auch.
Sie haben 2004 die Präsidentschaft der Berlin School Creative Leadership übernommen. Warum ist Ihnen das Thema immer noch so wichtig?
Unternehmen der kreativen Industrien sind nur wirklich kreative Unternehmen, wenn sie auch von Kreativen aktiv und unternehmerisch geführt oder mitgeführt werden. Das ist in der Regel nicht der Fall. Wir wollen großartigen Kreativen helfen, diesen Schritt zu meistern. Und tun das erfolgreich – mit Teilnehmern aus mittlerweile 69 Ländern.
Fragt sich bloß: Wieviel Kreativität braucht Werbung noch in Zeiten von Social Media, Influencer Marketing und Digitalmarketing?
Mehr denn je. Aber viel Kommerzielles auf sozialen Plattformen will möglichst viele Likes und ist oft ziemlich losgelöst von einer integrierten Markenstrategie. Nehmen Sie das Video „First Kiss“ für das Mode-Label Wren Studio, auf dem sich Unbekannte küssen, und vergleichen es mit „Like A Girl“ für die Marke Always. Beide haben etwa 300 Millionen Views produziert. „Like A Girl“ punktet für die Marke, unmissverständlich. Kaum jemand erinnert sich an die Modemarke hinter „First Kiss“.
Sie haben Kreativität mal als „Denken gegen die Norm“ definiert. Da muss Sie die heutige KI-, Algorithmen- und Datengläubigkeit doch wahnsinnig machen.
Überhaupt nicht. Daten waren schon immer wichtig, wenn auch vielleicht nicht ganz so übertrieben wie heute. KI zum Beispiel öffnet. Schauen Sie sich die Kampagne „Unsilensed JFK“ an. The Times und die Agentur Rothco haben die Rede, die John F. Kennedy 1963 in Dallas hätte halten wollen, atemberaubend zum Leben erweckt – mithilfe von AI und Creative Data. Zu Recht haben sie dafür 2018 einen Grand Prix in Cannes gewonnen.
Sagen Sie jetzt nicht auch noch: „Influencer Marketing ist super“.
Doch. Zunächst einmal ist die Mechanik ja gar nicht neu. Und wenn Marken ihre Botschaften heute über Influencer verbreiten, die in ihrer Community glaubwürdig etabliert sind, kann das ganz hervorragend funktionieren. Wenn, und das ist entscheidend, Influencer kreativ sind und mit den Botschaften spielen können.
Viele Unternehmen fürchten genau dann den Verlust der Macht über ihre Marke.
Richtig gebrieft können Influencer glaubwürdige Empfehler, sogar Evangelisten für eine Marke sein. Wenn eine Marke sich in einem Satz oder gar in einem Wort erklären kann, dann ist es für niemanden schwierig, eine Marke, ihre Persönlichkeit und Ziele zu verstehen. Nehmen Sie Teslas „To free human kind from fossil fuel“ oder Volvos „safe“. Das Problem ist: Die meisten Unternehmen haben ihren „purpose“, wenn sie einen haben, nicht derart einfach und inspirierend artikuliert.
Was machen Sie eigentlich, wenn Sie nicht an Werbung denken?
Meine Frau und ich lieben Musik und Theater, gehen fast jedes Jahr zu den Salzburger Festspielen. Und einige Gitarren warten an einigen Locations bespielt zu werden.
Was steht auf Ihrer persönlichen To-Do-Liste ganz oben?
Ich habe mir für dieses Jahr vorgenommen, über meinen eigenen Schatten zu springen.
Hat es geklappt?
Ich arbeite daran. Man muss beim Landen immer wieder aufpassen, dass man noch ein bisschen Boden unter den Füßen hat.
Steckbrief Michael Conrad
Heutiger Job: Präsident Berlin School of Creative Leadership
Erster Job: Als Achtjähriger, Spargelstechen
Lebensmotto: Wenn was schief läuft, mal sehen, für was es gut ist
Beste Entscheidung im Job bislang: Öfter das tun, was andere nicht für möglich halten
Größtes Learning im Job bislang: Ziele setzen, die Lust produzieren, sie zu erreichen.