Von Anja Sturm
Frau Handel-Jung, sind Sie heute auch ohne Bahn wunschlos glücklich?
GABRIELE HANDEL-JUNG: Wunschlos glücklich war ich noch nie, dazu ist die Welt viel zu spannend. Wenn mir wirklich manchmal etwas fehlt, ist es eine leichte Hektik.
Bahn-Chef Richard Lutz sagte jüngst im „Tagesspiegel“: „Wer depressiv veranlagt ist, sollte besser nicht zur Bahn gehen.“ Wie sehr schmerzt Sie so was noch?
So wie ich Richard Lutz kenne, passt diese Aussage nicht zu seiner Einstellung. Depression und Pessimismus sind bei der Bahn nicht angesagt. Das Unternehmen hat weiterhin ein enormes Potenzial. Aber natürlich kann man bei einem Konzern wie der DB nicht die gleiche Geschwindigkeit zugrunde legen wie bei einem Start-up.
Steckbrief Gabriele Handel-Jung
Heutiger Job: Geschftsführerin CoMMS
Erster Job: Interviewerin für Infratest
Lebensmotto: Leben heißt HANDELn
Beste Entscheidung im Job bisher: Fliegen auf Höhe Null
Größtes Learning: Vermeintlich Unlösbares lösbar machen
Sie waren in der Bahn-Kommunikation so etwas wie der Fels in der Brandung: Zwölf Jahre Leiterin Marketingkommunikation und Media, dann Leiterin Konzernmarketing. Ihre Nachfolgerin Antje Neubauer braucht schon nach knapp zwei Jahren eine Auszeit und geht im Spätsommer 2019. Ist der Job heute so viel anstrengender als zu Ihrer Zeit?
Ich war über 20 Jahre bei der DB und bei Lufthansa. Mein Job hat mir immer sehr viel Freude bereitet und mich bereichert. Ich habe die Aufgaben und Herausforderungen nicht als Belastung empfunden, sondern als Chance gesehen. Wenn man Verantwortung übernehmen will, gehören Mut, Persistenz und ein hohes Maß an Resilienz zu den Eigenschaften, die es braucht, um erfolgreich zu sein.
Die Marketing- und Kommunikationsbranche verändert sich derzeit massiv. Künstliche Intelligenz, Chatbots, Sprachassistenten, Influencer-Marketing – welche Entwicklung hätten Sie gerne selbst bei der Bahn noch aktiv begleitet?
Viele der angesprochenen Entwicklungen begannen schon während meiner Zeit. Neue Technologien haben wir ausprobiert und umarmt. Gemeinsam mit dem Vertrieb haben wir uns an die Spitze der Bewegung gesetzt und in Algorithmen zur Mediasteuerung investiert. Das war fast so etwas wie eine Königsdisziplin.
Und welche der aktuellen Trends halten Sie für komplett überzogen?
Zum einen die Macht durch die sozialen Kanäle. Sie bergen das Risiko einer erhöhten Manipulierbarkeit. Zum anderen den fast uneingeschränkten Glauben an die sozialen Kanäle. Nur ein Spektrum der Konsumentenlandschaft zu bedienen ist leichtfertig – gerade wenn man an die Marktmacht der über 50-Jährigen denkt. In den nächsten drei bis fünf Jahren ist das auch die Chance für Agenturen anderen Zuschnitts.
Ende 2018 haben Sie CoMMS gegründet, eine Beratung für Media, Sponsoring und Kommunikation. Was genau machen Sie dort?
Ich habe das Mentoring für Menschen mit unterschiedlicher Profession übernommen und unterstütze und berate vor allem Frauen auf dem Weg zur Führungskraft. Da ich meinen Weg alleine gegangen bin, weiß ich, wie wertvoll es ist, mit neutralen Ratgebern den Lebenskurs zu überprüfen. Vorstellbar sind für mich zudem Projekte im Bereich der Marketingkommunikation in mittelständischen Unternehmen. Ein Herzensbedürfnis wäre mir, den DFB bei der noch sehr schwachen Vermarktung der Frauen-Nationalmannschaft zu unterstützen.
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