Der Beitrag fasst die ermittelten Erfolgsfaktoren für eine produktive Zusammenarbeit zwischen Marketing und Vertrieb zusammen. Gewiss ist keiner dieser Erfolgsfaktoren sensationell neu – denn einen „Stein der Weisen“ haben auch die erfolgreichen Unternehmen nicht. Stattdessen treffen die erfolgreichen Unternehmen in vielen kleinen Details richtige Weichenstellungen. Und dies nicht nur einmal, sporadisch, zufällig, sondern regelmäßig, systematisch und kontinuierlich.
Erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Marketing und Vertrieb ist also nicht kurzfristig durch Umlegen eines Hebels zu erreichen, sondern das Ergebnis langer Kleinarbeit. Wer die Zusammenarbeit zwischen Marketing und Vertrieb optimieren möchte, sollte deshalb nicht auf eine Gesamtlösung warten, etwa ein neues IT-System: Es gilt, heute anzufangen und in kleinen Schritten mit einer mittelfristigen Perspektive Erfolgsfaktor um Erfolgsfaktor zu implementieren.
Dazu gehören:
- Die Erfolgsfaktoren im Bereich des „Mindsets“
- Die Erfolgsfaktoren im Bereich der handelnden Personen
- Die Erfolgsfaktoren im Bereich der Informationshandhabung
- Die Erfolgsfaktoren im Bereich der organisatorischen Rahmenbedingungen
Die Erfolgsfaktoren im Bereich des „Mindsets“
Erfolgsfaktor 1: Streben Sie keine perfekte Harmonie zwischen Marketing und Vertrieb an. Pflegen Sie stattdessen eine Kultur des produktiven inhaltlichen Konflikts. Achten Sie aber darauf, dass die inhaltlichen Konflikte nicht ins Persönliche eskalieren.
Häufig ist zu hören, dass man Harmonie zwischen Marketing und Vertrieb herstellen müsse, um erfolgreich am Markt zu agieren. Es wird gefordert, dass beide Abteilungen so zusammenarbeiten sollten, dass möglichst gar keine Konflikte entstehen. Unsere Studien zeigen jedoch, dass zuviel Harmonie auch schaden kann. Konkret: Nicht alle Konflikte sind negativ zu sehen.
Entscheidungsqualität kann durch „produktive Konflikte“ durchaus erhöht werden. Ein gutes Beispiel ist hier das Preismanagement, wo ein gesundes Konfliktmaß zwischen Marketing und Vertrieb vor zu starker Nachgiebigkeit an der Preisfront bewahren kann. Es zeigt sich auch immer wieder, dass unbequeme Wahrheiten über Veränderungen der Marktgegebenheiten gerade in solchen Umgebungen untergehen, in denen man sich konstant gegenseitig bestätigt.
Entscheidend ist aber, dass die Konflikte stets auf einer inhaltlich-sachlichen Ebene bleiben und nicht auf die Macht- und Beziehungsebene überschwappen. Das ist nicht immer einfach. Es ist eine entscheidende Führungsaufgabe, in solchen Situationen sicherzustellen, dass bei Entscheidungen auch „das Gesicht“ der Personen gewahrt bleibt, deren Position nicht zum Zuge kommt. So sollten z.B. in der Diskussion bestimmte Positionen nach Möglichkeit nicht mit einzelnen Personen gleichgesetzt werden, sondern losgelöst vom Vorschlagenden besprochen werden. Wird eine inhaltliche Niederlage erst einmal als eine persönliche Niederlage empfunden, so ist die dadurch geschaffene Unruhe häufig nur schwierig aus der Welt zu schaffen.
Erfolgsfaktor 2: Legen Sie die Rollen und den inhaltlichen Konflikt von Marketing und Vertrieb so an, dass das Marketing das Geschäft unter produktbezogenen und der Vertrieb unter kundenbezogenen Gesichtspunkten optimiert.
Unsere Studien zeigen, dass die erfolgreichsten Unternehmen solche sind, deren Entscheidungen aus einem produktiven Konflikt zwischen produktbezogener Optimierung und kundenbezogener Optimierung hervorgehen. Die Leitidee ist das auch in demokratischen Systemen verankerte Prinzip von „checks and balance“. Es gibt keine ultimativ höchste Instanz mit alleiniger Richtlinienkompetenz. Um eine solche Konstellation herzustellen, bietet es sich an, dass das Marketing das Geschäft unter produktbezogenen und der Vertrieb unter kundenbezogenen Gesichtspunkten optimiert.
Um nicht missverstanden zu werden: Es geht hier um eine Rollenaufteilung, nicht um Fähigkeiten. Wir werden später noch zeigen, dass Fähigkeitsunterschiede zwischen Marketing und Vertrieb schädlich sind. Die Idealkonstellation ist in unseren Augen die, dass z.B. ein Marketingleiter auch den Job des Vertriebsleiters ausüben könnte und umgekehrt. Nicht Fähigkeitsunterschiede sollten also der Grund für Aufgabenteilung zwischen Marketing und Vertrieb sein, sondern eine bewusst angelegte Grundspannung im Interesse des Gesamtwohls des Unternehmens.
Erfolgsfaktor 3: Vermeiden Sie eine Dominanz produkt- und technikorientierten Denkens. Stellen Sie sowohl in Marketing und Vertrieb ein hohes Maß an Marktorientierung sicher.
Wie bereits in unseren Ausführungen zum Erfolgsfaktor 1 dargelegt: Inhaltliche Konflikte nicht zu persönlichen Grabenkämpfen entarten zu lassen, ist eine Vorraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit, aber immer auch eine Gratwanderung. Solche Grabenkämpfe neigen immer dann zu entstehen, wenn Marketing und Vertrieb einen ausgesprochenen Binnenfokus haben. Ein solcher Binnenfokus äußert sich oft in einer Dominanz produkt- und technikorientierten Denkens. Ganz anders verhält es sich in Unternehmen, die sowohl im Marketing als auch im Vertrieb ein hohes Maß an Marktorientierung haben. Dort orientieren sich die internen Spieler an einem gemeinsamen Ziel (dem Kunden) bzw. einem gemeinsamen „Gegner“ (dem Wettbewerber). Wissenschaftliche Arbeiten zeigen immer wieder, dass eine solche Außenorientierung Konflikte in einem Unternehmen entspannen kann. Energien werden nach außen gerichtet und nicht für interne Konflikte ver(sch)wendet.
Erfolgsfaktoren im Bereich der handelnden Personen
Erfolgsfaktor 4: Stellen Sie sicher, dass die Kenntnisse von Marketing und Vertrieb nicht auseinander klaffen, insbesondere im Hinblick auf Produkte und Märkte.
Unsere Daten zeigen, dass solche Marketing- und Vertriebsbereiche besonders gut zusammenarbeiten, deren Kenntnisse über den Markt und über die Produkte nicht auseinanderklaffen. Das hat mindestens drei Gründe.
Erstens führen Wissensunterschiede häufig zu einem gesteigerten Überlegenheitsgefühl in dem Bereich, der einen deutlichen Wissensvorsprung hat. Ein solches Statusdenken trägt dann schnell dazu bei, dass persönliche Konflikte entstehen, die einer produktiven Zusammenarbeit – wie bereits ausgeführt – sehr im Wege stehen können.
Zweitens sind produktive Konflikte immer Konflikte zwischen Vorschlägen, die aus ihrer jeweiligen Perspektive „richtig“ sind. Die gemeinsame Linie kann dann das „Beste beider Welten“ repräsentieren. Wenn aber eine Seite keine Ahnung von dem Punkt hat, über den diskutiert wird, besteht das Risiko, dass sie zu schlichtweg falschen Schlüssen kommt. Jede Kompromisslinie kann dann nur eine Verschlechterung der inhaltlichen Qualität bedeuten.
Drittens zeigt sich immer wieder, dass ein gleicher Wissensstand in beiden Bereichen Entscheidungsprozesse erheblich beschleunigen kann. Es vergeht weniger Zeit für „interne Aufklärung“ und das Risiko für unproduktive Missverständnisse kann verringert werden.
Erfolgsfaktor 5: Achten Sie beim Recruitment nicht nur im Vertrieb, sondern auch im Marketing auf ausgeprägte soziale Fähigkeiten (zum Beispiel Kommunikationsfähigkeiten, Extrovertiertheit, Fähigkeit, sich in Andere hineinzuversetzen).
Wie bereits mehrmals hervorgehoben, sind persönliche Konflikte zwischen Marketing- und Vertriebsmitarbeitern Gift für eine produktive Zusammenarbeit. Es ist wichtig, dass zwischen den Mitarbeitern aus beiden Bereichen „die Chemie“ stimmt.
Die Ergebnisse unserer Befragung zeigen deshalb auch deutlich: In professionell abgestimmten Marketing- und Vertriebsbereichen haben die Mitarbeiter durch die Bank weg eine weitaus stärkere Sozialkompetenz als die Mitarbeiter bei den sich selbst blockierenden Marketing- und Vertriebsbereichen. Abbildung 1 zeigt deutliche Unterschiede bezogen auf ihre kommunikativen Fähigkeiten, ihr Verhandlungsgeschick, ihr Einfühlungsvermögen, ihre Teamfähigkeit und ihre Konfliktfähigkeit.
Abbildung 1: DIE BEDEUTUNG SOZIALER FÄHIGKEITEN FÜR EINE ERFOLGREICHE ZUSAMMENARBEIT
Im Vertrieb sind soziale Fähigkeiten der Mitarbeiter oft selbstverständlich, da im Kundenkontakt unabdingbar. Bei Marketingmitarbeitern kann es jedoch vorkommen, dass geringe soziale Fähigkeiten zuweilen für hohe analytische Fähigkeiten in Kauf genommen werden. Dies kann sich jedoch mittelfristig als Hypothek im internen Kundenkontakt zwischen Marketing und Vertrieb erweisen. Um die Zusammenarbeit zwischen Marketing und Vertrieb zu verbessern, sollten daher mangelnde soziale Fähigkeiten auch im Marketing-Recruitment als „K.O.-Kriterium“ behandelt werden.
Erfolgsfaktor 6: Sorgen Sie dafür, dass Mitarbeiter in Marketing und Sales „die andere Seite des Zauns“ kennen. Fördern Sie funktionsübergreifende Karrierepfade.
Abstimmungsprobleme zwischen Marketing und Vertrieb sind oft auch einfach darin begründet, dass die eine Seite die andere Seite gar nicht kennt, zum Beispiel wenn bestimmte Anfragen aufgrund technischer Prozessdetails nur unter großen Schwierigkeiten durchzuführen sind.
Unsere Daten zeigen, dass gerade in professionell abgestimmten Marketing- und Vertriebsbereichen hier ein einfaches Prinzip Abhilfe schafft: funktionsübergreifende Karrierepfade (vgl. Abbildung 2). Vor allem im Marketing ist Vertriebserfahrung ein wichtiges Einstellungskriterium und wird zusätzlich durch Job-Rotation-Maßnahmen gefördert. Was auch sonst immer häufiger zu beobachten ist, hier wird es wieder deutlich: Schornsteinkarrieren sind ein Auslaufmodell. Marketingmanager ohne Vertriebserfahrung sind ein „Unding“. Nur, wer selbst Kunden und ihre Bedürfnisse und Wünsche kennen gelernt hat, kann effektiv Marketingentscheidungen treffen.
Unser Eindruck ist, dass auf der Leitungsebene von Marketing und Vertrieb durch solche funktionsübergreifenden Karrierepfade eine neue Managergeneration heranwächst. Die Vertriebsleiter haben Marketingerfahrung, und die Marketingleiter haben Vertriebserfahrung. Dadurch nähert sich auch das gegenseitige Rollenverständnis an: Das Rollenverständnis des Vertriebsleiters wandelt sich vom „Chef-Verkäufer“ zum „System-Manager“, das des Marketingleiters vom „Change-Agent“ zum Unterstützer und Sparringspartner des Vertriebs.
Erfolgsfaktor 7: Sorgen Sie dafür, dass Memos und Emails die mündliche Kommunikation nicht in den Hintergrund drängen.
War zwischen Marketing- und Vertriebsbereichen früher eine regelrechte Memokultur (z.B. Berichte von Kundenbesuch im Rundlauf) zu beobachten, hat heute der Siegeszug der Email in vielen Marketing- und Vertriebsabteilungen zur Informationsexplosion geführt. Die Konsequenz: Die Informationsflut im Outlook-Briefkasten erschwert vielerorts eine sinnvolle Selektion wichtiger Informationen.
Hinzu kommt ein weiteres Phänomen, das wir als „cc-Manie“ bezeichnen: Es ist einfacher als je zuvor, Kolleginnen und Kollegen auch an eigentlich banalen Mailwechseln zu beteiligen. Dabei sind es oft drei Gründe, warum Kollegen ins „cc:“ gesetzt werden: Selbstdarstellung, Selbstabsicherung und Selbstrechtfertigung. Verantwortung lässt sich per cc. leicht abschieben, nach dem Motto: „Das habe ich Ihnen doch zugemailt“. Kommunikation wird so nicht nur umständlicher, das Konfliktpotenzial wird auch deutlich gesteigert.
Es ist müßig, die Vorteile mündlicher Kommunikation herauszustellen. Der Detaillierungsgrad der Information ist höher, das Gegenüber kann sofort reagieren und das Risiko von Missverständnissen durch non-verbale Kommunikation ist geringer. Mimik, Gestik und Tonfall als Instrument, z.B. zur Relativierung von Kritik, lassen sich häufig nicht ersetzen.
Es überrascht daher nicht, dass Unternehmen, die erfolgreich eine Sanierung bewältigt haben, sich von weniger erfolgreichen Sanierungsfällen vor allem durch die stärkere Betonung mündlicher Kommunikation im Unternehmen unterscheiden (Homburg/Demmler 1994). Diese Vorteile der mündlichen Kommunikation zeigen sich auch deutlich in den von uns befragten Marketing- und Vertriebsbereichen. Dort, wo viel miteinander gesprochen wird, sei es telefonisch oder in Meetings, klappt die Zusammenarbeit deutlich besser.
Die Erfolgsfaktoren im Bereich der Informationshandhabung
Erfolgsfaktor 8: Lassen Sie nicht zu, dass (unterschiedliche) IT-Systeme eine Trennlinie zwischen Marketing und Vertrieb ziehen.
Trotz vieler CRM-Bemühungen beobachten wir in vielen Marketing- und Vertriebsbereichen, dass Kundeninformationen noch immer nicht zentral gesammelt werden, sondern über verschiedene Datenbanken verstreut sind (zum Beispiel im Beschwerdemanagement, im Kundendienst und beim Außendienst). Die Folge: Eine geringe Schlagkraft, wenn es „drauf ankommt“, zum Beispiel, wenn schnelle Marketingaktionen durchgeführt werden sollen.
Darüber hinaus wird eine periodengerechte Ermittlung des Produkterfolgs durch den exzessiven Einsatz von Gutschriften und Naturalrabatten erschwert. Noch schwieriger wird es, wenn Gutschriften nicht artikelnummerngenau verbucht werden oder Naturalrabatte in Form von Verbrauchsmaterialien nicht den (Gebrauchs)-Gütern zugeordnet werden, für die sie einen Preisnachlass darstellen. Wenn Marketing und Vertrieb sich hier nicht auf Spielregeln einigen, wird die Periodenerfolgsermittlung immer wieder in endlose Diskussionen über das „wahre Bild“ ausarten.
In professionell abgestimmten Marketing- und Vertriebsbereichen sind die IT-Systeme sinnvoll vernetzt. Das heißt zum Einen, dass eine gezielte Weiterleitung wichtiger Informationen einfach möglich ist, zum Anderen, dass die IT-Systeme eine Informationsaufbereitung ermöglichen, die dem jeweils anderen Bereich eine gezielte Nutzung der Informationen erlaubt (vgl. Abbildung 3).
Abbildung 3: DIE BEDEUTUNG INTEGRIERTER IT-SYSTEME FÜR EINE ERFOLGREICHE ZUSAMMENARBEIT
Konkret heißt das für die Ausgestaltung der IT-Systeme:
- Die IT-Landschaften sollten integriert werden, d.h. die Systemvielfalt sollte eingedämmt werden, und elektronische Schnittstellen sollten durch Middleware überbrückt werden.
- Die Intranets von Marketing und Vertrieb sollten füreinander frei geschaltet werden. Marketing- und Vertriebsmitarbeiter sollten Zugriff auf dieselben IT-Sichten haben.
- Mitarbeiter aus beiden Bereichen sollten an der Entwicklung standardisierter Reports beteiligt werden.
Erfolgsfaktor 9: Eliminieren Sie „Blindleistungen“ und Informationsüberflutung. Lassen Sie Marketing und Vertrieb der anderen Seite genau die Informationen liefern, die auch benötigt werden.
Gerade in Bezug auf Informationssysteme beobachten wir in Unternehmen häufig, dass zahlreiche „Blindleistungen“ erbracht werden. Häufig existieren einmal beschlossene Auswertungen immer weiter, ohne dass Sinn und Zweck der Auswertung hinterfragt werden. Häufige Ursache: Der entsprechende Report ist auf Initiative einer Person installiert worden, diese Person hat ihre Position oder das Unternehmen aber schon lange verlassen.
Dies führt dazu, dass Entscheider in Marketing und Vertrieb regelmäßig mit einer Flut an überflüssigen Informationen versorgt werden. Das Zuviel an Informationen erzeugt jedoch eher Frust und verhindert eine systematische Nutzung wichtiger Informationen aus dem jeweils anderen Bereich. Wir wollen an dieser Stelle nicht das Hohelied amerikanischer Gesetzgebung singen. Ein Punkt erscheint uns jedoch bedenkenswert. In vielen amerikanischen Bundesstaaten enthalten Gesetze einen so genannten „Sonnenuntergangsparagraphen“. Im Gesetz ist bereits geregelt, wann es seine Gültigkeit verliert. Wie wäre es, ein solches „Verfallsdatum“ auch für Reports zu etablieren?
So kann unter Umständen das Verhalten gestärkt werden, das unsere Daten als Erfolgsfaktor ausweisen: Die Nutzung von Informationen aus dem anderen Bereich. Gerade hier unterscheiden sich professionell abgestimmte Marketing- und Vertriebsbereiche deutlich von den Selbstblockierern. Um die Informationsnutzung sicherzustellen, sollte neben einer regelmäßigen Überprüfung regelmäßiger Auswertungen auch die Anzahl der ausgewerteten Kennzahlen auf ein kleines, aussagekräftiges Set reduziert werden, das von Mitarbeitern beider Bereiche definiert wird. Schließlich sollte der vom Empfänger benötigte Detailgrad regelmäßig hinterfragt werden. Ein typisches Beispiel ist hier, dass die Produktion für die Produktionsplanung Absatzprognosen auf der Ebene von Produktplattformen benötigt, das Produktmanagement den Vertrieb aber Prognosen auf der Detailebene von einzelnen Produktvarianten erstellen lässt.
Das Problem liegt also weitestgehend nicht in der Menge der Informationen, die zwischen Marketing und Vertrieb ausgetauscht werden, sondern vielmehr in ihrem praktischen Nutzwert. Daneben ist auch die Frage entscheidend, wofür die Informationen genutzt werden. Prinzipiell gibt es zwei Einsatzgebiete für Informationen: die Planung neuer Maßnahmen und die Kontrolle bereits durchgeführter Maßnahmen. Wir beobachten häufig, dass Informationen erst dann eingesetzt werden, wenn die entsprechende Maßnahme bereits abgeschlossen ist. Jedoch: Im Nachhinein sieht es immer so aus, als hätte man es vorher besser wissen können. Unsere Daten zeigen deshalb auch deutlich: Professionell abgestimmte Marketing- und Vertriebsbereiche zeichnen sich dadurch aus, dass Informationen bereits im Vorfeld von Marktbearbeitungsmaßnahmen und im täglichen Geschäft eingesetzt werden.
Erfolgsfaktor 10: Unterbinden Sie Informationsmonopole. Behandeln Sie Informationen als Bringschuld. Praktizieren Sie Transparenz.
Die Verbreitung und Nutzung von Informationen spielen, wie zuvor gesehen, eine wichtige Rolle bezogen auf den Unterschied zwischen professionell abgestimmten und sich selbst blockierenden Marketing- und Vertriebsbereichen. Der wichtigste Unterschied liegt jedoch in der Bereitschaft, auf Informationsanfragen „außer der Reihe“, d.h. außerhalb der etablierten Auswertungen und Reports, einzugehen.
Unsere Daten zeigen deutlich, dass diese Bereitschaft in professionell abgestimmten Marketing- und Vertriebsbereichen höher ist als in den ausgiebig streitenden Marketing- und Vertriebsbereichen (vgl. Abbildung 5).
Abbildung 4: DIE BEDEUTUNG DER INFORMATIONSBEREITSCHAFT FÜR EINE ERFOLGREICHE ZUSAMMENARBEIT
Gerade bei Unternehmen, deren Marketing- und Vertriebsbereiche sich eher selbst blockieren, beobachten wir, dass Informationen ein wichtiges Machtinstrument darstellen. Vertriebsmitarbeiter haben hier oft Angst, dass ein „gläserner Vertrieb“ sie überflüssig machen könnte. Kundenkenntnis und Kundenvertrauen sind ihre Jobgarantie.
Hinzu kommen enttäuschende Erfahrungen mit der Weitergabe von Erfahrungen. Viele Vertriebsmitarbeiter berichten, dass sie regelmäßig auf Anfrage aus der Zentrale oder aus dem Marketing mit großem Zeitdruck Informationen zusammenstellen und Formulare ausfüllen müssen. In den seltensten Fällen werde dabei erläutert, wozu das Ganze dienen solle, und erfolge hinterher ein Feedback, welchen Nutzen der Aufwand gebracht habe.
Hier muss es ein zentrales Anliegen sein, Vertrauen wiederherzustellen. Zum Beispiel sollte deutlich gemacht werden, dass eine Weitergabe von Kundeninformationen durch den Vertrieb noch keinesfalls eine Aufgabe der eigenen Machtposition bedeutet, da die persönliche Kundenkenntnis und das dazugehörige Vertrauensverhältnis dadurch noch nicht preisgegeben werden.
Darüber hinaus kann Vertrauen durch geregelte Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse geschaffen werden. Hierauf gehen wir im Rahmen der Diskussion der folgenden Erfolgsfaktoren ein.
Erfolgsfaktoren im Bereich der organisatorischen Rahmenbedingungen
Erfolgsfaktor 11: Stellen Sie sicher, dass Marketing und Vertrieb „auf Augenhöhe“ miteinander reden. Sorgen Sie möglichst für eine gleichgewichtige Machtverteilung zwischen Marketing und Vertrieb.
Bestehen deutliche Machtunterschiede zwischen Marketing und Vertrieb, so beobachten wir häufig, dass dies zu Versuchen der benachteiligten Einheit führt, sich Einflusssphären zu sichern und ein Gleichgewicht herzustellen. Ein gutes Beispiel ist die im vorigen Punkt angesprochene Hortung von Informationen. Zudem verringern Machtunterschiede die Zahl der in internen Diskussionen berücksichtigten Perspektiven und damit die Ergebnisqualität. Daher zeichnen sich vor allem die professionell abgestimmten Marketing- und Vertriebsbereiche dadurch aus, dass sie sich „auf Augenhöhe“ gegenüberstehen.
Erfolgsfaktor 12: Lassen Sie nicht zu, dass einzelne Bereiche wie „unguided missiles“ agieren. Lassen Sie unklare Prozesse und unklare Verantwortlichkeiten nicht zur Quelle von Konflikten werden.
Wer Tennis-Doppel spielt (oder ansieht), weiß, dass gerade uneingespielte Doppelpartner große Probleme mit genau in die Mitte gespielten Bällen haben. Oft ist unklar, wer für den Ball zuständig ist, und nicht selten behindern sich die Doppelpartner gegenseitig im Bestreben, die Situation zu bereinigen. Wir beobachten immer wieder, dass zwischen Marketing- und Vertriebsbereichen ähnliche „organisatorische Bermuda-Dreiecke“ bestehen. Es fehlen klar definierte organisatorische Verantwortlichkeiten und Abstimmungsprozesse. Unsere Daten zeigen, dass professionell abgestimmte Marketing- und Vertriebsbereiche hier deutlich besser aufgestellt sind als ihre in Grabenkämpfen verharrenden Counterparts der „Selbstblockierer“. Wichtige Abstimmungsprozesse sind hier klar definiert.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Wenn wir von „klar definierten Prozessen“ sprechen, ist das nicht mit ISO-Bürokratie zu verwechseln. Jedoch trägt ein geteiltes, klares Verständnis vom Ablauf zentraler Abstimmungsprozesse viel dazu bei, dass Revierkämpfe nicht auf täglicher Basis neu ausgetragen werden. Zudem helfen sie, klare Rollenmodelle für die Mitarbeiter beider Bereiche zu etablieren. Auch wenn das Thema fast abgedroschen ist: Auch die Tatsache, dass es in den meisten Marketing- und Vertriebsbereichen keine Stellenbeschreibungen gibt, trägt zu der oben beschriebenen Verwirrung bei.
Derart klar definierte Abstimmungsprozesse sollten unbedingt für die internationale Zusammenarbeit des Marketing mit allen lokalen Vertriebsorganisationen gelten. Hier muss häufig viel Zeit dafür investiert werden, dass die unterschiedlichen Länder verstehen, dass sie nicht alleine auf der Welt sind. Kurz: „Extrawürste“ sind kritisch zu sehen. Gerade, wenn man am Markt individualisiert auftreten möchte, müssen die internen Abstimmungsprozesse „gut geölten Maschinen“ gleichen.
Erfolgsfaktor 13: Lassen Sie sich von Misserfolgen bei bereichsübergreifender Teamarbeit nicht entmutigen. Betrachten Sie Teams aber auch nicht als Selbstläufer, sondern stellen Sie nötige Projektmanagement-Fähigkeiten und Unterstützung sicher.
Nach der großen Teameuphorie in den 90er Jahren erleben wir heute, dass der Einsatz von Teams in vielen Unternehmen umstritten ist. Sprüche, wie „Team heißt: Toll ein anderer macht’s“ zeugen von dem Zynismus, der sich bezogen auf Teamarbeit in einigen Unternehmen breit gemacht hat. Zu dem Frust hat sicherlich auch beigetragen, dass vom Management nicht selten gerade ungelöste Probleme auf Teams abgewälzt wurden und diese so als Mechanismus zur Problemverdrängung entwertet wurden.
Dennoch sollte man sich trotz anfänglicher Fehlschläge und Kinderkrankheiten nicht dazu verleiten lassen, Teams in Bausch und Bogen zu verdammen. Unsere Daten zeigen deutlich: Erfolgreich kooperierende Marketing- und Vertriebsbereiche setzen stark auf bereichsübergreifende Teams. Sie haben es gelernt, mit Teams „umzugehen“ und diese sinnvoll einzusetzen.
Voraussetzung hierfür ist eine hohe organisationale Teamfähigkeit. Es ist z.B. auch ein Zeichen mangelnder interner Projektmanagement-Skills, wenn regelmäßig externe Berater ins Haus geholt werden müssen, um eine interne Teamarbeit zu koordinieren. Auch fehlt vielen Teams bei ihrer Entscheidungsfindung die Verankerung in Top Management Strukturen, so dass die gemeinsam getroffenen Entscheidungen verpuffen.
Ist es gelungen, ein funktionierendes Team in einer teamförderlichen Umgebung zu installieren, trägt ein solches Team wie kaum ein anderes Managementinstrument dazu bei, kulturelle Unterschiede zwischen den Bereichen verschwinden zu lassen. Die entsprechenden Mitarbeiter lernen sich kennen, die soziale Komponente der Zusammenarbeit wird verstärkt. Darüber hinaus werden die gemeinsam getroffenen Entscheidungen in der Regel in beiden Bereichen viel leichter akzeptiert.
Erfolgsfaktor 14: Planen Sie miteinander, nicht nebeneinander. Gerade bezogen auf den Planungsprozess treten bei den sich selbst blockierenden Marketing- und Vertriebsbereichen deutliche Schwächen zu Tage.
Meist planen die beiden Bereiche aneinander vorbei. Ein Problem ist häufig die fehlende Einigung über Annahmen der Planung (zum Beispiel Marktwachstum, Marktgröße, Endkosten für neue Produkte,…), was zu Streitigkeiten bei Abweichungen führt. Auch die Dokumentation und Anpassung dieser Annahmen der Planung, wenn sich die Rahmenbedingungen unvorhergesehen stark verändern, wird häufig vernachlässigt.
Darüber hinaus wird in solchen Marketing- und Vertriebsbereichen oft viel zu viel geplant – der Aufwand bei der Planerstellung steht in keinem Verhältnis zum Nutzen. Schließlich findet in der „Abgabepanik“ vor der „Deadline“ für den Plan oft keine saubere Konsolidierung der Pläne mehr statt. Allzu häufig wird dann die Top-down-Vorgabe des Konzerns der Bottom-up-Planung des Vertriebs „übergebügelt“. Verlässt sich dann der andere Bereich auf die Planangaben, sind schnell Fehlallokationen von Ressourcen die Folge.
Abbildung 5: DIE BEDEUTUNG ABGESTIMMTER PLANUNGSPROZESSE FÜR EINE ERFOLGREICHE ZUSAMMENARBEIT
In solchen Situationen gibt es zwei grundsätzliche Handlungsalternativen. Eine Möglichkeit ist ein Konfrontationsmodell, bei dem jeder Bereich individuell plant, und anschließend die Pläne konfrontiert und gemeinsam konsolidiert werden. Alternativ hierzu werden im Kooperationsmodell die Pläne explizit gemeinsam erstellt. Unsere Daten zeigen: Professionell abgestimmte Marketing- und Vertriebsbereiche setzen auf das Kooperationsmodell (vgl. Abbildung 5).
Erfolgsfaktor 15: Messen Sie Marketing und Vertrieb an gemeinsamen Zielen, die sich auch in der Vergütung niederschlagen. Unsere Daten zeigen, dass professionell abgestimmte Marketing- und Vertriebsbereiche das Vergütungssystem als wichtiges Instrument einsetzen, um eine funktionierende Zusammenarbeit zwischen beiden Bereichen herbeizuführen (vgl. Abbildung 6).
Abbildung 6: DIE BEDEUTUNG INTEGRIERTER VERGÜTUNGSSYSTEME FÜR EINE ERFOLGREICHE ZUSAMMENARBEIT
Insbesondere hängt der variable Anteil der Vergütung bei den professionell abgestimmten Marketing- und Vertriebsbereichen von der Erreichung bereichsübergreifender Ziele ab. In sich selbst blockierenden Marketing- und Vertriebsbereichen ist oft genau das Gegenteil zu beobachten: Gerade von der unterschiedlichen Ausgestaltung des Vergütungssystems gehen viele Probleme aus.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Vergütung ist längst nicht der einzige Anreiz, den Unternehmen haben, um kooperatives Verhalten zu fördern. Lob und Tadel, Vorbild und allgemeine Signale des Vorgesetzten sind häufig viel effektiver. Wir beobachten oft, dass Unternehmen die Signalwirkung monetärer Anreize im Vergleich zu diesen viel einfacheren und kostengünstigeren Instrumenten überschätzen.
Doch darf nicht vergessen werden, dass die Anreizwirkung, die vom Vergütungssystem ausgeht, nicht allein in der Kraft des Geldes begründet liegt. In ihrer Wirkung oft viel entscheidender sind die Prozesse, die mit einer variablen Vergütung einhergehen, vor allem fruchtbare Diskussionen im Rahmen der Zielvereinbarung. Unsere Daten unterstützen diese Beobachtung, gerade in Bezug auf diesen Aspekt heben sich professionell abgestimmte Marketing- und Vertriebsbereiche besonders deutlich von anderen Marketing- und Vertriebsbereichen ab.
In diesem Zusammenhang stellt sich zudem die Frage, wie solche gemeinsamen Ziele konkret aussehen sollten. Aus unserer Erfahrung spielen hier vier Aspekte eine besonders große Rolle:
- Die Ziele sollten kundenbezogen formuliert werden, d.h. konkret am Erfolg von Geschäftsbeziehungen aufgehängt werden.
- Die Ziele sollten im Hinblick auf die langfristige Profitabilität von Geschäftsbeziehungen formuliert werden (und nicht auf kurzfristige Umsatzziele).
- Die Ziele sollten ehrgeizig, aber realistisch sein. Aus der Motivationsforschung ist bekannt, dass utopische Ziele ebenso wie allzu einfache Ziele eher eine demotivierende Wirkung haben.
- Die Ziele sollten gemeinsam formuliert werden, aber für jeden Bereich bezogen auf die bereichsspezifischen Handlungsparameter heruntergebrochen werden. Der Grund: Die Mitarbeiter müssen überzeugt sein, dass sie zur Zielerreichung überhaupt etwas beitragen können. Ist dies nicht der Fall – oder besteht zumindest ein gegenteiliger Eindruck -, ist leicht Frustration die Folge. Darüber hinaus kann das neu geschaffene Eigeninteresse am Vorgehen der anderen Abteilung auch neue Konflikte auslösen. Der Anreiz, in die andere Abteilung „hineinzuregieren“, wird jedenfalls deutlich gestärkt.
eingestellt am 24. August 2005
Autoren:
Prof. Dr. Christian Homburg ist Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Marketing I an der Universität Mannheim, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Marktorientierte Unternehmensführung (IMU) an der Universität Mannheim und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates der Unternehmensberatung Prof. Homburg & Partner.
Dr. Ove Jensen ist Habilitand am Lehrstuhl für ABWL und Marketing I der Universität Mannheim. Davor arbeitete er mehrere Jahre in der Marketing- und Vertriebsberatung, zuletzt als Geschäftsführer der Mannheimer Unternehmensberatung Prof. Homburg & Partner.
Dipl.-Kfm. Martin Klarmann ist Doktorand am Lehrstuhl für ABWL und Marketing I der Universität Mannheim.