von Sandra Fösken
Den Begriff „Web 2.0“ zu definieren ist nur schwer möglich, kursieren doch vielfältige Erklärungsversuche im World Wide Web.
Die Suchmaschine Google zeigt auf eine entsprechende Anfrage rund zwei Millionen Einträge allein in deutscher Sprache, im gesamten Web sind es mehr als 94 Millionen. Angeblich erfunden hat ihn der Computerexperte und Verleger Tim O’Reilly 2004.
Seitdem hat der Begriff sich inflationär verbreitet.
Fest steht nur so viel, dass „Web 2.0“ für einen Trend in der Internetnutzung steht, der konsequente Folge einer rasanten technologischen Entwicklung ist weg von den meist starren, vorgefertigten Datenseiten, hin zu mehr Dynamik. Entscheidender Schlüssel zum Web 2.0 ist die Open-Source-Software, die im Netz für jeden frei verfügbar ist, mit der Inhalte ohne technisches Hintergrundwissen schnell und einfach publiziert werden können.
Positives Beispiel ist die kostenlose Internet-Enzyklopädie „Wikipedia“, die in 200 Sprachen honorarfrei von Autoren geschrieben wird. Gegründet wurde Wikipedia 2001 von Unternehmer Jimmy Wales. Ein anderes Beispiel sind die Community- Portale, auf denen Inhalte ausgetauscht, Videos und Bilder abgerufen und teils auch zur gegenseitigen Kommentierung freigegeben werden können. Bekanntes Beispiel ist das Videoportal YouTube, von dem nach eigenen Angaben täglich 100 Millionen Videos herunter geladen werden oder das Foto-Portal „Flickr“ mit über fünf Millionen Fotos.
Auf diesen Websiten tummeln sich vor allem Teenager im Alter zwischen zwölf und 17 Jahren. Den Machern der Seite fehlt jedoch noch ein schlüssiges Konzept, um die Dienstleistungen in klingende Münze umzuwandeln, sagen die US-Marktforscher IDC. Sie bezweifeln, dass aus so genanntem „User-generated-Content“ langfristig ein profitables Geschäft werden könnte.
Die geübten YouTube-Nutzer seien daran gewöhnt, dass das Angebot kostenlos ist. Ein mögliches Geschäftsmodell ist die Finanzierung über Werbung. So könnten die Plattformen Werbeclips voranstellen, wie mittlerweile auf vielen kommerziellen Seiten üblich. Wesentlicher Bestandteil des Web-2.0-Konzepts ist, dass der Mehrwert durch die Partizipation der Nutzer entsteht.
Oder anders ausgedrückt: Je mehr Menschen mitmachen, desto besser werden die Ergebnisse. Die „Nutzbarmachung der kollektiven Intelligenz“ nennt der Web-2.0-Pionier Tim O’Reilly dieses Phänomen.
Trendforscher Professor Wippermann erklärt diese Bewegung mit „Schwarm-Intelligenz“. Die Mehrheit ist schlauer als jedes ihrer Mitglieder. Alle brauchen das Feedback von anderen. Zu den Pionier-Branchen der Schwarm-Intelligenz zählt Wippermann Gaming, Knowledge und Blogging. Auf diesen Plattformen können sich Menschen wie Fischschwärme zusammenschließen und für die Dauer einer Aktion zusammenbleiben. Neue Geschäftsmodelle entstehen dadurch nicht ohne weiteres. Vielmehr können Unternehmen von den Erfahrungen der Nutzer lernen und für die Wertschöpfung von morgen verwerten. Die Arbeitsgemeinschaft Online Forschung hat ermittelt, dass knapp 38 Millionen Menschen ab 14 Jahren in Deutschland im Netz unterwegs sind.
FÜR MARKENARTIKLER IST DAS INTERNET EIN MUSS
Damit erzielt das Internet eine Reichweite von rund 58 Prozent der deutschen Wohnbevölkerung. Vor diesem Hintergrund ist es für Markenartikler ein Muss, sich mit den neuen interaktiven Plattformen zu beschäftigen. Einen regelrechten Hype hat das Weblog unter den Internetnutzern ausgelöst. Beim Weblog handelt es sich um ein chronologisches Online-Tagebuch mit regelmäßig aktualisierten Webseiten, das überwiegend von Privatpersonen stammt.
Der Begriff Weblog – auch kurz als Blog bezeichnet – ist ein Neologismus aus „Web“ und „Log“ (Tagebuch). Weil es einfach zu erstellen und kostengünstig zu betreiben ist, interessieren sich auch Unternehmen dafür. Derzeit werden über 40 Millionen Weblogs (Quelle: Technorati) weltweit gezählt. In den USA hat man bereits die Wertigkeit von Weblogs als Zielgruppenmedium erkannt. Da Investoren Interesse bekunden, das nötige Geld zur Verfügung zu stellen, gehen viele Weblog-Autoren dazu über, ihre Blogs professionell zu vermarkten.
Wie das „Wall Street Journal“ berichtete, hat beispielsweise Alan Patricof, der das „New York Magazine“ gründete, ungefähr eine Million Dollar in die ContentNext Media Inc. (www.contentnext.com) investiert, die sich auf die Entwicklung neuer digitale Medienplattformen konzentriert, unter anderem auch Weblogs. Online-Tagebücher als Meinungs- und Informationsportal gewinnen auch im deutschsprachigen Raum an Bedeutung, aber wesentlich langsamer als in den USA. Das Problem ist häufig die zweifelhafte Seriosität des Weblogbetreibers.
Anders liegt der Fall, wenn Verlage darüber wachen. Ein Beispiel ist das von der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck im Juni 2006 gestartete Germanblogs.de, das sich als themenorientiertes Experten-Blognetzwerk etablieren soll. Eine Möglichkeit, für die Blogbetreiber ihre Blogs zu refinanzieren, ist Werbung. „Kontextbezogene Werbung wird schneller wachsen als klassische Werbung“, betont Harald R. Fortmann, Geschäftsführer der Agentur 24/7 Real Media Deutschland in Hamburg und Vizepräsident des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft (BVDW). Die Resonanz sei im Vergleich zu klassischer Bannerwerbung häufig um ein Vielfaches höher, da hier zielgerichtet Werbung ausgeliefert wird, die Wünsche und Neigungen des Internetnutzers entsprechen.
VIELE SIND NICHT AUF BLOGWERBUNG VORBEREITET
Doch die Werbeindustrie beschäftigt sich noch zu wenig mit diesem Thema – auch weil die Agenturen noch unzureichend darauf vorbereitet seien. Für Fortmann ist ein Blog nichts anderes als eine Affiliate-Plattform, deren Inhalte man vorab prüfen muss, ob sie zu dem Unternehmen, zu der Marke und der Zielgruppe, die man ansprechen will, passen. Hierbei handelt es sich um „virtuelle Filial-Netzwerke“. Ein als Affiliate oder Publisher bezeichneter Partner weist auf seiner Website auf Produkte oder Dienstleistungen eines anderen Online-Unternehmens hin – meist mit direkter Verlinkung auf die Portale der Unternehmen.
Kommt auf Grund seiner Vermittlung ein Geschäft zwischen einem Dritten und diesem Unternehmen zustande, erhält er eine Provision. Die Partner werden somit direkt in den tatsächlichen Vermarktungs- und Verkaufsprozess einbezogen und erhalten Provision, wenn das Geschäft zustandegekommen ist oder Kontaktdaten generiert worden sind. Unternehmen wie Otto, Amazon oder T-Online betreiben seit langem Affiliate-Marketing. Aber was passiert, wenn der Blogbetreiber es mit der Werbung oder Verlinkung zu Unternehmen übertreibt und die Nutzer Kritik üben?
„Dann geht dies mehr zulasten des Blogbetreibers, weniger des Werbungtreibenden“, erläutert Fortmann. Da auf der Mehrheit der Weblogs Affiliate-Programme mit einer performanceorientierten Abrechnung laufen, sei es für die Werbungtreibenden nicht relevant. Blogpublisher sind vor allem in England en vogue. „In Deutschland werden Weblogs noch nicht professionell vermarktet, auch im Affiliate-Marketing sind sie momentan noch eine Randerscheinung“, schränkt Michael Kruse, Country Manager von Commission Junction (CJ), einem Anbieter für Affiliate-Marketing, in München, ein.
Ausschlaggebend sei die Reichweite auf der Webseite, die bei privaten Weblogs weitaus geringer ist als bei professionellen Publishern, so Kruse. „International sehen wir aber eine starke Orientierung unserer Advertiser in Richtung Web 2.0.Entscheidend für die erfolgreiche Vermarktung solcher Sites sind neuartige Werbeformate, die vom User als Service – und nicht als Werbung – wahrgenommen werden sollten.“ Zum Hintergrund: In Großbritannien werden im Online-Marketing 20 Prozent der Umsätze im Affiliate-Marketing erzielt, in absoluten Zahlen sind das 300 Millionen Euro pro Jahr. In Deutschland waren es nach Angaben des BVDW 2005 immerhin schon 100 Millionen Euro. Tendenz steigend.
WEBLOGS ALS PR-INSTRUMENT HABEN SICH ETABLIERT
Die Bedeutung von Weblogs für den PR-Bereich hat man allerdings schon erkannt. Viele beobachten Weblogs, um über die wesentlichen Strömungen, Trends und Themen informiert zu sein. Mit ihrer Hilfe lassen sich Trends beeinflussen, sagen die Marktforscher von Berlecon Research, die das Potenzial von Weblogs als PR-Instrument untersucht haben. Für Unternehmen wie IBM, Microsoft, Google, Yahoo! oder SAP ist „Blogging“ wichtiger Teil der Kommunikationsarbeit.
Aber nur wenige Geschäftsführer oder Vorstände betreiben ein CEO-Blog, wie es Jonathan Schwartz, CEO von Sun Microsystems, macht. Monty C. Metzger von der Münchener CScout Trendberatung erklärt auch, warum: „Ein CEO-Blog ist nur dann sinnvoll, wenn der CEO auch bloggen kann. Große internationale Konzerne haben so bereits ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel gesetzt, weil die Leser die Presseagentur hinter dem CEO ausfindig gemacht haben“, betont Metzger.
Beim Corporate Blog ist für die Leser offensichtlich, dass PR-Profis vorgeschaltet sind, die bei Kritik entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen. Die Entscheidung für „Blogging“ hängt auch wesentlich von der Unternehmenskultur ab.
Je kundenorientierter ein Unternehmen ist, desto leichter dürfte es ihm fallen, eine offene Kommunikationspolitik zu verfolgen.
Gerade für kleine und mittelständische Firmen, die auf diese Weise den direkten Kundenkontakt pflegen wollen, biete sich „Blogging“ an.
Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist, vorab zu definieren, welche Kommunikationsziele bei welcher Zielgruppe erreicht werden sollen und welche Themen zur Wertsteigerung des Unternehmens beitragen. Die Bandbreite der Möglichkeiten von Marken-Blogs, Themen-Blogs über Produkt-Blogs bis zu Mitarbeiter-Blogs für die interne Kommunikation ist unendlich. Die Zielsetzung sollte durch die regelmäßige Analyse der Leserkommentare und die Beobachtung der Medienresonanz überprüft werden.
Corporate-Design-Vorgaben sollten adaptiert werden. Je nach Zielsetzung empfiehlt es sich, ein Blog als Rubrik in den Internetauftritt des Unternehmens einzubauen. Falls das Weblog keine Akzeptanz findet, sollte man auch bereit sein, den eingeschlagenen Weg zu korrigieren und das Weblog abzuschalten. Möglicherweise ist der Weblog-Boom auch nur eine Zwischenstation. Podcasting und Audioformate treten in Konkurrenz.
WEB-COMMUNITIES NICHT FÜR ALLE PRODUKTE GEEIGNET
Große Übereinstimmung herrscht bei Experten, dass die Bildung einer Community die höchste Form der Kundenkommunikation darstellt. Einziger Nachteil dabei: Nicht für jedes (Marken)-Produkt lässt sich eine Community aufbauen. Kellogg’s hat es geschafft, eine Community rund ums Frühstück zu schaffen. Das Unternehmen segmentiert über das Internet die Zielgruppen über verschiedene Angebote – in erster Linie Teens und Erwachsene.
Als ideale Spielwiese für Marken bot sich vor allem die Fuß-ball-Weltmeisterschaft 2006 an. Nike und Google beispielsweise starteten gemeinsam die Online-Fußball-Community „Joga.com“, die es Usern nach Registrierung ermöglicht, Bilder und Videos über die WM auszutauschen und andere Fußballfans kennenzulernen – vergleichbar mit dem populären Portal Myspace.com von Medienmogul Rupert Murdoch. Noch weitgehend unausgeschöpft ist „Social Commerce“: Gemeint ist die Vielzahl an neuen Onlineshops im Web, in denen Fanartikel zu jedem denkbaren Thema verkauft werden.
So einen Shop kann heute jeder kostenlos eröffnen. Selbst Torwart Oliver Kahn hat vor der WM noch eine Seite mit Olli-Produkten freigeschaltet. Dass hierbei demnächst ein noch größeres Potenzial an Kunden zur Verfügung steht, erklärt sich bereits rein technisch. „Web 2.0 reduziert die technische Komplexität, da es als Plattform geräte- und ortsunabhängige Dienste bereitstellt“, meinen Experten.
INTERESSE AN ELEKTRONISCHEN SPIELEN STEIGT
Für die Eruierung neuer Geschäftsmodelle ist entscheidend, welche Interessen die User im Netz verfolgen. Wie die repräsentative Studie „Digital Life“ von TNS Infratest zeigt, steuern 68 Prozent der befragten Internet-Nutzer ab 14 Jahren Websites an, die Informationen zu Freizeit und Hobby bereitstellen. Beim Autokauf ist das Internet für 54 Prozent sogar die wichtigste Informationsquelle. 39 Prozent der Onliner schauen in das Internet, wenn ein Wohnungswechsel oder Umzug in eine andere Stadt bevorsteht. Fast jeder Zweite macht sich im Web schlau, wenn es um die berufliche Karriereplanung geht.
32 Prozent der unter 20-Jährigen und 16 Prozent der 20- bis 29-Jährigen spielen regelmäßig online, ergab eine aktuelle Studie von IBM. Bei den 30- bis 39-Jährigen sowie den 40- bis 49-Jährigen sind es sieben beziehungsweise sechs Prozent. So hat alleine das Online-Spiel World of Warcraft inzwischen über fünf Millionen Abonnenten, die eine Monatsgebühr von 12,99 Euro zahlen sowie einmalig eine Software zum Preis von rund 45 Euro anschaffen müssen. Die Möglichkeit der Interaktion in einer virtuellen Umgebung als auch die Kommunikation mit Mitspielern lassen den Spieler in eine andere Welt abtauchen. Vergleichbar ist das mit einem Filmerlebnis. Ein Grund, warum die Filmindustrie die Ideen aus der Spielszene aufgreift und weiterentwickelt, wie es bei Lara Croft (Tomb Raider) der Fall ist.
Viele Online-Spiele haben zudem (ungeplant) ihre eigene „Ökonomie“ nach sich gezogen – Gegenstände oder virtuelles Geld, das im Spiel „erarbeitet“ wurden, wird schon seit einiger Zeit über Auktionsplattformen und Tauschbörsen gehandelt. Auch in Deutschland ist die Bereitschaft vorhanden, für virtuelle Waren reales Geld auszugeben, heißt es in der IBM-Studie. Kein Tabuthema ist Sponsoring oder Product-Placement in Computerspielen. Im Gegenteil, Werbung ist für viele Spielehersteller Teil der Refinanzierungsstrategie.
Ein Beispiel dafür ist „Anarchy Online“. Interessenten hatten die Wahl, kostenlos auf einem Server mit Werbung zu spielen oder ohne Werbung gegen Monatsgebühr. Zwar lehnt die Mehrheit der von IBM Befragten Werbung in Computerspielen ab, aber 16 Prozent störte sie nicht. Interessant ist, dass Frauen Werbung in Spielen positiver gegenüber stehen als ihre männlichen Kollegen.
So gaben 94 Prozent der weiblichen Online-Spieler an, kostenlos und werbefinanziert spielen zu wollen. Bei den männlichen Pendants befürworteten es nur 70 Prozent. Es gibt einen Kern von männlichen Spielern, die keine Werbung in Spielen dulden und stattdessen bereit sind, eine Abogebühr zu entrichten.
Dass Marken durchaus positiv empfunden werden, zeigen die zahlreichen WM-Computerspiele, die mit Bandenwerbung bestückt sind. Hier würden die Spieler sogar das Fehlen von Werbung als realitätsfremd empfinden. Welche Möglichkeiten sich in virtuellen Welten für die Teilnehmer eröffnen, ihrer eigenen Kreativität freien Lauf zu lassen, zeigt die Welt-Simulation „Second Life“. Hier haben die Nutzer die Möglichkeit, eigene Gegenstände für die Spielwelt zu erschaffen und frei nach ihren Wünschen zu gestalten – von Kleidung über Mobiliar bis hin zur eigenen Villa. Diese Gegenstände können sie sogar untereinander in der Spielwährung zu handeln (die wiederum in echtes Geld getauscht werden kann).
Sandra Fösken