Zu Besuch bei Dr. Haffa und Partner, einer Münchner Kommunikationsagentur. Auf dem Konferenztisch ein Laptop, an der Wand eine Präsentation, eine junge Frau saust durch den Raum, den Arm voller Unterlagen. Mittendrin Horst Höfflin, ein zupackender Mann mit vergnügten Augen, Agenturgründer und IT-Spezialist der ersten Stunde. 67 Jahre alt und seit zwei Jahren im Ruhestand.
„Nein“ – er macht eine abwehrende Handbewegung, so als wolle er den falschen Eindruck fortwischen. „Ich mach nur noch, was mir Spaß macht.“ Und klärt auf: Die junge Dame ist ein Trainee und schreibt nebenbei ihre Masterarbeit. Dann und wann fragt sie, was ihr früherer Chef davon hält. „Wenn mein Rat gefragt ist, komm ich gerne“, sagt Höfflin. „Aber ich dränge mich nicht auf.“ Zweimal in der Woche schaue er noch rein in die Firma. Seine Firma. Wehmut? Nicht die Spur, behauptet er. „Ich bin froh, dass ich’s los bin.“
Höfflin gehört zu einer Aufbaugeneration. Seine auf Hightech-Themen spezialisierte Agentur gründete er 1986, zusammen mit seiner Frau Annegret Haffa. Es ist die Generation, die Marketing in Deutschland in den 1980er- und 1990er- Jahren professionalisierte und mit Glanz versah. Deren Agenturen mit dem Markt wuchsen und der Markt mit ihnen. Jetzt ziehen sich viele dieser Gründer nach und nach aus dem aktiven Geschäft zurück. Manche gehen mit Aplomb, nachdem sie in Interviews ihren Frust über den Zustand der Branche verkündet haben. Andere verabschieden sich still, sind plötzlich weg. Man würde sie gern fragen: Und wie ist es jetzt, danach? Wie sieht er aus, der Ruhestand, den viele herbeisehnen, der aber von denen, die ihn haben, oft gar nicht gewollt wird?
Bis er passiert, hat man keine Erfahrung damit
Beispiele, Vorbilder wären gut. Auch deshalb, um Jüngeren zu zeigen, wie man diesen Lebensabschnitt angehen kann, der unausweichlich ist wie die Pubertät und einschneidend wie einst die Berufswahl. Man sieht, wie es andere machen, und erlebt die eigene Situation gleichwohl als Ausnahmezustand. Wohl deshalb gibt es so viele Seminare, Ratgeber, Berater und Coaches, die helfen sollen. Prof. Ulrich Reinhardt, Psychologe und wissenschaftlicher Leiter der Hamburger Stiftung für Zukunftsfragen, sagt: „In der Theorie ist der Übergang in den Ruhe- stand einfach, aber in der Praxis fällt er fast jedem schwer.“ Das gelte besonders für Kreative. Also auch für Marketer.
Der Versuch, mit denen zu sprechen, die wissen, wie sich „danach“ anfühlt, erweist sich indes als schwierig. Weit gefehlt die Erwartung, die Zielgruppe habe Zeit und warte nur darauf, gegenüber Journalisten Zeugnis abzulegen. Der Ruhestand ist, so scheint es, eine sehr private Angelegenheit. Selbst Marketer, die in ihrem Berufsleben ausgiebig das Rampenlicht gesucht hatten, antworten nicht oder schicken Absagen. Ein ehemals prominenter Hamburger etwa schreibt: Er fahre anderntags in den Urlaub. Mailen oder telefonieren will er nicht. Ein früherer Agentur-Geschäftsführer aus dem BBDO-Netzwerk, inzwischen in der Hotellerie tätig, lässt ausrichten, er wolle „über sein einstiges Leben als Werber gar nicht mehr sprechen“. Bei einer bekannten Münchner Marketerin, vor rund einem Jahr ausgeschieden, heißt es: „Leider ist sie nicht interessiert. Ich hoffe, Sie haben Verständnis.“ Ja, klar. Nur – wofür eigentlich?
Neue Lebenswirklichkeit
Reinhardt hat für die Schweigsamkeit eine Erklärung. „Darüber reden heißt, sich die neue Lebenswirklichkeit einzugestehen. Oft ist sie nicht so toll, wie man sie sich vorgestellt hat.“ Empfunden werde häufig auch ein Rechtfertigungsdruck – das Rentnerdasein kann in einer Leistungsgesellschaft zum Stigma werden. Vor allem Männer seien mit einer kulturellen Erwartung konfrontiert, sich über die Arbeitswelt zu definieren, sagt Laura Romeu Gordo, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Deutschen Zentrum für Altersfragen in Berlin: „Für sie ist der Ruhestand oft mit Identitätsverlust verbunden.“
„Loslassen muss man lernen. Wer es zu abrupt macht, fällt in ein tiefes Loch“
Vielleicht ist auch deshalb ein überraschend großer – und steigender – Teil weiterhin berufstätig: Nach den Zahlen der Forscherin Romeu Gordo arbeitet mehr als ein Fünftel der Rentner zwischen 65 und 69 voll- oder teilzeit; bei den 75- bis 79-Jährigen sind es immer- hin noch fünf Prozent. Bei Menschen mit höherer Bildung, zu denen Marketer durchweg gehören, liegt der Anteil noch deutlich höher. Das spricht gegen die Theorie, dass vorwiegend finanzielle Gründe für die Arbeit im Alter ausschlaggebend sind. Sondern: Die Menschen sind länger fit und möchten etwas zu tun haben – zumindest solange es Spaß macht. Warum auch nicht? „Die Anforderungen müssen zu den Fähigkeiten passen“, sagt Romeu Gordo. „Marketer gehören zu den Berufsgruppen, die das vergleichs- weise selbstbestimmt regulieren können.“ Indem zum Beispiel eine reduzierte Stunden- oder Kundenzahl oder Arbeit auf Projektbasis vereinbart wird.
Der Rückzug aus dem operativen Geschäft ist kein Selbstläufer, findet auch Horst Höfflin. „Loslassen muss man lernen. Wer es zu abrupt macht, fällt in ein tiefes Loch.“ Eine Firma, in die man jahrzehntelang Energie investiert hat, ist so viel mehr als eine Firma – sie wird Heimat, Teil der eigenen Biografie. Bei Höfflin endete die Arbeit dann so: 2014 verlor die Agentur auf einen Schlag zwei Großkunden. So ein Auf und Ab ist typisch für die Branche, aber diesmal merkte Höfflin, dass er den Einbruch nicht mehr so wegstecken konnte wie früher. „Es ging mir nicht gut.“ Jetzt zahlte sich aus, dass seine Frau und er vorausschauend einen Nachfolger aufgebaut hatten, Sebastian Pauls. Der hätte das Steuer eigentlich erst später übernehmen sollen. Aber Höfflin war ehrlich genug, um sich einzugestehen, dass die Zeit gekommen war. „Ich ging rüber und fragte, willst du hier und jetzt? Er hat ja gesagt.“ Pauls übernahm das Chefbüro, Höfflin zog ins Praktikantenzimmer. Ein klares Signal. „Mir war klar, anders komme ich aus der Nummer nicht raus.“ Die Mitarbeiter hätten den Rollenwechsel schnell akzeptiert, sagt er, zumal seine Frau Co-Chefin blieb. Er selbst wird bis heute als geschäftsführender Gesellschafter auf der Homepage geführt, ist aber froh, dass nun andere immer mehr entscheiden. „Das ist ja das Aufreibende an dem Job, dass jeder mit seinen Problemen kommt.“
Abschied fällt schwerer
Mit dem geglückten Übergang ist Höfflin eher eine Ausnahme. Vielen fällt der Abschied aus der Branche so schwer, dass sie schon nach kurzer Zeit ein Comeback wagen. Besonders krass ist das Beispiel von Martin Sorrell, Gründer der britischen Werbeholding WPP, der in diesem Frühjahr seine Firma nach Vorwürfen verließ, er habe Geld veruntreut. Nur sechs Wochen später war der 73-Jährige zurück: S4 Capital heißt seine neue Agentur, die er zu einem neuen Imperium ausbauen will.
Für andere ist der Rückzug aus der Branche die Chance für eine radikal andere Zweitkarriere. Cornelia Hobbhahn zum Beispiel, eine Kosmetik-Marketerin, war 63 Jahre alt, als sie 2011 ihren Konzernjob kündigte und mit zwei Partnerinnen in München einen Laden für afrikanische Dirndl eröffnete. Der frühere Vorstandschef des Dax-Unternehmens Fresenius, Ben Lipps, stieg noch mit 72 Jahren bei Magforce ein, ein Start-up mit 26 Mitarbeitern. Oder Starbucks-Gründer Howard Schultz, 64, als CEO bereits 2016, als Chairman diesen Juni zurückgetreten: Von ihm heißt es, er strebe nichts weniger als die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten an. „Ich mache mir Sorgen um mein Land“, teilte er der „New York Times“ mit.
„Ich hatte keinen Bock, das größer aufzubauen“
Joachim Klewes ist da etwas bescheidener. Er ist einer der Gründer der Düsseldorfer Kommunikationsagentur Kohtes Klewes, die Ende der 1990er in der ECC-Gruppe aufging; die Nachfolgefirmen firmieren heute unter Ketchum Pleon. Als er 1997 bei Kohtes Klewes ausstieg, war er 43 und blieb mit Neugründungen wie K.Brain und Güttler + Klewes letztlich der Branche treu. 2006 wurde er Senior Partner bei Ketchum Pleon. Es mochte aussehen wie eine Rückkehr zu den eigenen Wurzeln – in Wahrheit jedoch kam der damals 52-Jährige in ein fremdes Unternehmen, bei dem viele Entscheidungen vom Mutterkonzern in New York getroffen wurden. Klewes entwickelte früh einen Plan B. Change Centre Consulting (CCC) hieß die Firma, die er 2009 gründete und die ein Jahr später den Betrieb aufnahm. Mit CCC hat er eine andere Richtung eingeschlagen: Er evaluiert Forschungsprojekte, hilft bei der Vorbereitung von Gesetzesvorhaben und konzipiert Förderprogramme; seine Auftraggeber sind Behörden, Stiftungen, Verbände. Klewes: „Ich hatte keinen Bock, das größer aufzubauen.“ Nicht jeder versteht das. „Kollegen von früher sagen, da kriegst du doch deine Tagessätze und den Porsche-Dienstwagen nicht mehr.“ Aber der einstige PR-Profi hat den Wettlauf um Statussymbole lange genug mitgemacht, „das wird im Laufe der Jahrzehnte lächerlich“. Heute, sagt er, pfeife er drauf.
Er hat noch ein paar weitere Tipps für Aus- und Umsteiger parat: Rechtzeitig Strukturen aufbauen, die verhindern, dass man, wenn man geht, vor dem Nichts steht. Denn: „Die Motivation für den Ausstieg ist immer emotional. Sei es, dass man keine Lust mehr hat, sei es, dass man etwas Neues spürt.“ Den Abschied verpacken wie eine Story, „die Deutungshoheit nicht aus der Hand geben“. Keine einsamen Entschlüsse, sondern mit Partner oder Partnerin absprechen.
Auch Höfflin genießt die neue Freiheit. Schon immer hat er alte Motorräder gesammelt, „jetzt repariere ich wieder selbst“. Fährt mit den Kumpels aus dem Oldtimer-Club in die Berge, neulich drei Tage über die Silvretta-Hochalpenstraße. Bewirtschaftet den großen Garten hinter dem Reihenhaus, in diesem Sommer hat er mit Tomaten experimentiert. Er koordiniert das Nachbarschaftsfest und sieht häufig nach seiner Mutter, die mit 91 Jahren noch im Elternhaus am Kaiserstuhl lebt. Mit seiner Frau ist er vier Wochen nach Argentinien gefahren. Er sagt: „Mir ist nie langweilig. Das ist wichtig.“ Seine Mutter habe gesagt, Horst, den Abschied von der Agentur, den schaffst du nie. „Ich habe geantwortet, Mama, du wirst dich wundern.“