Was deutsche Start-ups von China lernen können

Unternehmer, Start-up- und China-Profi Fabian von Heimburg fordert mehr Protektionismus im Digitalmarkt, weniger Regularien und eine andere neue Denkweise im europäischen Markt.
Start-up-Szene im Reich der Mitte: "China hat Incentives kreiert und amerikanische Fonds eingeladen, im Land zu investieren." (© Imago)

Nach Deutschland fließt vergleichsweise wenig Venture Capital, kluge Köpfe wandern gern mal ins Ausland ab; schaut man auf Patentanmeldungen, hinkt Deutschland bei neuen Technologien hinterher. Was können wir hierzulande in Sachen Start-ups und Innovation von China lernen?

FABIAN VON HEIMBURG: Wir können unglaublich viel von China lernen. Zum Beispiel die Trial-and-Error-Denkweise. Man muss einfach Sachen versuchen und sie, wenn sie nicht klappen, wieder versuchen; damit hat man zumindest etwas gelernt und es geht weiter. Die Chinesen haben diese Denkweise perfektioniert, noch mehr als die USA. Die ganze Volkswirtschaft, jedes Unternehmen funktioniert hier so, nicht nur Start-ups.

Die ganze Volkswirtschaft?

Ja, das sieht man an den Regularien. Manchmal wird zu wenig reguliert, und dann wird von einem Tag auf den anderen die Regulierung wieder hochgefahren. Das hat natürlich auch negative Seiten, ich sage nicht, dass alles positiv ist – aber diese Mentalität fehlt uns.

Welches sind denn die größten Innovationshemmnisse bei uns?

Deutschland und Europa sind im Start-up-Bereich nicht erfolgreich, weil der Staat komplett falsch reguliert. In vielen Bereichen hat er überreguliert und in anderen – wie zum Beispiel, dass Amerikaner bei uns alle Start-ups aufkaufen können – hat er gar nicht reguliert.

Wie könnte der Staat den Start-ups das Leben denn konkret leichter machen?

Zunächst einmal, indem er eigene strategische Industrien in Bereichen schützt, in denen sie noch nicht so weit sind wie andere. Wenn zum Beispiel die amerikanischen Plattformen rüberkommen wollen, sollte das nur möglich sein, wenn unsere lokalen Plattformen mit ihnen in gleichen Wettbewerb treten können. Wenn wir Amazon oder Facebook zu früh und unreguliert in unseren Markt lassen, dann werden wir nie eigene große Plattformen haben.

Das wäre Protektionismus. Sie würden Unternehmen schlicht vom Markt ausschließen?

Ja. Protektionismus ist in bestimmten Bereichen ein Muss und existiert auch schon. Zum Beispiel haben wir Airbus und Boeing als Duopol kreiert. Protektionismus hat in vielen strategischen Bereichen seinen Sinn. Es ist ja nicht so, dass die Europäer das nicht machen, sondern es wird in vielen falschen Bereichen gemacht.


Fabian von Heimburg (32) ist Mitgründer des 2014 gestarteten chinesischen Mar-Tech-Start-ups Hotnest in Schanghai, zählte bis zu seinem vorletzten Geburtstag zu den „Forbes 30 Under 30 Asia & China“ und ist China-Koordinator beim Bundesverband Deutsche Startups. (Foto: Hotnest)

Wenn sich Venture Capital Fonds wegen Überregulierung vom deutschen Markt fernhalten, sollte dann der Staat mehr Geld in Start-ups investieren?

Nehmen wir noch mal China. In China ist dieser Bereich nicht staatlich finanziert. Der Staat schafft nur Anreize. Staatliche Finanzierung bringt nur etwas in bestimmten Basisbereichen. In Deutschland ist es ein Desaster, dass die Netzabdeckung nicht in staatlichen, sondern privatwirtschaftlichen Händen liegt. Man kann die Telekom für die schlechte Netzabdeckung nicht haftbar machen, denn sie ist an der Börse gelistet und hat keine Lust, im Land irgendwelche Leitungen zu legen, wenn das keinen wirtschaftlichen Vorteil bringt. Weder Amerika noch China haben das so gemacht. Es ist absurd, dass Deutschland so was macht.

Von solchen elementaren Investitionen von staatlicher Seite mal abgesehen, ist aber privates Geld gefragt?

Ja. Bis heute sind die meisten chinesischen Start-ups aus dem Ausland finanziert. China hat Incentives kreiert und amerikanische Fonds eingeladen, im Land zu investieren. Die Investoren können später an die Börse in New York gehen oder in Hongkong, sie kriegen auch richtig Returns on Investment, aber sie können die Technologie und diese Start-ups auf keinen Fall aufkaufen und abziehen. Gleichzeitig können die Investoren aus dem Ausland auch nicht mit ihren eigenen Firmen kommen und den Markt überrennen, wie wir es mit Amazon in Europa gesehen haben.

In welche Branchen würden Sie in Europa investieren, wenn Sie Risikokapital zu vergeben hätten?

In Zukunftstechnologien in allen Bereichen, IoT, AI, aber selbst E-Commerce und Fintech bergen noch großes Potenzial. Europa hat eine super Wissenschaftsinfrastruktur und ein super Technologietalent, daran hapert es ja alles nicht. Die mangelnde Kommerzialisierung und falsche Regulierung sind das Problem.

Das komplette Interview mitsamt einem Tipp von Fabian von Heimburg, mit welchen Trends aus China sich hiesige Marketingverantwortliche beschäftigen sollten, sowie die dazugehörige Titelgeschichte zum Thema Innovation lesen Sie in der aktuellen Printausgabe der absatzwirtschaft

(vh, Jahrgang 1968) schreibt seit 1995 über Marketing. Was das Wunderbare an ihrem Beruf ist? „Freie Journalistin mit Fokus auf Marketing zu sein bedeutet: Es wird niemals langweilig. Es macht enorm viel Spaß. Und ich lerne zig kluge Menschen kennen.“