Herr Bremer, die Reiseindustrie leidet extrem unter der Coronakrise. Wie ernst ist die Lage?
Sehr ernst. Die Reisebranche wird nach Corona nicht mehr die gleiche sein. Es wird Anpassungen bei Flug- und Hotelkapazitäten geben. Gerade bei kleineren Reiseveranstaltern und Spezialisten wird es manchen geben, der die Krise nicht überlebt. Und im Geschäftsreisebereich rechnen viele damit, dass auch nach Corona das Umsatzvolumen in einigen Segmenten um 15 bis 20 Prozent nachhaltig sinkt, weil viele Unternehmen jetzt merken, dass man nicht für jedes Meeting reisen muss.
Viele touristische Anbieter setzen jetzt auf Gutschein-Lösungen für stornierte Reisen. Wie viel Kundenloyalität wird dadurch zerstört?
Erstens: Ich finde, man sollte in unsicheren Zeiten nicht die Kunden für die Unterfinanzierung des eigenen Unternehmens verantwortlich machen. Aber zweitens: Viele in der Branche sind noch gar nicht so weit, um über Dinge wie Kundenloyalität oder Vermarktungsstrategien nachzudenken.
Über Sätze wie „Krise als Chance für mehr Kundenbindung“ können Sie dann vermutlich nur lachen.
Überhaupt nicht. Die Kommunikation in weiten Teilen der Touristik war seit Ausbruch der Krise miserabel. Auf unzähligen Websites von Hotels, Kreuzfahrtanbietern oder auch Buchungsplattformen war selbst Ende April noch nichts über Corona zu lesen.
Weil die meisten Unternehmen, wie Sie ja selbst sagen, andere Sorgen haben.
Das kann ich als Argument nicht gelten lassen. Die Kunden werden nicht ernst genommen, wenn man Corona in der Kommunikation verschweigt. „Krise als Chance“ ist genau das, worauf es jetzt ankommt. Kunden, die jetzt an die Hand genommen, ehrlich informiert und durch die Krise geführt werden, vergessen das auch nach Corona nicht. Die größte Bindung erzeugt man in Zeiten von Irrungen und Wirrungen. In der Reisebranche ist diese Erkenntnis leider noch nicht breit genug angekommen. In einem Punkt allerdings, das muss man an dieser Stelle auch sagen, haben die Kolleginnen und Kollegen Spitzenleistungen erbracht.
Was meinen Sie?
Bei den Rückholaktionen deutscher Urlauber und Bürger aus der ganzen Welt. Da hat sich sehr klar gezeigt: Krisenmanagement im touristischen Sinne können sie alle, nur mit Marketing und Kommunikation hapert es leider noch sehr.
Wie steht es mit der Digitalisierung, die wohl zu den Gewinnern der Krise gehören soll. Auch in der Touristik?
Das kann man pauschal nicht beantworten, dafür sind die Akteure viel zu unterschiedlich aufgestellt. Aber im Sinne von stärkerer digitaler Kommunikation in Richtung Kunden wird sich mittelfristig sicher einiges verbessern. Auch wir als TIC haben in diesem Punkt übrigens eine Menge gelernt in den vergangenen Wochen.
Was denn?
Der TIC lebt ja stark von Events mit und für seine Mitglieder. Wegen Corona
haben wir jetzt neue digitale Formate entwickelt, beispielsweise „Around the globe“. Hier schalten wir Branchenvertreter aus der ganzen Welt zu moderierten Videokonferenzen zusammen. Das läuft super. Vor Corona wäre ich nie auf so eine Idee gekommen.
Und sonst so?
Es nervt mich, dass … es immer noch so viele Verschwörungstheoretiker
gibt, die hinter Corona eine böse fremde Macht vermuten.
Ich freue mich auf … Normalität, Treffen mit Freunden und meinen Italiener um die Ecke.
Die nächste Sau im Dorf heißt vermutlich … digitale Kommunikation mit dem Kunden – wobei Kunden auch Schüler, Patienten und was auch immer sein werden.
Nicht mehr hören kann ich … Menschen, die Corona immer noch mit einer weitaus harmloseren Influenza gleichsetzen.