Zur Verunsicherung tragen nicht zuletzt die jährlich publizierten Markenwertrankings von einzelnen Markenbewertern bei, die zum Teil stark abweichende Ergebnisse aufweisen. So veröffentlichte etwa Millward Brown in seiner Studie „BrandZ Top 100 – Most Valuable Global Brands“ für die Marke Apple einen Wert von 153 Milliarden US-Dollar, was dazu führte, dass diese Marke als die wertvollste weltweit gilt. Der ebenfalls renommierte Bewerter Brand Finance weist in seinem Markenwertranking „The Brand Finance Global 500“ für Apple einen Wert von knapp 30 Milliarden US-Dollar aus. Ein Unterschied von mehr als 120 Milliarden US-Dollar kann kaum zum Aufbau von Vertrauen in die Markenbewertung beitragen.
Dabei haben die führenden Anwender und Nutzer von monetären Markenbewertungen längst erkannt, dass eine höhere Verlässlichkeit für die ermittelten Markenwerte geschaffen werden muss und auf eigene Initiative hin einen Standardisierungsprozess angestoßen, der mit der international gültigen DIN-ISO-Norm 10668 abgeschlossen wurde. Diese Norm regelt über verschiedene Leitlinien, was grundsätzlich bei der Bewertung von Marken zu beachten ist. Sie ist keine Verfahrensvorschrift oder Vorgehensanleitung im engeren Sinne, legt aber Mindeststandards fest, die zu einer Vereinheitlichung der Bewertungsergebnisse führen sollen.
Die Norm lässt damit ausreichenden Spielraum für einen Bewerter, die individuellen Besonderheiten der Marke zu berücksichtigen: Markenart, Bewertungsanlass und zur Verfügung stehende Datenbasis. Welches Verfahren zur Anwendung kommt, wird der Gutachter ausführlich begründen müssen. Abweichungen in den Ergebnissen der Markenbewertung müssen plausibel und für den Nutzer eines Markenwertgutachtens nachvollziehbar sein. Dies ist kein Freibrief in der Durchführung von Markenbewertungen. Vielmehr sind einige Parameter durch die Normierung relativ strikt vorgegeben:
• Die Mehrwertsteuer soll nicht berücksichtigt werden (DIN-ISO-Norm 10668 Kap. 5).
• Sofern ein kapitalwertorientiertes Verfahren zur Anwendung kommt, sind die finanziellen Überschüsse auf Nachsteuerbasis zu ermitteln (DIN-ISO-Norm 10668 Kap. 5).
• Für die einzelnen infrage kommenden Verfahren werden bestimmte Mindeststandards für ihre Anwendung definiert (DIN ISO-Norm 10668 Kap. 5.).
• Schließlich wird im Kap. 6 der Norm beschrieben und festgelegt, welche Informationen für die Bewertung heranzuziehen sind. Hierzu zählen eine eingehende Prüfung der Markt- und Finanzdaten (DIN ISO-Norm 10668 Kap. 6.1), von verhaltenswissenschaftlichen Aspekten (DIN-ISO-Norm 10668 Kap. 6.2) und rechtlichen Aspekten, insbesondere zum Rechtsschutz der Marke (DIN-ISO-Norm 10668 Kap. 6.3).
Konsequenzen der Regelungen für die Bewertungspraxis
Ein normkonformes Markenbewertungsprojekt läuft normalerweise in verschiedenen Phasen ab, die zwingend durchlaufen werden müssen. Hierin liegt der eigentliche Nutzen der Norm: dass nämlich der Umfang der Markenwertmessung relativ genau festgelegt wird, dabei aber die methodische Umsetzung dem Bewertungsanlass angepasst werden kann. Im Einzelnen handelt es sich um die folgenden Phasen:
Phase 1: Messung der Markenstärke und der Markenrelevanz
Phase 2: Isolierung der Markenleistung
Phase 3: Ermittlung des Markenertragspotenzials
Phase 4: Ermittlung der Lebensdauer für die Marke
Phase 5: Barwertberechnung
Ferner sollte der Markenbewertung eine umfangreiche Vorbereitungsphase vorangestellt sein. Dabei werden der Bewertungsanlass und der Rechtsstatus der Marke überprüft. Die DIN-ISO-Norm nennt als typische Bewertungsanlässe zum Beispiel die Information des Managements, die strategische Planung, die Bilanzierung, Rechtsgeschäfte, Streitschlichtung oder Darlehens- und Kapitalbeschaffung. Im Rahmen der Vorbereitungen muss auch die Bewertung des Rechtsschutzes erfolgen (DIN ISO-Norm 10668 Kap. 6.3.1). Der Rechtsschutz für die Marke muss zum einen überhaupt gegeben sein, zum anderen muss die Art des Rechtschutzes in die Bewertung einfließen.
Zwar lässt die DIN-ISO-Norm mehrere Konzepte für die Bewertung zu, man kann aber davon ausgehen, dass die Anwendung eines kapitalwertorientierten Verfahrens zu präferieren ist. Wie bei einer Unternehmensbewertung ist der wirtschaftliche Nutzen einer Marke in ihren potenziellen, zukünftigen Gewinnerzielungsmöglichkeiten zu sehen. Insofern beziehen sich die folgenden Ablaufphasen für die monetäre Markenbewertung auf die Anwendung von kapitalwertorientierten Verfahren.
Phase 1: Messung der Markenstärke und der Markenrelevanz
Im Unterschied zur Unternehmensbewertung handelt es sich bei Marken um verhaltenswissenschaftliche Phänomene. Insofern muss die Wahrnehmung der Marke ausreichend Berücksichtigung in der Bewertung von Marken finden (DIN-ISO-Norm, Kap. 6.2). Der Wert der Marke wird erst in den Köpfen der potenziellen Nachfrager realisiert (Markenvertrauen). Für die Messung der Markenstärke sind unterschiedlichste Ansätze denkbar. Als „übliche“ Messparameter werden Bekanntheit, Imageattribute, Markenwissen, Einstellung und Loyalität aufgeführt.
Phase 2: Isolierung der Markenleistung
In der nächsten Phase sind die Zahlungsströme zu ermitteln, die ursächlich nur auf die Markenleistung zurückzuführen sind. Die zusätzliche Attraktivität, die für ein Produkt oder eine Dienstleistung durch die Marke bewirkt wird, ist in einem Preis- und in einem Mengenpremium manifestiert (DIN-ISO-Norm 10668 Kap. 5.2.2). Das Preispremium zeigt, welchen Mehrpreis der Nachfrager gewillt ist, für das markierte Produkt im Vergleich zu einem nichtmarkierten Produkt zu bezahlen. Das Mengenpremium zeigt, um wieviel höher die Absatzmenge des markierten Produkts im Vergleich zum nichtmarkierten Produkt beim gleichen Preis ist.
Phase 3: Ermittlung des Markenertragspotenzials
Dieser Arbeitsschritt ermittelt, wie profitabel eine Marke ist und welcher Anteil des Markengewinns ursächlich auf die Marke zurückzuführen ist. Das Markenertragspotenzial hängt von drei Faktoren ab:
• dem Umsatz der Marke
• der Profitabilität der Marke
• der isolierten Markenleistung
Grundlage für das Markenertragspotenzial ist die gegenwärtige Ertragssituation der Marke nach Ertragssteuern (DIN-ISO-Norm, Kap. 5.2.3).
Phase 4: Ermittlung der Lebensdauer für die Marke
Wenn das in Wirtschaftsprüfung favorisierte Kapitalwertverfahren (DIN-ISO-Norm, Kap. 5.2) zur Anwendung kommen soll, muss vorab die wirtschaftliche Lebensdauer der Marke taxiert werden. In die Begründung für die wirtschaftliche Lebensdauer der Marke sollten folgende Überlegungen einfließen (DIN-ISO-Norm 10668 Kap. 5.2.3.2):
• Innovationsgrad des Marktes, auf dem die Marke präsent ist
• Volatilität des Marktes, auf dem die Marke präsent ist
• Alter der Marke zum Bewertungsstichtag
• Alter der Wettbewerbermarken
Wird die Marke auf unterschiedlichen Märkten angeboten, sollte die Restlebensdauer für jeden Markt individuell festgelegt werden.
Phase 5: Barwertberechnung
Das finanzmathematische Verfahren der Barwertberechnung ist das Herzstück der Markenbewertung. Der Barwert entspricht dem Gegenwartswert der für die Zukunft prognostizierten Einzahlungsüberschüsse. Für diese Abdiskontierung muss ein Kapitalisierungszinsatz bestimmt werden, der die Risiken der Marke und der Märkte, auf denen sie präsent ist, berücksichtigt (DIN-ISO-Norm Kap. 5.2.3). Dieses sollte in enger Abstimmung mit der Finanzabteilung des jeweils auftraggebenden Unternehmens erfolgen.
Die DIN-ISO-Norm 10668 stellt damit einen wesentlichen Fortschritt für die Vereinheitlichung der Markenbewertung dar. Mit der Norm wird ein globaler Methodenrahmen abgesteckt, der den Anwendern der monetären Markenbewertung eine wesentlich höhere Sicherheit verschafft. Markenwertgutachten und nicht zuletzt auch die breit publizierten Markenwertrankings können jetzt dahingehend überprüft werden, ob sie mit den Standards der DIN-ISO-Norm vereinbar sind.
Aufgrund von individuellen Datenquellen und Bewertungsanlässen werden Marken auch in Zukunft unterschiedlich hoch bewertet. Die Ergebnisse werden sich aber allein durch die einheitliche Behandlung der Umsatz- und der Unternehmenssteuern angleichen. Die monetäre Bewertung von Marken ist komplex und erfordert ein hohes Maß an Sachkenntnis und Erfahrung, damit die Rahmendaten für die Bewertung entsprechend festgelegt und interpretiert werden. Von computergestützten Standardverfahren ist auf jeden Fall abzuraten.
Über den Autor:
Dr. Ottmar Franzen ist Geschäftsführender Gesellschafter der Marketingforschungsgesellschaft Konzept & Markt GmbH und stellvertretender Obmann des DIN-Normungsausschusses NA 159-01-03 AA Markenwertmessung. Im Marketing-Club Frankfurt engagiert er sich zudem für das Markenbarometer.