About You testet als erster großer Online-Fashion-Store in Deutschland einen eigenen TikTok Shop – die ersten Liveshows des Händlers starten parallel zum offiziellen Start des neuen Vertriebskanals auf TikTok am 31. März. Dann können auch Händler in Deutschland die jüngeren Generationen direkt in ihren TikTok-Feeds mit Angeboten erreichen. Wir haben mit Marcel Schöne, Gründer der Agentur Uppr und Experte für Performance Partnerships und Affiliate-Marketing, darüber gesprochen.
Herr Schöne, was genau steckt hinter dem Begriff Social Commerce?
Für Social Commerce gibt es nicht die eine, allgemeingültige Definition. Man bewegt sich dabei in einem Spektrum. Im Kern geht es darum, Produkte oder Dienstleistungen über Social-Media-Plattformen zu platzieren und direkt Kaufentscheidungen zu initiieren. In China und den USA ist dieses Konzept bereits tief verwurzelt. In Deutschland und Europa hingegen steckt Social Commerce noch in den Anfängen.
Welche Risiken oder Herausforderungen sollten Unternehmen und Marken hinsichtlich des bevorstehenden Starts des TikTok-Shops im Blick behalten?
Eine der größten Herausforderungen ist das Verständnis für die Tragweite dieses Paradigmenwechsels. Viele Unternehmensentscheidungen werden von einer Generation getroffen, die nicht mit TikTok aufgewachsen ist und die Plattform oft unterschätzt. Dabei ist TikTok längst nicht mehr nur für unterhaltsame Videos bekannt, sondern hat massiven Einfluss auf Kaufentscheidungen.
Ein weiteres Thema ist die Datenhoheit. TikTok gehört einem chinesischen Mutterkonzern, der stark KI-betrieben ist und nicht immer transparent offenlegt, wie Nutzerdaten verarbeitet werden. Während das Konsumieren von Videos zunächst harmlos erscheint, stellt sich eine andere Frage, wenn Nutzer Kreditkartendaten hinterlegen oder Transaktionen abwickeln. Unternehmen müssen sich hier gut überlegen, wie sie Datenschutzbedenken adressieren.
Können Marken in eine Abhängigkeit von TikTok geraten?
Ja, das Risiko besteht. Ähnlich wie bei Amazon können Unternehmen, die einen Großteil ihres Umsatzes über TikTok generieren, stark von Entscheidungen der Plattform betroffen sein. Eine Änderung des Algorithmus oder der Anzeigenpolitik kann plötzlich Umsatzeinbußen bedeuten. Deshalb ist es essenziell, eine Multi-Channel-Strategie zu fahren, um langfristig unabhängig zu bleiben.
Welche regulatorischen oder auch kulturellen Hürden erwarten sie für den TikTok-Shop in Deutschland?
Bisher gibt es kaum regulatorische Einschränkungen in der EU. Zwar gibt es immer wieder Diskussionen über eine Regulierung oder sogar ein Verbot, aber konkrete Maßnahmen sind nicht absehbar. Kritisch könnte das Thema Jugendschutz werden. Viele TikTok-Nutzer sind sehr jung und besonders empfänglich für impulsive Kaufentscheidungen, insbesondere im Bereich Beauty oder Gadgets im niedrigpreisigen Segment. Hier werden sicher Verbraucherschutzorganisationen ein wachsames Auge haben.
Wie sollten Unternehmen jetzt reagieren: Sollten sie abwarten, wie sich das Ganze hierzulande entwickelt? Oder wäre es klüger, sich aktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen?
Gute alte Politiker-Antwort: Es kommt darauf an. Also ich glaube, das hängt stark von der Branche ab. Große Unternehmen, die zum Beispiel Haushaltsgeräte wie Waschmaschinen oder Kühlschränke verkaufen, sind dabei etwas anderes als Unternehmen aus den Bereichen Fashion oder Beauty. Letztere sollten schnell handeln, da Influencer bereits jetzt nach Monetarisierungsmöglichkeiten suchen. Wer wartet, könnte den Markteintritt verpassen. Wichtig ist jedoch, mit einer flexiblen Strategie heranzugehen und sich laufend an neue Entwicklungen anzupassen. Da gibt es ganz viele kleine Stellschrauben, die permanent neu festzudrehen oder zu lockern sind. Social Commerce ist kein starrer Plan, sondern ein dynamischer Prozess.
Sie haben es bereits angedeutet: Gibt es bestimmte Produktkategorien oder Branchen, für die der TikTok-Shop als Verkaufsplattform besonders gut geeignet ist?

Ja, besonders gut funktionierende Produkte kommen aus den Bereichen Beauty und Mode. Das sehen wir in Spanien, wo der TikTok-Shop seit ein paar Monaten live ist. Und alles, was sich um die Themen Fitness, Gesundheit und Supplements dreht. Die Produkte lassen sich durch visuelles Storytelling sehr gut in Videos inszenieren. Ebenso beliebt sind niedrigpreisige Artikel im einstelligen oder niedrigen zweistelligen Bereich, da sie impulsiv gekauft werden. Entscheidend ist, das Shopping-Erlebnis nahtlos in die Entertainment-Welt zu integrieren.
Welche Chancen ergeben sich durch den TikTok Shop für Marken und Händler hierzulande?
Ich glaube, es gibt zwei wesentliche Chancen. Zunächst geht es um Umsatzsteigerung. TikTok-Shop verlagert den Fokus von klassischer Werbung hin zu Performance-basierten Modellen, bei denen nur für tatsächliche Verkäufe gezahlt wird. Zudem bietet die Plattform enormes Skalierungspotenzial durch ihre große Creator-Community. Das ist auf jeden Fall eine große Chance. Wer jetzt schnell einsteigt, kann sich frühzeitig eine starke Marktposition sichern.
Viele Konsumenten sind es gewohnt, ihre Einkäufe schnell und bequem über Amazon oder andere etablierte E-Commerce-Plattformen abzuwickeln. Warum sollte jemand stattdessen direkt über TikTok shoppen?
Amazon bleibt unschlagbar in Sachen Lieferung und Preisvergleich. TikTok hingegen setzt auf ein anderes Shopping-Erlebnis: Es geht um Inspiration und Impulskäufe. Nutzer verbringen durchschnittlich 80 Minuten am Tag auf der Plattform und werden durch personalisierte Inhalte gezielt angesprochen. Bei niedrigpreisigen Produkten dürfte der Vergleich mit Amazon auch oft gar nicht stattfinden, weil der Kauf direkt aus dem Unterhaltungsfluss heraus erfolgt.
Gibt es zwischen Amazon und TikTok-Shop eine Art Konkurrenz? Natürlich. Aber die Art und Weise des Shoppings, vor allem des Shopping-Erlebnisses ist eben ein ganz anderes.
Ein Blick in andere Märkte wie UK oder Spanien zeigt, welche Dynamik TikTok Shop entwickeln kann. Prognosen gehen davon aus, dass bis 2028 rund 20 Prozent des britischen E-Commerce-Umsatzes über TikTok abgewickelt werden. Das verdeutlicht, wie stark sich das Einkaufsverhalten verändert. Deutsche Unternehmen sollten diese Entwicklung aufmerksam verfolgen und frühzeitig strategisch darauf reagieren.