Natürlich darf Werbung auch provozieren. Doch es gibt Grenzen, zum einen juristische, aber auch das persönliche Empfinden des Empfängers von Werbebotschaften, der eine Spruch oder Bild als unangemessen wahrnimmt. Die Selbstkontrolleinrichtung der Werbewirtschaft, der Deutsche Werberat, sieht sich als erste Anlaufstelle für Beschwerden aus der Bevölkerung und als Mittler zwischen Werbenden und Umworbenen. Dabei gab es im vergangenen Jahr besonders viel zu tun.
So verdreifachte sich die Zahl der eingegangenen Beschwerden im Vergleich zum Vorjahr nahezu auf 3636 (2018: 1235). Allein 900 Beschwerden bezogen sich auf zwei Werbemotive des Smoothie-Herstellers True Fruits beim Werberat ein. Der Werberat beanstandete die Kampagnen nachträglich als „vulgär und herabwürdigend“. Ansonsten waren die Gründe für Kritik an Kampagnen breit gefächert. Die beschwerdefreudigen Verbraucher „sahen Kinder durch einzelne Werbemaßnahmen in ihrer Entwicklung beeinträchtigt, protestierten gegen sexistische Werbung, empfanden allgemeine Grundwerte von Anstand und Moral verletzt oder kritisierten Werbung als gewaltverherrlichend oder rassistisch und vieles mehr“, heißt es im „Jahrbuch Deutscher Werberat 2020“.
Die eingegangenen Beschwerden bezogen sich auf 793 Werbemaßnahmen, von denen der Werberat für 279 Fälle nicht zuständig war, weil es sich nicht um Wirtschaftswerbung, sondern um Werbung von Behörden oder Parteien handelte. So wurden schließlich 514 Werbesujets von dem Gremium überprüft, deutlich mehr als 2018 mit 462, jedoch weniger als im Jahr davor mit 530. In 141 Fällen sahen die Kontrolleure einen Verstoß gegen den Werbekodex und informierten die betreffenden Unternehmen (Vorjahr: 124). Weil sich die Mehrzahl der Werbenden einsichtig zeigte, musste der Werberat 2019 lediglich 13 öffentliche Rügen aussprechen. Im Jahr davor waren es 16.
Um zu zeigen, wie der Werberat seine Entscheidungen trifft und begründet, zeigen wir je fünf markante Beispiele für Kampagnen, die der Werberat beanstandet oder nicht beanstandet hat:
Vulgäre Werbung und verletzte religiöse Gefühle
Sexistische Werbung: Anlässlich des Muttertags veröffentlichte ein Lebensmitteleinzelhändler einen TV-Spot. Er zeigte verschiedene Szenen in denen Väter sich nicht in der Lage zeigten, angemessen mit ihren Kindern umzugehen. Der Spot endet mit der Aussage: „Danke Mama, dass Du nicht Papa bist“.
Öffentlich gerügt, diskriminierend mit männer- und frauenherabwürdigender Botschaft
Ethik und Moral: Ein Hersteller von Smoothies veröffentlichte in sozialen Medien einen mit Sonnencreme gemalten ejakulierenden Penis auf einem Frauen- bzw. Männerrücken. Der Werbetext dazu lautete: „Sommer, wann feierst du endlich dein Cumback?“ („cum“ ist das englische Wort für Sperma, „back“ das für Rücken).
Beanstandet als vulgär und herabwürdigend
Diskriminierung: In einem TV-Spot wurde eine asiatische Frau gezeigt, die sich eine gebrauchte Männerunterhose aus einem Automaten zieht und glücklich an ihr riecht. Die Unterhose war zuvor von im Garten arbeitenden und schwitzenden Männern getragen worden und offensichtlich zum Zwecke des Verkaufs per Automat in Asien ausgezogen und verpackt worden.
Beanstandet als herabwürdigend und klischeehaft
Ethik und Moral: Ein Tattoostudio zeigte in seinem Schaufenster das Bild von einem über und über tätowierten Baby. Auch wenn deutlich wurde, dass es sich um eine Fotomontage handelt, kritisierte der Kinderschutzbund die Werbung, weil das Baby als Objekt missbraucht werde.
Beanstandet, weil Baby zum Objekt degradiert wurde und – weil die Werbung nicht zurückgenommen wurde – öffentlich gerügt
Religiöse Gefühle: Ein Verlag bewarb ein Buch für Grillrezepte mit dem Slogan „Der biblischste Moment? Euer Abendmahl.“ Dazu wurde in der Anzeige ein Mann am Grill sowie eine Tafel, an der eine größere Gruppe sitzt, abgebildet. Im weiteren Werbetext hieß es: „Bereite den Hungrigen das Grillgut, auf dass sie es essen.“
Beanstandet, Banalisierung des letzten Abendmahls Jesus‘ mit den zwölf Aposteln
Übers Ziel hinausgeschossene Beschwerden
Ethik und Moral: Kritik erreichte den Werberat auch zu einem Plakat, das für einen Hochgeschwindigkeitszug mit dem Slogan „1492. Christoph Kolumbus entdeckt Amerika. 2019. Mia entdeckt Europa.“ warb. Dazu war das Bild eines Mädchens, das aus einem Zugfenster sah, abgebildet. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin verharmlose das Werbeplakat die Gräueltaten an den Ureinwohnern Amerikas, die durch die Entdeckung Amerikas ausgelöst wurden.
Nicht beanstandet, Überinterpretation der Aussage des Plakats
Ethik & Moral: In einem Werbespot für salzige Kräcker wurden verschiedene abwegige Verwendungsmöglichkeiten der beworbenen Produkte gezeigt, beispielsweise als Schmuck oder als Abdeckung für eine Brille. Der Vorschlag, die Kräcker als Tischtenniskelle zu verwenden, stieß dabei auf die Kritik der Beschwerdeführer. Dies sei unakzeptabler Umgang mit Lebensmitteln und fördere die Lebensmittelverschwendung.
Nicht beanstandet, da die Protagonisten des Spots die „Tischtenniskellen“ am Ende des Spots aßen
Diskriminierung: Ein Online-Händler warb in einer Anzeige in einem sozialen Medium mit dem Bild eines Mannes, der nur mit einem T-Shirt bekleidet auf einer Toilette sitzt und feststellen muss, dass kein Klopapier mehr vorhanden ist. Untertitelt war das Bild mit dem Slogan „Jeder von uns kennt das!“. Der Beschwerdeführer empfand die Darstellung als Tabubruch und herabwürdigend.
Nicht beanstandet, weder übertrieben nackte, noch sexualisierte oder herabwürdigende Darstellung des Mannes
Diskriminierung: Immer wieder erreichen den Werberat Beschwerden über den Werbeslogan eines öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders „Mit dem Zweiten sieht man besser“. Dieser Slogan wird von den Beschwerdeführern als diskriminierend gegenüber Menschen mit Sehbehinderung bzw. auf einem Auge verminderter Sehkraft empfunden.
Nicht beanstandet, keine ernsthafte Bezugnahme auf Sehbehinderungen
Gefährliche Verhaltensweisen: Bei der Bewerbung einer App zum Fremdsprachenlernen wurde der Hauptdarsteller gezeigt, wie er mit dem Handy in der Badewanne lernt. Den Werberat erreichten mehrere Beschwerden, die diese Szene im Werbespot als Aufforderung zu gefährlichem Verhalten kritisierten. Wenn das Mobiltelefon mit einem
Ladekabel in der Steckdose verbunden wäre, sei dies ein hochgefährliches Verhalten, das bereits zu Todesfällen geführt habe.
Nicht beanstandet, da das Telefon deutlich sichtbar nicht an den Strom angeschlossen ist