Wie VW Emotionen wecken will und warum Winterkorn das gefährdet

Welche Spuren hat Dieselgate im Unterbewussten der Deutschen hinterlassen? Ist VW noch immer der zuverlässige, selbstverständliche Partner fürs automobile Leben? Die heart.facts Gesellschaft für Emotionsforschung hat das objektive emotionale Profil der Marke VW analysiert. Problem dabei: Winterkorn wusste nach neuesten Infos schon lange von den Mauscheleien und schwieg. Kann da eine neue Kampagne wirklich helfen?
Gegen Deutschland wird ein Verfahren eingeleitet. Wegen VW's #Dieselgate (© Volkswagen AG)

Der Vergleich der Messwerte von Sommer 2015 und Februar 2016 zeigt: Der emotionale Schaden ist riesig – aber darin liegen auch echte Chancen für VW. Dieselgate hat die VW-Emotion wachgerüttelt. Jetzt kann sich die Marke weiterentwickeln. Bei der Messung im Sommer 2015 löste die Marke VW fast keine emotionalen Reaktionen aus. Die für eine Automarke wichtige Attraktion war bei VW im Branchenvergleich nur schwach ausgeprägt.

Für VW zeigt das Profil von Februar 2016 dagegen extreme Veränderungen in fünf der sieben emotionalen KPI Sympathie, Vertrauen, Nähe, Relevanz, Attraktion, Skepsis und Stress. Das bisher völlig ausgeglichene Markenbild wurde so stark erschüttert, dass die Marke jetzt intensive, divergente emotionale Reaktionen hervorruft. Hat VW die deutschen Autofahrer früher weitgehend kalt gelassen, reagieren sie nun mit einem starken Wechselbad der Emotionen.

heart.facts-Geschäftsführer Oliver Spitzer: „Im Lauf der Jahre ist VW für uns so selbstverständlich geworden, dass uns die Marke mit nichts mehr wirklich begeistern konnte. Sie hat uns überzeugt, weil sie keine wirklichen Schwächen hatte, aber nicht mit Begehrlichkeit verführt. Jetzt hat die Marke einen echten Sündenfall erlebt. Nun einfach zu sagen: „Entschuldigung, kommt nicht wieder vor“, wäre viel zu wenig. Dass Dieselgate auch positive Emotionen freigelegt hat, macht die größte Krise zur wichtigsten Chance für VW. Die Marke verfügt gerade jetzt über eine einzigartige emotionale Dynamik, die sie für ihre Erneuerung nutzen kann.“

Das emotionale Profil 2016

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– Die Marke VW löst derzeit hohe Skepsis aus: Aussagen der Marke werden nicht mehr ungeprüft geglaubt, sondern automatisch angezweifelt. Wenn der unterbewusste emotionale Autopilot an einer Marke zweifelt, sucht er nach rationaler Bestätigung.

– Ein Maximalwert für Stress belegt, dass die Autofahrer offenbar keine gefestigte emotionale Einschätzung der Marke VW mehr haben. Die intuitive Urteilskraft ist verloren gegangen und sie sind mit der Bildung einer neuen Einschätzung massiv überfordert.

– Die hohe Relevanz der Marke bedeutet: Alle Aussagen über VW werden derzeit emotional besonders intensiv wahrgenommen und verarbeitet. Das umfasst Nachrichten (z.B. über Strafzahlungen in USA) ebenso wie die eigene Marken-Kommunikation.

– Auf den ersten Blick überraschend hat VW beim KPI Nähe deutlich hinzugewonnen. Emotionale Nähe ist eine implizit empfundene Zusammengehörigkeit. Sie ist die Grundlage für langfristige Beziehungen. Durch die Krise ist die Marke VW den Deutschen plötzlich ans Herz gewachsen. Von „solider deutsche Wertarbeit“ zu „unser VW“: keine andere Automarke erzielt einen so hohen Wert.

– Das für Automobile sehr wichtige emotionale KPI Attraktion zeigt dagegen ein völlig gegensätzliches Bild. Attraktion ist die akute Anziehungskraft, die das Gegenüber auf uns ausübt. Attraktion zeigt, wie stark eine Marke unserem eigenen Idealbild ähnelt. Hohe Attraktion bedeutet also unbewusst: „So will ich auch sein.“ Ein geradezu katastrophal niedriger Wert zeigt, dass die Marke aktuell nicht mehr zur Identifikation einlädt. Indem man einen VW fährt, wird dem Menschen, der man sein möchte, nicht ähnlicher – ganz im Gegenteil.

Eine Kampagne macht noch keinen Frühling

Vor einigen Tagen brachte das Handelsblatt einen Bericht, der aufzeigt, dass Martin Winterkorn schon länger von den VW-Problemen gewusst haben soll. Der Wirtschafts- und Finanzzeitung lagen exklusive Dokumente vor, die das beweisen sollen. Die Dokumente dienen der Verteidigung von Volkswagen gegen die Klagen mehrere Aktionäre. Gleich an 16 Stellen wird Winterkorn genannt, und soll im Zeitraum Frühjahr 2014 und September 2015 über das „Dieselthema“ informiert worden sein. Hätte der frühere Chef handeln müssen? Und warum hat er es nicht getan? Diese Informationen kommen zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt, vor allem, weil die neue Kampagne die Glaubwürdigkeit und die Tradition des Unternehmens wieder in den Mittelpunkt rücken sollte. Der Fall Winterkorn ist wieder ein Rückschlag für die Marke VW.

Vom Nachbarn zum Sorgenkind

https://www.youtube.com/watch?v=oxLPEJ2Nk8o

„Es geht um mehr als ein Auto: Es geht um einen Partner fürs Leben“ – mit diesem Anspruch läutet Volkswagen jetzt eine neue, emotionalere Positionierung der Marke ein. Angesichts der heart.facts Emotionsanalyse scheint das nicht ausreichend. Einfach nur die jahrzehntelange Verbundenheit mit seinen Kunden zu zelebrieren, greift zwar die derzeit starke emotionale Nähe auf, löst das Kernproblem der Marke aber nicht. VW muss jetzt zeigen, dass sie ihr Problem im Griff haben – und dass sie den Fall Winterkorn lückenlos aufarbeiten.

Zur Studie: Die Analyse der VW-Emotion erfolgte im Rahmen der unabhängigen Studie „heart.facts about brands“. Im Juli 2015 und Februar 2016 wurden bei 50 Autofahrern (47% weiblich, 53% männlich) die impliziten emotionalen Reaktionen auf die Marke gemessen und in zahlreichen Tiefeninterviews analysiert. Die implizite Emotionsmessung erfasst und erkennt Muster aus über 20 psychophysiologischen Datenströmen und ordnet diese sieben trennscharfen emotionalen Key Performance Indicators zu: Sympathie, Vertrauen, Nähe, Relevanz, Attraktion, Skepsis und Stress. Die tiefenpsychologischen Interviews gehen Zielen, Motiven und Sehnsüchten hinter den emotionalen Reaktionen auf den Grund.