Von Jürgen Kornmann
Früher wie heute gilt: Wer auf diesem Terrain völlig ohne Karte oder Kompass unterwegs ist, landet mit großer Wahrscheinlichkeit auf dem Holzweg. Denn der Grat zwischen einer soliden Nachhaltigkeitsstrategie und dem wenig überzeugenden „Greenwashing“ ist ebenso schmal wie der zwischen einer wertebasierten Haltungskommunikation und dem „Trittbrettfahren“ bei gesellschaftlichen Trendthemen.
Natürlich können die geschickte Adaption von öffentlichen Diskussionen und die zeitgeistkonforme Positionierung einen positiven Imagetransfer oder eine Absatzsteigerung ermöglichen. Wenn sich aber beispielsweise die neue Nachhaltigkeit in der Entwicklung grüner Logos oder der Nutzung dubioser Öko-Siegel erschöpft, ist die baldige Demaskierung programmiert und der Imageschaden absehbar.
Besonders groß ist dieses Risiko bei Unternehmen wie der Deutschen Bahn, die unter besonderer Beobachtung stehen. Bekanntlich gibt es ja 82 Millionen Fußball-Bundestrainer*innen in diesem Land, aber es sind auch ebenso viele Bahnchef*innen. Man kann es gut finden oder auch nicht, aber wir lassen niemanden kalt. Das heißt natürlich auch, dass es mindestens 82 Millionen Erwartungen an die Bahn gibt. Die einen fordern maximale Erträge, die anderen die konsequente Ausrichtung auf die Daseinsvorsorge. Wie konsequent muss das Unternehmen seine soziale und klimaschützende Verantwortung wahrnehmen? Auch die Frage, wie divers das Unternehmen aufgestellt ist und ob sich das in der Außendarstellung spiegeln darf, löst heftige emotionale Debatten aus (wie wir nicht erst seit Boris Palmer wissen).
Relevanz ist entscheidendes Kriterium
Das Spektrum dieser gesellschaftlichen Projektionen auf die DB ist dabei so vielfältig und gleichzeitig so kontrovers, dass daraus völlig unterschiedliche Unternehmensstrategien abgeleitet werden könnten. Die Versuchung wäre dementsprechend groß, sich aus allen Stakeholder-Ansprüchen jene auszuwählen und mit Purpose Marketing sowie Haltungskommunikation zu unterstützen, die dem Unternehmen am meisten nutzen. In dieser Situation hilft es, sich konsequent aus der Innenperspektive zu lösen. Statt auf fragwürdige und kurzlebige Konstruktionen von Purpose haben wir unsere Kernbotschaften aus externer Sicht definiert. Entscheidendes Kriterium dabei: Relevanz. Wie wichtig ist es wirklich für unsere Stakeholder, wenn wir uns zu gesamtgesellschaftlichen Zielen, Werten und Haltungen bekennen und unser unternehmerisches Handeln konsequent darauf ausrichten?
Grundlage eines erfolgreichen und glaubwürdigen Auftritts als „Good Corporate Citizen“ ist die umfassende Analyse der Stakeholder-Erwartungen. Hier reicht es nicht, sich aus öffentlichen Umfragen und Absatzzahlen ein vermeintlich passendes Unternehmensimage zu basteln. Nur wenn die (Neu-)Positionierung eines Unternehmens fest auf dem Fundament seiner DNA und dem nachweisbar konsistenten Handeln gemäß seiner Strategie steht, dringen seine Botschaften dauerhaft in die Köpfe und Herzen der Menschen vor.
Bestes Beispiel dafür ist die Wahrnehmung der DB in der Pandemiezeit. Als während der Lockdowns das Land stillstand, Flugzeuge nicht abhoben und Fernbusse nicht fuhren, stellten die Kolleg*innen in den Zügen, Bussen, Bahnhöfen, Leitstellen und Werkstätten weiterhin die Mobilität sicher. So kamen Ärzt*innen, Polizist*innen, Supermarkt-Mitarbeiter*innen sowie die in den Lkw an den Grenzen aufgehaltenen Warenströme zuverlässig an ihr Ziel.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar, dass wir unsere Marketing- und Kommunikationsbotschaften in der Krise noch stärker auf das Thema Relevanz ausrichten müssen: Es ging um die Frage, was die Menschen jetzt essenziell an Hilfestellung, Information, Vertrauen und Zuspruch benötigen. Durch diese konsequente Fokussierung auf unsere Angebote als systemrelevanter Mobilitätsgarant und das verantwortungsvolle Handeln der DB-Mitarbeitenden gelang es, die Image- und Kundenzufriedenheitswerte der DB in neue Höhen zu treiben. Von dieser Reduktion auf die wirklich relevanten Botschaften für unsere Stakeholder und der damit verbundenen positiven Wahrnehmung der DB profitieren wir inzwischen seit fast anderthalb Jahren.
Umweltschutz und Diversität im Fokus
Ein anderes Beispiel ist das Thema Umwelt. Die DB beförderte schon vor den großen Klimaschutzdebatten rechnerisch alle BahnCard- und Zeitkarteninhaber*innen im Fernverkehr seit 2013 mit 100 Prozent erneuerbaren Energien. 2018 waren es dann schon alle Reisenden in den ICE- oder IC-Zügen und 2038 wird der gesamte elektrifizierte Bahnverkehr – auch die Nah- und Güterverkehrszüge – nur noch mit Ökostrom unterwegs sein. Das Ziel der Klimaneutralität des Gesamtkonzerns wurde ebenfalls erst kürzlich von 2050 auf 2040 vorgezogen. Kein Wunder also, dass angesichts der massiv gestiegenen Relevanz der gesellschaftlichen Debatte die Erfolgsmessungen der DB-Marketing- und Kommunikationsmaßnahmen eine hohe Glaubwürdigkeit als Klimaschutz-Vorreiterin bescheinigen.
Dass relevanzbasierte Kommunikation wirkungsvoller ist, zeigt auch das Thema Diversität. Während der Fußball-EM im Sommer brach aus gegebenem Anlass eine kontroverse Diskussion darüber los, welche Unternehmen sich plötzlich mit Regenbogen-Logos schmücken und wie konsistent sich dieses Engagement zur gelebten Kultur in den Firmen verhält. Von dieser Kritik war die DB ausgenommen: Bahnchef Lutz verwies beim Branding eines ICE in Regenbogen-Farben stolz darauf, dass die DB neben vielen weiteren Aktivitäten zur Förderung der Diversität im Unternehmen auch das queere Mitarbeitenden-Netzwerk „railbow“ bereits seit zehn Jahren unterstützt. Dementsprechend umfangreich und positiv wurde das Engagement in den Medien aufgegriffen.
Marketing aus der Firmen-DNA ableiten
Natürlich darf an dieser Stelle nicht unterschlagen werden, dass diese offensive Kommunikation des DB-Engagements für Diversität auch eine kritische Debatte innerhalb des Konzerns auslöste. Aber auch hier führt eine relevanzorientierte Kommunikation nach innen dazu, dass sich die Mitarbeitenden nicht durch fragwürdige Unternehmenswerte, künstlich generiertes Purpose Marketing oder unglaubwürdige Haltungskommunikation emotional distanzieren. Die hohe Zustimmung zur aktuellen Konzernstrategie bei der letzten Mitarbeitenden-Befragung hat dies bestätigt.
Fazit: Nach außen wie nach innen ist Marketing und Kommunikation immer dann besonders erfolgreich, wenn es aus der DNA des Unternehmens direkt abgeleitet ist, durch nachhaltiges Handeln klar belegt werden kann und für die jeweiligen Zielgruppen wirklichen Wert besitzt. Dann wird Purpose Marketing zu echter Haltung mit Relevanz und trägt so zu einer nachhaltigen Wertsteigerung des Unternehmens bei.
Der Artikel erschien als „DMV-Kolumne“ zuerst in der November-Printausgabe der absatzwirtschaft.