Auf dem Papier mag das alles logisch erscheinen. Nur wenn man das Ganze aus Sicht der Kundenwahrnehmung betrachtet, löst sich diese Differenzierungslogik schnell in Schall und Rauch auf. Dazu einige einfache Fragen:
Was unterscheidet einen VW wirklich von einem Opel oder einem Ford?
Was unterscheidet einen Toyota wirklich von einem Mazda oder einem Honda?
Was unterscheidet Persil wirklich von Ariel, Omo oder einem anderen Vollwaschmittel?
Was unterscheidet einen PC von Lenovo wirklich von einem PC von Hewlett-Packard, Dell oder Acer?
Was unterscheidet ein Samsung Galaxy von einem anderen Android-Smartphone von LG oder HTC?
Was unterscheidet Red Bull wirklich von einer der vielen anderen Energydrinkmarken auf dem Markt?
Was unterscheidet Google wirklich von Bing oder einer anderen Suchmaschine?
Wenn man die Produkte der genannten Marken genauer unter die Lupe nimmt, wird man sehr wohl Unterschiede finden. Aber welche Rolle spielen diese wirklich bei der Kaufentscheidung? Nicht wirklich viel!
Der große Unterschied
Wo aber liegt dann der große Unterschied? Er liegt in den Köpfen der Kunden. VW besitzt im Breitenmarkt bei Automobilen die Position „Marktführer“ in den Köpfen der Kunden. Opel und Ford werden dagegen maximal als zweite oder dritte Wahl wahrgenommen. Und da können Opel oder Ford noch so viele Differenzierungsmerkmale in die Schlacht werfen, an dieser „Hackordnung“ in den Köpfen der Kunden wird dies wenig ändern.
Anders Toyota! Toyota ist kein weiterer Automobilanbieter unter vielen, Toyota ist die führende japanische Marke und Hyundai ist die führende koreanische Marke. Das heißt: VW, Toyota und Hyundai besitzen jeweils eine eigene Führungsposition in der Wahrnehmung der Kunden. Opel und Ford besitzen keine.
Persil besitzt die Führungsposition bei Waschmitteln. Dahinter folgen Ariel, Omo und Co. Lenovo ist gerade dabei sich die Führungsposition bei PCs zu erobern, denn Hewlett-Packard und Dell sind gerade dabei, diese Position „freiwillig“ aufzugeben. Beide Marken haben sich in den letzten Jahren verzettelt und damit ihre jeweilige Führungsposition verwässert.
Das Samsung Galaxy besitzt die Führungsposition bei Android-Smartphones und ist somit die erste Wahl für alle, die kein iPhone von Apple (aus welchen Gründen auch immer) haben wollen. LG, HTC und Co. werden maximal als weitere Anbieter wahrgenommen. Red Bull besitzt die Energydrink-Position in den Köpfen der Kunden. Genau daran scheitern die anderen Energydrink-Anbieter. Google wiederum besitzt die „Such“-Position in den Köpfen der Kunden. Genau das ist das große strategische Problem von Bing.
Bing versus YouTube
Dazu eine interessante Frage: Wer ist heute die zweitgrößte Suchmaschine dieser Erde? Das ist YouTube. Denn YouTube besitzt eine eigene Führungsposition in den Köpfen der Kunden. Google sucht Wörter, YouTube sucht Videos. Bing wiederum wird nur als Kopie von Google gesehen.
Wie könnte sich Bing von Google differenzieren? Genau das ist die falsche Frage. Die richtige Frage lautet: Welche eigene Führungsposition könnte Bing besetzen, um aus dem mentalen Schatten von Google zu kommen. Dazu wären zwei Schritte notwenig:
Schritt 1: Bing müsste die Führungsposition von Google erkennen und vor allem anerkennen, dass man sich mit der derzeitigen Me-too-Suchmaschine nicht differenzieren kann, ganz egal welche Differenzierungsmerkmale man auch sucht und findet.
Schritt 2: Bing müsste nach einer eigenen Führungsposition bei Suchmaschinen suchen, um dann diese Position gegen die Position von Google zu positionieren. So steht Google etwa nicht nur für Suchmaschine, sondern vor allem auch für „PageRank“-Suchergebnisse. Eine Alternativposition wäre dann eine Suchmaschine nach „TimeRank“-Suchergebnissen. Dann würde es zwei Arten oder Kategorien von Suchmaschinen geben. Wir würden dann je nach Suchbedarf einmal nach Wichtigkeit „googeln“ und dann nach Aktualität „bingen“.
Den Fokus verengen
Oft ist der beste Weg aber, um eine eigene Führungsposition zu finden, einfach den Fokus der eigenen Marke zu verengen, um also vom weiteren unprofilierten Generalisten zum führenden Spezialisten zu werden:
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Emery Air Freight das führende Luftfrachtzustellunternehmen in den USA. Als Marktführer las man den Kunden jeden Wunsch von den Lippen ab. So hatte man „Übernacht“-Zustellservice, Zweitages- und Dreitages-Zustellservice. Dann in den 1970er Jahren stieg Federal Express in den Markt ein. Die erste Strategie von Fedex: Dasselbe Leistungsangebot wie Emery, nur billiger. Nur das funktionierte nicht. Was wäre die herkömmliche Lösung gewesen: Wir müssen einen Weg finden, um unser bestehendes Leistungsangebot von dem von Emery noch besser zu differenzieren. Typisches Differenzierungsdenken! Anders Fred Smith, der Gründer von Fedex. Er fokussierte Federal Express auf „Übernacht“-Zustellservice und eroberte sich so die Führungsposition in diesem Bereich in den Köpfen der Kunden. Heute ist Fedex bedeutend größer als Emery Air Freight.
Oder nehmen Sie Rügenwalder! So lag der Umsatz dieser Marke Mitte der 1990er Jahre bei circa 70 Millionen Euro. Dann fokussierte man die Marke auf die Teewurst und das Schlüsselbild der Mühle. „Die mit der Mühle muss es sein“ war dazu der perfekte Slogan. Heute macht die Marke 170 Millionen Euro Umsatz. Dazu meinte der Marketing-Geschäftsführer von Rügenwalder Godo Röben kürzlich in einer Werbefachzeitschrift: „Über die Jahre haben wir unser Produktangebot von 400 Artikeln auf sechs reduziert und sind trotzdem kontinuierlich gewachsen.“ Besser wäre das Statement so gewesen: „Über die Jahre haben wir unser Produktangebot von 400 Artikeln auf sechs reduziert und sind deswegen kontinuierlich gewachsen.“ Die herkömmliche Lösung in den 1990er Jahren wäre sicher die gewesen, dass man nach dem einen Differenzierungsmerkmal sucht, mit dem man alle 400 Produkte unter der Marke vermarkten kann. Klassisches Differenzierungsdenken. Der viel bessere Weg: Die Marke auf Teewurst fokussieren, um so diese Position national zu erobern. Perfektes Positionierungsdenken.
Dies sollte man heute auch bei Opel bedenken. Was Opel heute nicht braucht, ist eine neue Differenzierungsidee. Was Opel wirklich braucht, ist eine ureigene Führungsposition in den Köpfen der Kunden. Dabei könnte man viel von KTM lernen. Ende der 1980er Jahre/Anfang der 1990er Jahre war KTM als weiterer breit sortierter Zweiradanbieter Pleite. Die herkömmliche Lösung: Wir müssen eine Differenzierungsidee finden, um unsere Produktpalette vom Mitbewerb klar abzuheben. Die bessere Lösung: Man fokussierte die Marke auf „Offroad“-Motorräder. Und in diesem Segment ist man heute Weltmarktführer.
Differenzierung versus Positionierung
Viele Marken- und Marketingexperten verwenden die Begriffe „Differenzierung“ und „Positionierung“ heute synonym. So sucht man dann nach dem einen Differenzierungsmerkmal in den Produkten oder den Dienstleistungen, um damit die Marke zu positionieren. Man möchte so schneller, leichter, stärker, teurer, billiger, sanfter, härter, sauberer, reiner als der Mitbewerb sein. Nur genauso bleibt man in der Regel immer im Schatten des Marktführers. Viel besser: Man sucht nach der einen freien Position in den Köpfen der Kunden, in der man selbst Marktführer werden kann, um dann diese freie Position mit der eigenen Marke zu füllen. Nur dazu muss man in vielen Fällen auch bereit sein, die eigene Marke a la Federal Express, KTM oder Rügenwalder massiv zu verändern. Was dominiert in Ihrem Unternehmen? Das Differenzierungs- oder das Positionierungsdenken? Es ist Ihre Entscheidung und Ihr Geld.
Über den Autor: Markenstratege Michael Brandtner ist der Spezialist für strategische Markenpositionierung und Associate im Beraternetzwerk von Al Ries. Er ist zudem Autor des Buches „Brandtner on Branding“ und Mitautor des eBooks „Visueller Hammer“, das im April dieses Jahres erschienen ist. Sein Blog: www.brandtneronbranding.com.