Warum Michelin bei der IAA auf Umweltschutz setzt

Anstatt Produktneuheiten zu bewerben, macht sich Michelin auf der IAA Mobility Anfang September für das Thema Nachhaltigkeit stark. Wie glaubwürdig dabei ausgerechnet ein Reifenhersteller sein kann, verrät Florian Pitzinger, Vice President Communication and Brands Europe North.
Michelin will alle Reifen bis 2050 zu 100 Prozent aus biologisch erneuerbaren oder recycelten Materialien herstellen. Die Marke stellt deshalb auch bei der IAA das Thema Nachhaltigkeit in den Mittelpunkt. (© Michelin)

Herr Pitzinger, wie wird Michelin bei der IAA Mobility das Thema Umweltschutz bespielen?

FLORIAN PITZINGER: Mitarbeitenden aus allen Abteilungen von Michelin und auch das Top-Management werden zum Beispiel auf der Messe Plastikmüll sammeln und Messebesucher animieren, mitzumachen. Influencer wie mrgoodlife, germanroamers oder gercollector, die sich einerseits für die Automobilbranche aber auch für naturnahe Themen interessieren, unterstützen uns dabei, für die Verschmutzung der Umwelt durch Plastikmüll zu sensibilisieren.

Wie glaubwürdig kann sich denn ein Reifenhersteller überhaupt für Umweltschutz einsetzen?

Das ist ein berechtigter Einwand. Da ja aber nun mal Autos zu unserem Leben dazu gehören, müssen es aus meiner Sicht sogar erst recht Unternehmen wie Reifenhersteller sein, die innovative umweltbewusste Produktkonzepte vorlegen. So setzen wir uns beispielsweise dafür ein, dass unsere Reifen bis zum Jahr 2030 zu 40 Prozent aus nachhaltigen Materialien wie Naturkautschuk bestehen. Oder erneuerbare Materialien wie recyceltes PET- oder Einwegplastik enthalten, die wir im „High Tech Recycling“-Verfahren verarbeiten. Fast vier Milliarden PET-Flaschen könnten jedes Jahr in die Reifenproduktion fließen. Ab 2024 können wir in einen Reifen mit einem speziellen Verfahren bis zu 12,5 PET-Flaschen und rund 143 Joghurtbecher verarbeiten.

Michelin-Reifen und deren Produktion sollen bis 2050 CO2-neutral werden. Wie wollen Sie das schaffen?

Ziel ist es, unsere Reifen bis 2050 zu 100 Prozent aus biologisch erneuerbaren oder recycelten Materialien herzustellen. Hierzu nutzt Michelin, neben dem recycelten Plastik, zum Beispiel auch Sonnenblumenöl, Kiefernharz, Orangenschalen und Aluminiumdosen. Diese Zutaten findet man schon heute in unserem neuen Hochleistungs-Rennreifen. Auch die Produktionswerke sollen bis 2050 klimaneutral arbeiten.

Mit unserem massiven Entwicklungsbudget von rund 680 Millionen Euro im Jahr und dem Know-How unserer Mitarbeitenden kommen wir dem Ziel täglich ein Stück näher. Zum Beispiel indem wir hocheffiziente Elektropressen für die Reifenkochung verwenden, die Dächer unserer Produktionsstandorte mit Solarzellen bestücken und Produktionsabfälle fast vollständig wiederverwerten – auch für Schuhsolen.  Aktuell lautet die Sparbilanz unserer deutschen Werke seit 2010: 60.000 Tonnen weniger CO2, knapp 125.000 Quadratmeter* neue Photovoltaik-Fläche für mehr Solarstrom, knapp 260.000 Kubikmeter weniger Wasser.

Können Sie ein konkretes nachhaltiges Projekt nennen?

Seit Februar 2021 nimmt Michelin gemeinsam mit dem schwedischen Unternehmen „Enviro“ den Bau des weltweit ersten Reifenrecyclingwerks von Michelin in Angriff. „Enviro“ entwickelte eine patentierte Technologie, um Ruß, Pyrolyseöl, Stahl, Gas und andere hochwertige Materialien aus Altreifen zu gewinnen. Damit können wertvolle Rohstoffe, die in Reifen enthalten sind, in verschiedenen gummibasierten Produktionsschritten wiederverwendet werden.

Ein verantwortungsbewusstes Unternehmen zeichnet sich nicht nur durch Umweltschutz aus, sondern auch durch soziale Nachhaltigkeit. Wie ist das mit dem massiven Stellenabbau bei Michelin zu vereinbaren, etwa bei der Werksschließung in Hallstadt bei Bamberg mit 858 Mitarbeitern zum 31. Januar 2021?

Wir haben das Werk ja nicht einfach dichtgemacht. Gemeinsam mit der Stadt Hallstadt und dem Kreis Bamberg entwickeln wir ein Revitalisierungskonzept. Auf dem Gelände des Reifenwerks soll der sogenannte „Cleantech + Innovation Park“ entstehen, unterstützt von der bayerischen Landesregierung mit einem zweistelligen Millionenbetrag. Der Park soll Raum schaffen für Unternehmen und Start-ups aus der Automobilindustrie und sämtlichen Bereichen innovativer Mobilität. Mit unserem Vorhaben wollen wir ein Leuchtturmprojekt für die Transformation der deutschen Autobranche schaffen. Unser Ziel ist es, die Region zu stärken und neue Arbeitsplätze zu schaffen.

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Ein solches Revitalisierungsprojekt ist uns schon einmal in Dundee, Schottland, gelungen. Das dortige Werk wurde im Juni 2020 geschlossen in einer sehr strukturschwachen Region. Zusammen mit der Stadt Dundee und der schottischen Regierung hatte Michelin den „Michelin Scotland Innovation Parc“ gegründet, von dem Michelin 33 Prozent ohne Gewinnabsichten hält. Über 60 interessierte Firmen und Start-ups haben sich für eine Teilnahme am Projekt beworben. Mehrere haben auch schon unterschrieben – mit dem Ziel, zukunftsfähige Hightech-Produkte in der Region zu entwickeln. Im Zuge der Revitalisierung haben von 846 Mitarbeitenden bereits 835 eine gute Weiterentwicklung gefunden.

Florian Pitzinger ist seit Januar 2020 Vice President Communication and Brands Europe North bei Michelin. Zuvor war er bei Bosch als Head of Internal Communications and Public Relations Automotive Electronics (2018 bis 2020) sowie als Spokesperson Automotive Technology für PR (2013 bis 2018) tätig. Als Absolvent der Kölner Journalistenschule arbeitete Pitzinger zudem als journalistischer Freelancer unter anderem für das „Handelsblatt“ und den „Stern“. (Foto: Michelin)

Almut Steinecke (ASt, Jahrgang 1972) war von 2021 bis 2022 Autorin bei der absatzwirtschaft. In ihrer Freizeit engagierte sie sich ehrenamtlich in einem Tierheim, in der evangelisch-lutherischen Kirche im Rheinland sowie im sozialen Dienst eines Pflegeheim der Arbeiterwohlfahrt für Menschen mit Demenz.