Warum ist Excel eine Erfindung des Teufels, Frank Dopheide?

"Gott ist ein Kreativer. Kein Controller" lautet der Titel des maximal kurzweiligen Buchs von Frank Dopheide. Auf 240 Seiten legt der Chef der Düsseldorfer Purpose-Agentur Human Unlimited dar, warum Menschen, die Unternehmen führen, weniger die Zahlen als die Menschen lieben sollten.
Frank Dopheide
Frank Dopheide: "Jetzt ist die Stunde der Kreativen und der Marketiers – sie müssen mit an die Chefschreibtische." (© privat)

Vorweg sei gesagt: Das nun folgende Interview ist aus gleich zwei Gründen nicht objektiv. Erstens ist die Journalistin per se auch eher Kreative als Zahlenmensch, sodass ihr die Argumente von Frank Dopheide mehr als einleuchten. Zudem war Frank Dopheide bis 2019 Chef der Handelsblatt Media Group und damit auch oberster Dienstherr der absatzwirtschaft. Sie lesen hier also ein mit Sympathie geführtes Gespräch, behalten Sie das im Hinterkopf.

„Stefan“ heißt in Deinem Buch der Prototyp des empathielosen, menschenfeindlichen, zahlenverliebten, leicht soziopathischen CEOs. Du verdienst bei Human Unlimited Dein Geld damit, Stefans zu beraten – klappt das?

FRANK DOPHEIDE: Ehrlich gesagt mag ich die Stefans ja auf eine Art, und die mögen mich, weil ich für sie ein Außerirdischer bin. Von daher haben wir einen erfrischenden Austausch. Außerdem werden sie ja erst durch das System zu dem gemacht, was sie sind. Sie verbringen ich weiß nicht wie viele Stunden am Tag mit Zahlen.Und wie viele Stunden mit Kunden und wie viele mit Mitarbeitern? Auf jeden Fall weniger! Ihre gesamte Organisation wird nach Zahlen gesteuert, ihr eigenes Gehalt, ihre eigenen Verträge. Sich dagegen aufzulehnen ist schwer, von daher ist das Buch ein Motivationsschreiben für alle, die den Kampf mal aufnehmen wollen.

Ist Excel eine Erfindung des Teufels?

Ich glaube ja. Weißt Du, warum? Wegen der Gläubigkeit an Excel. Das ist wie mit dem Teufel. Wenn es den nur gäbe und keiner würde an ihn glauben, dann wäre er egal. Wenn man an Excel glaubt, wenn man glaubt, ein Unternehmen nach Exceltabellen steuern zu können, dann wird’s schwierig.

Warum?

Weil wir uns alle selber etwas vorgemacht haben mit unserem Glauben an den rationalen Menschen. Menschen lassen sich nicht mit Zahlen steuern. Versuch mal, all das, was dir wichtig ist – Deinen Mann, Deine Kinder, Deine Hobbys, Deinen Hund – mit einer Exceltabelle zu führen. Welche KPIs würdest du nehmen?

Eine gute Frage. Apropos: Was würdest Du Milton Friedman, den Hohepriester der Profitsteigerung als oberstem Unternehmenszweck, gern mal fragen, würde er noch leben?

Ob er bereut, was er für einen Schaden angerichtet hat. Oder zuerst, ob er das heute anders sieht, denn schließlich ist das ja schon 50 Jahre her, das darf man nicht vergessen. Dann, ob er es bereut. Und dann, was er heute anders machen würde. Diese drei Dinge.

Du zitierst in Deinem Buch ein Motto von James Oscar McKinsey, den Gründer der gleichnamigen Unternehmensberatung, das an Eiseskälte schwer zu unterbieten ist: „Wer nichts zur Lösung beiträgt, ist Teil des Problems“. Du beklagst, dass in den Führungsetagen der Dax-Konzerne in der Regel ehemalige McKinsey-Berater sitzen und nennst das „success made by powerpoint“. Wer wäre Dir dort lieber?

Ich hätte gern erst einmal, dass alle, die ein großes Unternehmen führen, Menschen mehr lieben als Zahlen. Damit fängt es an. Dass sie nicht die Zahlen über alles stellen. Denn überraschenderweise sind ja Kunden, Mitarbeiter, Aufsichtsräte alle Menschen. Wenn diese Menschen an erster Stelle stehen, dann verbringen die Unternehmenslenker mehr Zeit mit ihnen, beschäftige sich tiefer mit deren Themen und weniger mit Excel-Tabellen.

Und Excel verwaist?

Natürlich muss sich jemand um Zahlen kümmern. Aber die Person an der Spitze des Unternehmens muss größer als Excel denken. Früher gab es den CFO, noch früher den Kassenwart – das ist eine wichtige Disziplin. Aber die Top-Entscheidungen müssen auf anderer Ebene getroffen werden. Die McKinseys sind dafür überhaupt nicht trainiert. Die Charts, die die so bauen, hören sich immer logisch an, passen aber null in die Welt. Denn die Welt funktioniert nicht logisch.


„Effizienzprogramme sind immer eine Mischung aus Aderlass und Amputation.
Seite 30


Mal ehrlich: Glaubst Du, Deine Forderung nach mehr Unlogik in der Unternehmensführung hat eine reelle Chance?

Ja. Jetzt. Vor Corona nicht. Was ist passiert? Die Unternehmen haben in den vergangenen Jahren gigantisch an Unternehmenswert zugelegt. Sie haben outgesourct, was outzusourcen war. Sie haben Effizienzen gehoben bis zum geht nicht mehr. Jetzt stecken wir in der Optimierungsfalle. Noch mehr Ersparnis beim Büromitteleinkauf bringt sie der Zukunft kein bisschen näher. Sie müssen irgendetwas Neues in die Welt bringen, und zwar nicht in der Tabelle, sondern in der Welt. Und deshalb ist die Führung von Unternehmen ein schöpferischer Akt.

Kann Stefan das?

Das ist ein ganz anderes Jobprofil. Wen würde ich da gerne sehen? Philosophen, Künstler, Schriftsteller – such es dir aus, aber nimm Leute, von denen du sagst: Die haben eine Idee! Die Welt ist so kompliziert geworden, manchmal können wir sie uns gar nicht mehr vorstellen. Und deshalb glaube ich, ist die Aufgabe der Führungskräfte etwas Wertvolles sichtbar, fühlbar, spürbar, visualisierbar zu machen, viel, viel größer als die Aufgabe, Zahlen unter Kontrolle zu halten.

Gibt es Vorbilder?

Steve Jobs war der Kunde mindestens mal genauso wichtig wie die Exceltabelle, das Design mindestens so wichtig wie der Profit. Richard Branson hat es geschafft, eine Airline-Industrie, Mobilfunk, eine Bank und ein Musik-Label unter einen Hut zu kriegen. Oder nimm die neue Generation von Politikerinnen, wie Alexandria Ocasio-Cortez oder die Regierungschefinnen in Skandinavien – die verändern die Welt, jede Wette. Auch die neue Generation an Unternehmerkindern – die Max Viessmanns – verändern Kultur, Wertschätzung und Werteraster. Bei den großen Corporates sehe ich das nicht. Dort werden lieber Tabellen als Bücher gelesen. Ich verstehe schon, warum das so ist, aber ich glaube daran, dass die Zukunft der Welt mehr als Rechenkünste braucht.

Liegt das Dilemma darin, dass das eine Manager sind und das andere Inhaber?

Total. Die Systeme der großen Organisationen sind Killer. Dort arbeiten schlaue Leute, die auch ein Gespür dafür haben, was man ändern müsste – aber in einer globalen Organisation mit hunderttausenden Mitarbeitern ist es schwer, etwas zu ändern. Es ist immer falsch, entweder von Aktionärsseite oder von Mitarbeiterseite oder von Kundenseite. Eigentümern fällt es viel leichter, etwas zu ändern, und die Unternehmerkinder trauen sich auch mehr. Sie sind im Augenblick vorne, wenn es darum geht, etwas zu schaffen, und zwar nicht nur Finanzwert.

Wird Corona die Werteorientierung befördern?

Ja, denn es gibt keine Chance, wenn Corona irgendwann vorbei sein wird, zu den alten Businessplänen zurückzukehren. Versuch nur mal, alle Leute fünf Tage die Woche wieder ins Büro zu kriegen. Versuch mal, Menschen morgens um 5:30 Uhr in den Flieger zu kriegen für ein Meeting in Berlin. Nie wieder. Es wird Menschen geben, die das einfordern, weil sie denken, die Mannschaft gehört an Bord. Aber die werden krachend an die Wand fahren.


„Der Chef der Zukunft muss Zahlen verstehen und Menschen lieben.
Seite 75


Nehmen wir an, Stefan begreift, dass er Menschen mehr lieben sollte als Zahlen. Was soll er jetzt tun?

Also das Gute ist: Stefan ist selbst Mensch und damit anschlussfähig qua Biologie. Er muss definitiv die Blase, in der er sitzt, verlassen. Das fängt mit seinem Büro an: Er sieht keinen Menschen, hat zwei Vorzimmerdamen, findet nicht im Leben statt. Von welchen Menschen ist er umgeben? Von Board-Mitgliedern, die ihm vorgefertigte Charts präsentieren. Da findet kein normales Gespräch statt. Das muss er durchbrechen, muss andere Leute sehen, sich andere Zugänge schaffen, möglicherweise muss er sich umsetzen, vielleicht muss er auch eine andere Sprache lernen. Und das geht wie bei allem, indem er sich Leute holt, von denen er lernt und sich etwas abgucken kann. Manchmal hilft es auch, einen freien Radikalen zu implementieren, der erstmal Mauern einreißt.

Gilt das, egal ob beim FMCG-Konzern, in einer Bank oder beim Retailer?

Bestimmte Branchen sind näher dran, weil sie schon immer mehr mit Kunden zu tun hatten. Die hohe Kunst des Wirtschaftens war ja in letzter Zeit, Geld mit Geld zu machen – am besten ohne Geschäfte, am besten ohne Angestellte. Das bricht jetzt auf. Denn es zeigt sich: Geld rettet uns bei Corona nicht. Du brauchst einen, der den Impfstoff entwickelt, und einen, der impft. Je weiter ein Unternehmen vom Menschen weg war, umso weiter ist der Weg zur Erkenntnis.

Du schreibst: „Gott ist kein Controller. Er ist ein Kreativer. Und vermutlich ist er eine Sie.Glaubst Du wirklich, Stefanies führen per se besser?

Ich wollte sagen, dass Gott nicht unbedingt ein Mann sein muss. Es geht nicht darum, ob Frauen besser sind oder nicht, sondern darum, das Denken zu öffnen.


„Aus dem Land der Erfinder und Unternehmen wurde die Nation der Optimierer.
Seite 80


In den 90ern galten die Chefs von Werbeagenturen gern als Götter … und wurden vielerorts auch so behandelt. Wünschst Du Dir diese Zeiten manchmal zurück?

Ja. Aber nicht das Göttliche fehlt mir, sondern die Leichtigkeit, die Lebensfreude, die Lust, mit Ideen die Welt zu bewegen. Wenn eine Gesellschaft das Gefühl hat, die Welt geht unter, verändert das die Menschen. Ich glaube, dass das Gute und Bessere entstanden ist, weil die Menschen etwas Neues in die Welt gebracht haben und nicht, weil sie etwas optimiert haben. Warum ist Kreativität heute wichtiger denn je? Weil du als Kreativer eine Geheimformel hast, denn du denkst: „Egal was auf der Welt passiert, ich habe irgendeine Idee, wie ich da rauskomme.“ Heute haben viele Menschen das Gefühl, sie seien hilflos und abhängig von irgendwas. Das ist grausam. Wenn alle das Gefühl hätten, irgendetwas werde ihnen schon einfallen, dann würden sie sich besser fühlen und es gäbe wahrscheinlich weniger Krankheiten und weniger Wut. Und deshalb ist Kreativität ein wichtiges Asset, das es wieder zu fördern gilt.

Welche Rolle spielen dabei die Marketingprofis?

Nach meinem eigenen Erleben sind Marketiers menschenaffin, sehen grundsätzlich optimistisch auf jedes Thema, sie sind kommunikativ und sie sind empathisch – das sind alles wundervolle Zukunftsfähigkeiten, die total gebraucht werden, in jeder Industrie. Und insofern bin ich überzeugt, ist jetzt die Stunde der Kreativen und der Marketiers – sie müssen mit an die Chefschreibtische.

(vh, Jahrgang 1968) schreibt seit 1995 über Marketing. Was das Wunderbare an ihrem Beruf ist? „Freie Journalistin mit Fokus auf Marketing zu sein bedeutet: Es wird niemals langweilig. Es macht enorm viel Spaß. Und ich lerne zig kluge Menschen kennen.“