Seit der Vorstellung der Apple Watch gehört MEEDIA zu den Kritikern eines noch unfertig wirkenden Produkts, das in der ersten Version die für einen langfristigen Erfolg erforderlichen Killer-Applikationen vermissen lässt. Wer mit dem 2015er-Modell am Handgelenk herumläuft, hat vor allem eine Vision gekauft. Fitness-Uhren gibt es reichlich auf dem Markt, zu einem Bruchteil der von Apple aufgerufenen Preise. Und die News-Apps? Unpraktisch, anstrengend zu konsumieren und ohne echte Empathie für das neue Medium designt. Headlines und Mini-Texte ohne Verlinkung mit teils nervigen Alarmfunktionen. Soll so die Zukunft der Mediennutzung aussehen?
Mobiler Nachrichtenkonsum explodiert
Das Gegenargument der Smart Watch-Enthusiasten: Auch das iPhone wurde zum Launch 2007 von vielen belächelt; es fehlten die eleganten Apps, und wer damals Web-Inhalte der Medienhäuser nutzen wollte, war auf Miniaturen der überfrachteten News-Sites angewiesen. Und wie hat sich das innerhalb weniger Jahre verändert: Heute zeigen die Displays der Smartphones mobiloptimierte Layouts gestochen scharf. Folge: Der mobile Nachrichtenkonsum ist in den letzten zwei, drei Jahren förmlich explodiert. Schon von daher schien es in der Logik der Omnipräsenz der News nur noch eine Frage der Zeit, wann die nächste mobile Plattform geschaffen wird, um den unmittelbaren Zugang zum Rezipienten konsequent voran zu treiben. Noch näher dran am Leser und womöglich neuen Zielgruppen – eine verlockende Vorstellung für Verlagshäuser, die mitansehen müssen, wie ihre Printauflagen langsam aber sicher verfallen. Warum also nicht als Pionier von der Innovation profitieren, denken viele, und eine vielleicht einmalige Chance nutzen?
Holpriger Weg in die Smart-Watch-Welt
Doch die Medien haben ein Problem. Journalistische Inhalte auf eine Smartwatch zu bringen, ist wie der Versuch, eine voluminöse Zeitungsausgabe in einen viel zu kleinen Briefkasten zu quetschen. Mehr als ein Hallo-Wach-Ruf per Headline und ein paar News-Fetzen im Telegrammstil sind auf den kleinen Displays kontraproduktiv, und auch die Töne, mit denen Breaking News , Bundesliga-Zwischenstände oder sonstige Inhalte angekündigt werden, können beim Nutzer und seiner Umgebung oft unerwünschte Nebeneffekte haben. Hinzu kommt, dass künftig etliche Anbieter von jedweden Dienstleistungen um Aufmerksamkeit und einen Platz in der App-Liste der Apple Watch-Käufer rangeln dürften, ein sich mit voranschreitender Marktdurchdringung noch verstärkender Effekt. Der MEEDIA-Praxistest zeigte, wie holprig der Weg in die Smart-Watch-Welt für newsorientierte Nutzer ausfällt.
Qualität, Aktualität und Affinität
Die Konkurrenz um die Augen und Ohren der Smartwatch-Fans ist gewaltig, weshalb sich am Ende diejenigen Anbieter durchsetzen werden, die das Produkt sowie die Bedürfnisse der Nutzer am besten verstehen und darauf die intelligenteste Antwort finden. Die Medien scheinen hier gleich doppelt im Nachteil: Sie sind gegenüber vielen Wettbewerbern aus anderen Branchen technologisch unterqualifiziert und wissen zudem wenig über ihre Kunden und deren aktuelle Bedürfnisse. Chancenlos sind sie deshalb keineswegs: Medienhäuser, zumindest jene, die ihre Kernkompetenz in hochwertigem Content und nicht primär in der Renditeoptimierung sehen, sind auch zwei Jahrzehnte nach dem Start des Internets die wesentlichen Garanten und Konstanten in der Lieferung journalistischer Stoffe. Die gilt es abzusichern gegen Rivalen aus dem Commerce-Bereich. Qualität, Aktualität und Affinität zu den Zielgruppen sind hier maßgebliche Kriterien. Wer als Medienhaus Ramsch bietet, darf sich nicht wundern, wenn ein paar zusammengekaufte Freie in einer Content-Farm den Job erfolgreicher erledigen.
In einem lesenswerten Szenario hat Journalismus-Trendscout Joshua Benton vom Nieman Lab in Havard dargelegt, wie er sich die Smartwatch-Nutzung im Jahr 2020 vorstellt und zugleich konstatiert, wie wenig Medienhäuser heute über ihre Nutzer wissen, wenn es darum geht, diese mit jeweils relevantem Content zu versorgen. Seiner Ansicht nach sind Social Media-Networks und Betreiber von viel genutzten Technologie-Plattformen in diesem Punkt uneinholbar voraus. Sie sammeln Unmengen von Daten und können so persönliche Präferenzen ermitteln, wissen, wo wir uns gerade aufhalten und abschätzen, ob wir eventuell auch von wichtigen Nachrichten im Moment nicht gestört werden wollen. Medien wären mit einer solchen Aufgabe gnadenlos überfordert; sie sollten erst gar nicht versuchen, auf diesem Feld in den Wettbewerb zu ziehen.
Machen Audio-Inhalte das Rennen?
Eine Alternative dazu ist der Weg der Kooperation. Facebooks Instant Articles bieten eine Möglichkeit dazu, die von Qualitätsmedien ebenso wie von Buzzfeed zumindest für eine Experimentierphase wahrgenommen wird. Das kann funktionieren, wenn Facebook maximale Transparenz bei den Nutzerströmen und ein faires Vermarktungsmodell gewährleistet. Zum Start scheint das nach Angaben von Teilnehmern der Fall zu sein. Ob das allerdings von Dauer ist, wird sich noch zeigen. Beim Thema Smartwatch geht es für die Medien allerdings um mehr: Denn anders als bei Facebook, wo Texte und Videos dominieren, erfordert die Hardware neue „Darreichungsformen“ der Nachrichten. Vor allem Audio-Inhalte könnten mittelfristig das Rennen bei den Nutzern machen, plakative Mini-Filmchen und eine weitgehende Reduktion von Textelementen. Das Nachrichtenangebot im MMS-Stil aufbereiten und dennoch unverwechselbar sein: Welcher Medienanbieter ist darauf vorbereitet? Hier wartet viel Entwicklungsarbeit, und wieder steht Technologie ganz oben auf der Bedarfsliste.
Für die Verlagshäuser bedeutet dies neue Investitionen und die Abhängigkeit von Kooperationspartner und Dienstleistern. Sie müssen ihre Inhalte-Welt erneut migrieren, nur diesmal nicht vom Gedruckten ins Digitale, sondern vom News-Portal in eine Miniatur-Landschaft. Das ist ebenso mühsam wie notwendig: Die Allgegenwärtigkeit des Internets und der Nachrichten erfordert es. Früher oder später werden sich Smart-Watches durchsetzen, ob von Apple oder anderen Marken. Medien-Apps werden dann ein selbstverständlicher Teil der neuen Welt am Handgelenk sein – nur müssen diese noch erfunden werden. Im Grunde sollten Medienmacher dankbar sein, dass die erste Apple Watch so weit von der Vision ihrer Erfinder entfernt ist. So gewinnen sie Zeit, sich auf die neue Ära einzustellen. Nicht viel, denn die Uhr tickt.