Dass von den Geschichten des Haudegens Ulrich bestenfalls die Hälfte stimmt, ist den meisten in der Abteilung klar. Auch der Marketing-Studentin Leila, die schon eine Weile als Praktikantin dabei ist. Sie schmunzelt mit, macht sich aber ihre eigenen Gedanken …
Storytelling in Marketing und PR
Gut, bis hierhin hat es der Artikel ja offenbar geschafft, Sie mitzunehmen. Und damit schon einen Teil seiner Aufgabe erledigt, nämlich von der Kraft des Storytelling zu berichten. Und was es damit auf sich hat – in Journalismus, Marketing und PR.
Dass es vor allem persönlich gefärbte und erzählte Geschichten sind, die uns fesseln, ist an sich natürlich nichts Neues. Gern verweisen humanistisch Gebildete zum Beispiel aufs Höhlengleichnis von Plato, das bekanntlich bereits eine ganze Weile her ist. Und auch der vielbemühte Sokrates hat der mündlichen Überlieferung eine Lanze gebrochen.
Storys wirken: Digital oder analog
Storytelling heute ist allerdings mindestens eine Stufe weiter: Erzählt wird inzwischen natürlich in der Regel über ein Medium. Und im Journalismus steht das Zauberwort sogar oft schon per se für multimedial erzählte Geschichten. Sehr schön (und prämiert) ist zum Beispiel, was die Zeit zum hundertsten Geburtstag der Tour de France veranstaltet hat. Allerdings ersetzen bunte Effekte keinesfalls sinnvolle Inhalte. Aber mehr dazu später.
Denn Storytelling fängt immer noch ganz unten an, bei der mündlichen Überlieferung. Von Powerpoint-Charts heruntergeleierte Spiegelstrich-Passagen möchte sich keiner gern anhören – nicht umsonst hat die vor Jahren gestartete Pecha-Kucha-Bewegung gezeigt, wie es anders gehen kann. Besonderen Erfolg mit den 20 jeweils nur 20 Sekunden gezeigten Chart-Sets hatte, wem es gelang, eine gute Geschichte über die Charts zu legen, die im besten Fall nur noch Bilder waren.
Es geht aber noch puristischer: So manches Mitglied des Dortmunder Marketing-Clubs wird sich an die Storys erinnern, mit denen Daimler-Zukunftsforscher Eckard Minx seine Zuhörer in seinen Bann gezogen hat. Ganz ohne Folien. Nur am Pult. Quasi als eine Art Future-Poetry-Slammer. Das wird vielleicht der nächste Seminar-Hype, haben sich doch schon die Naturwissenschaftler etwas von ihren literarischen Vorkämpfern abgeschaut und zeigen in vielbesuchten „Science Slams“, wie spannend Wissenschaft sein kann. Wenn die Geschichte dazu stimmt.
Wie lang oder wie kurz die Story ist, spielte eine untergeordnete Rolle. Sie muss passen. Das heißt zunächst, sie muss für die Zielgruppe relevant sein, auf gemeinsamen Erfahrungen beruhen, aber auch hinreichend Überraschungen bieten. Und wenn sie nicht nur unterhalten soll, liefert sie zudem die wichtigsten Fakten en passant mit, hübsch verpackt und geschmeidig konsumierbar.
Die richtige Story entwickeln
Wie handfest wichtig es ist, die richtige Story zu entwickeln (und welche Punkte zu beachten sind), lässt sich unter anderem im umkämpften Konsumgütermarkt ablesen. Große Marktforschungsunternehmen wie Ipsos bieten an, schon im Vorfeld einer Kampagne gemeinsam mit Agenturen und Verbrauchern in Workshops die „Big Idea“ zu erkunden, also zu ermitteln, welche Grundbedürfnisse angesprochen werden sollen, um welche Basis-Geschichte es gehen sollte. Derlei Aufwand für simple Fundamental-Botschaften mag verwundern, sichert aber die meist großen Investments in Medialeistung optimal ab. Denn derart abgesicherte Storys sind nachhaltig. Sie können monomedial wie multimedial wirken. Als mitreißender Vortrag wie bereits geschildert – und als digitales Storytelling, mit dem gerade der Journalismus versucht, sich vorm Obsoletwerden zu retten.
Natürlich sind auch nett aneinandergereihte Bild- und Info-Häppchen schon sehr ansehnlich und wecken Aufmerksamkeit. Aber noch besser funktioniert auch digitales Storytelling, wenn es eine richtige Story gibt – wie beim erwähnten Zeit-Beitrag zur Tour de France.
Info-Häppchen in knapper Form haben ihren Sinn, wenn es darum geht, Fakten rasch zu präsentieren – kein Wunder, dass Dienste wie „Google Now“ oder innovative Medienauftritte wie von Vox auf das neue Cards-Format setzen, das im mobilen wie dem Desktop-Web den guten alten Karteikasten wiederbelebt.
Haften bleiben auch Fakten aber vor allem dann, wenn sie in eine Geschichte verwoben sind – nicht umsonst brillieren Gedächtniskünstler wie der Dortmunder Oliver Geisselhart, in dem sie zu Storys verarbeiten, was sie sich merken wollen.
Darum haben wir auch unseren Einstieg über die Geschichte vom pfundigen Vertriebskerl gewählt. Leila, unsere schmunzelnde Studentin, will sich trotzdem kein allzu großes Beispiel an Ulrich nehmen. Sie sitzt zwar jetzt im Marketing, hat aber das Controlling schon hinter sich – da konnte sie sehen, wie viele Kunden bei Ulrich geblieben sind. Es hielt sich in Grenzen. Gute Geschichten wirken eben noch besser, wenn sie stimmen.
Über den Autor: Armin Hingst ist Geschäftsführer der Dortmunder Gestaltmanufaktur, einer Agentur für Unternehmensmedien.