Vorbild Österreich: Was bedeutet die schrittweise Öffnung?

Österreich war Deutschland bei allen Corona-Maßnahmen einen Schritt voraus. Nun auch bei der Wiederbelebung der Wirtschaft. Seit Dienstag nach Ostern sind Geschäfte wieder geöffnet. Was kann Deutschland von seinem Nachbarn lernen?
Österreich
Hornbach in Wien: Nach der Coronavirus-Sperre zieht der österreichische Handel eine gemischte Bilanz. In Baumärkten mussten die Kunden mittels Blockabfertigung in die Filialen gelotst werden. (© Anne Velten)

Österreich findet sichtlich Gefallen daran, den Nachbarländern in der Corona-Krise einen Schritt voraus zu sein. Bundeskanzler Sebastian Kurz gibt sich in öffentlichen Statements zuversichtlich, dass sein Land schneller und besser durch die Krise komme als andere. Zwar gilt Österreich als Mitauslöser der Krise in Europa, die aktiven Fälle sinken aber stetig. Mit einer Ansteckungsrate von eins und darunter seien in Deutschland die Krankenhauskapazitäten ausreichend, so auch die deutsche Regierung. Damit könne auch das öffentliche Leben langsam wieder in Gang kommen. In Österreich hat diese Phase bereits begonnen.

Die Kurz-Regierung war die erste in Europa, die einen Fahrplan für den Ausstieg aus dem Lockdown verkündigte. Nach Ostern wurden die ersten Beschränkungen langsam gelockert. Ziel war es, ab dem 14. April kleine Geschäfte sowie Bau- und Gartenmärkte unter strengen Auflagen wieder zu öffnen, so Bundeskanzler Kurz. Ab dem 1. Mai sollen dann alle Geschäfte, Einkaufszentren und Friseure folgen dürfen. Hotels und die Gastronomie sollen frühestens Mitte Mai öffnen.

Besonders die Woche nach Ostern stand Österreich unter Beobachtung von Deutschland. Werden hierzulande doch am 20. April Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 Quadratmetern wieder öffnen, wenn sie über ein Schutzkonzept verfügen. In Österreich durften vergangenen Dienstag Geschäfte unter 400 Quadratmeter wieder öffnen. Allein in Wien waren dies laut Wirtschaftskammer 4600 Läden. Die Öffnungszeiten sind auf 7.40 Uhr bis 19.00 Uhr beschränkt. Pro 20 Quadratmeter Ladenfläche darf sich nur ein Kunde aufhalten. Zudem herrscht generelle Maskenpflicht beim Einkauf. Händler, die zu viele Kunden ins Lokal lassen, müssen bis zu 3600 Euro Strafe bezahlen. Händler mit Verkaufsflächen von über 400 Quadratmetern, die nicht unter die Verordnung fallen und frühzeitig öffnen, können mit bis zu 30.000 Euro belangt werden. Geschlossen bleiben weiterhin Einkaufszentren, Möbelhäuser und Friseursalons.

Studien: Handel mit Milliarden-Verlusten

Insgesamt sieht der österreichische Einzelhandel durch die Lockerung ein wenig Licht am Ende des Tunnels. Laut einer Studie der Beratungsgesellschaft „Standort+Markt“ gemeinsam mit der Linzer Johannes Kepler Universität verliert der Handel durch die Sperren je Schließungsmonat zwei bis drei Milliarden Euro. Der industrienahe „Think Tank Agenda Austria“ geht für den Handel gar von Einbußen von 6,7 Milliarden Euro im vergangenen Monat aus.

Unverständnis und Ärger herrscht bei Möbelhäusern, großen Elektronik-Ketten, Einkaufszentren und anderen, deren Standorte mehr als 400 Quadratmeter haben und vorerst geschlossen bleiben. Es sei wettbewerbsverzerrend, dass Gartenmärkte öffnen dürfen, Einrichtungshäuser aber nicht, so beispielsweise XXXLutz. Die Sortimente würden sich überschneiden – etwa bei Gartenmöbeln oder Leuchten. Da zudem die Flächen größer seien, könne der Abstand auch besser gewahrt werden. Kritik, die auch in Deutschland laut wurde. Gemeinsam mit anderen Unternehmen erwägt das Möbelhaus eine Klage.

Verbrauchern haben Verständnis für schrittweise Öffnung des Handels

Dass der Handel schrittweise aufmacht, stieß bei den Verbrauchern hingegen auf großes Verständnis. Knapp zwei Drittel der Österreicher zeigte sich eher überrascht, dass erste Geschäfte nach Ostern wieder öffnen. Dass nicht in allen Läden wieder eingekauft werden kann, hielten ebenso viele für akzeptabel. Nur bei der Auswahl der Geschäfte, ging die Meinung der Konsumenten laut den Meinungsforschern von „Market“ auseinander.

Der ganz große Ansturm auf den Einzelhandel bleibt ohnehin aus in der ersten Woche nach dem Lockdown. Baumärkte und Gartencenter verzeichneten den größten Kundenandrang. Bilder von Schlange stehenden Kundenschaaren waren eher den strikten Regelungen zu Abstand, erlaubter Personenzahl und Einlasskontrollen geschuldet. Die Niederlassungen selbst gaben an, dass sie wie an einem durchschnittlichen Samstag im Frühjahr besucht wurden. Um einiges ruhiger ging es in den Wiener Einkaufsstraßen zu. Die geöffneten Geschäfte wurden nur sporadisch besucht.

Laut österreichischem Handelsverband machten die Läden im Schnitt 40 Prozent ihres eigentlichen Umsatzes. „Große Lust auf Shoppingtouren haben die Wiener aktuell nicht“, so die Wirtschaftskammer. Gerade die in der Wiener Innenstadt ansässigen und beliebten Niederlassungen von Edelmarken sowie Flagship-Stores blieben leer. Das lege zum einen daran, dass es keine Touristen gebe. Zum anderen, so die Wirtschaftskammer, bestellen besonders markentreue Kunden ihre gewünschten Produkte aktuell lieber im Internet. „In den Geschäften selbst zählt derzeit eher die Notwendigkeit und weniger die Marke.“

Den geringsten Andrang unter den wiedereröffneten Betrieben und Geschäften verzeichneten übrigens Waschstraßen. Scheinbar haben die Österreicher die Autopflege vor der eigenen Haustür durch Corona wieder für sich entdeckt.