Nur ein einfaches Klingelschild an einem Wohnhaus im schicken Istanbuler Stadtteil Beşiktaş weist den Weg zu Fauna Entertainment. Die Firma produziert und vermarktet Animationsfilme und Social-Media-Content für Kinder. Bevor er diese Räume zu seiner Firmenzentrale umfunktionierte, war dies die Wohnung des Gründers Ömer Fener, und so fühlt es sich auch an.
Die Mitarbeitenden haben ihre Schreibtische entlang der Fensterfront in dem Eckgebäude verteilt. Einige sitzen an einem großen schweren Holztisch, der früher mal als Esstisch diente. In der voll eingerichteten Küche setzt einer neuen Kaffee auf. Vom langen Balkon, der sich einmal um die Eckfenster des Hauptraumes zieht, schauen die Mitarbeiter*innen hinunter auf einen kleinen Park, und nur ein paar hundert Meter weiter, am Fuße des Hügels, auf dem das Haus steht, glitzert der Bosporus in der Sonne.
Vom Pionier zum Marktführer
Fauna Entertainment war Pionier im Bereich der Kinderanimation in der Türkei und ist heute Marktführer. „Die Cartoonfilmbranche existiert hier erst seit gut zehn Jahren“, sagt Emre Aksoy, Co-Chef von Fauna. Er sitzt auf einem großen Sofa gegenüber der Fensterfront und checkt noch schnell ein paar Mails. In dieser Jahreszeit ist viel zu tun, die Berichte für Investoren und Geschäftspartner stehen an, und in Kürze soll eine neue Kinderserie gelauncht werden.
Aksoy spricht perfektes Englisch mit leicht französischem Akzent. Der große, schlanke 28-Jährige mit schwarzen Haaren und Hornbrille ist in Frankreich geboren und aufgewachsen, hat in Schottland studiert und ging dann in die Türkei, das Heimatland seiner Eltern, wo er zunächst für eine Logistikfirma arbeitete. 2017 kam er zu Fauna und wurde Partner.
Ömer Fener und er sind ein gutes Team, sagen beide. Fener, ein mittelgroßer 40-Jähriger mit Glatze und dunkelblondem Bart, der fast immer lächelt, ist für das Kreative zuständig, Aksoy für die Vermarktung. „Ich habe die Firma zwar gegründet und musste mich daher auch um die geschäftliche Seite kümmern. Aber das lief erst einmal sehr chaotisch“, sagt Fener mit einem Lachen. „Emre hat da mit seinem europäisch geprägten Denken Struktur hineingebracht.“
Das Flaggschiff von Fauna hört auf den Namen Kukuli
Flaggschiff der Firma ist die Cartoonfigur Kukuli, ein drolliger kleiner Affe und seine beiden Freunde, die Kinder Tinky und Minky. Um sie spinnen sich kleine Geschichten über Alltagsthemen und Abenteuer, die sie gemeinsam erleben. Um Kukuli hat Fauna Entertainment eine ganze Welt geschaffen: TV-Episoden, die sowohl im Kinderprogramm des türkischen Senders TRT ausgestrahlt werden, als auch auf YouTube und Netflix zu finden sind, Songs, die über Plattformen wie Spotify vermarktet werden, und jede Menge Merchandising-Artikel wie Kukuli als Stofftier oder ein Karaoke-Mikrofon, das die beliebtesten Lieder zum Mitsingen eingespeichert hat. 80 Prozent ihres Umsatzes generiert die Firma mit Kukuli.
Viele der Geschichten werden als Songs präsentiert: eingängige Melodien mit einfachen Texten, manchmal mit Technobeats unterlegt, manchmal im Stil türkischer Arabesque-Songs. Die meisten haben Ohrwurmpotential. „Emotionen und Sensibilität sind enorm wichtig in der Türkei“, erklärt Emre Aksoy. „Alle großen Firmen hier gehen beim Marketing ihrer Produkte über die Emotionen.“ Für Fauna spiele Musik eine sehr wichtige Rolle. Einer der türkischen Werbegurus habe einmal gesagt, „die Herzen der Türken erreicht man vor allem über Musik“, sagt Aksoy.
154 Millionen Klicks auf YouTube
Und so produziert Fauna für Kukuli Lieder – die sowohl in den Episoden der Cartoonserie zu hören sind als auch ausgekoppelte Songs, die speziell für Social-Media-Plattformen komponiert werden. Viele sollen nicht nur Kindern gefallen, sondern auch Eltern ansprechen. Aksoy nennt ein Beispiel: „Es gibt einen Spruch, den Kinder immer von ihren Eltern hören, wenn sie etwas suchen, und den diese schon von ihren Eltern gehört haben: Es ist da, wo du es gelassen hast.“ Daraus hat Fauna zur Melodie von Harry Belafonte’s „Banana Boat Song“ ein Lied für die Kukuli-Charaktere kreiert. Allein auf YouTube wurde es rund 154 Millionen Mal angeschaut. „Mit diesem Song schaffen wir etwas, das Kinder und ihre Eltern gleichermaßen anspricht und sie verbindet.“
Die Ansprache über die sozialen Medien funktioniert deshalb so gut, weil junge Türkinnen und Türken sie sehr viel stärker nutzen als junge Leute in manch anderen Ländern. Gleichzeitig ist der Anteil an Hausfrauen unter den jungen Müttern recht hoch, das heißt sie verbringen viel Zeit in den sozialen Medien.
Die Spezialisierung war ein Zufall, der Erfolg gibt Fauna recht
Die Spezialisierung auf Kinderanimation hat sich eher zufällig ergeben. Fauna hatte Kukuli zunächst lediglich als Maskottchen für die Firma Civil erdacht, eine türkische Handelskette die sowohl in stationären Geschäften als auch über eine Online-Plattform Spielzeug, Kleidung und andere Dinge für Kinder verkauft. Die Spots mit Kukuli liefen zunächst auf YouTube und hatten eine so starke Resonanz, dass Fauna die Idee hatte, zu Kukuli unter eigener Regie eine Cartoonserie zu produzieren. Auch diese wurde mit Civil als Geldgeber zunächst ausschließlich auf YouTube veröffentlicht. „Damals sagten alle, ihr seid doch verrückt, mit YouTube lässt sich kein Geld verdienen“, sagt Emre Aksoy und lacht. Doch Kukuli wurde am Ende zu einem Pioneer der Branche: die erste und einzige türkische Animationsserie, die auf YouTube begonnen und dann zu einer bekannten Marke geworden ist, inklusive Merchandising-Artikeln und Lizenzierung ins Ausland.
„Wir planen nicht alles durch, sondern folgen unserem Instinkt und schauen, was passiert“, erklärt Aksoy das Prinzip seiner Firma. Das Team hatte sehr früh verstanden, dass soziale Medien gut dafür geeignet sind, eine Community für ein Produkt zu etablieren und man dies nutzen konnte, um Geld zu verdienen. Der erste Merchandising-Partner, eine Firma, die Plüschtiere und Puzzle herstellt, glaubte an diese Idee, noch bevor Kukuli richtig bekannt wurde. Das Geld, das Fauna verdiente, steckte man zwei Jahre lang komplett in die Kreation neuer Inhalte und ins Marketing. Schließich ging Kukuli viral auf YouTube. Die Videos erhalten dort inzwischen Klicks im zwei- bis dreistelligen Millionenbereich.
Paper Poo, die fröhliche Toilettenpapierrolle
Um die Ecke zu denken, liegt sowohl Aksoy als auch Fener im Blut. Kürzlich luden sie ihr Team zu einem Working Holiday für einen Monat nach Sri Lanka ein. Und während der Pandemie nutzten sie eine ungewöhnlichen Weg, um ihren Cartooncharakter Paper Poo zu launchen, eine fröhliche Toilettenpapierrolle für die Zielgruppe der Millennials.
Geplant war die Veröffentlichung bereits lange vorher, aber zu Beginn der Pandemie machte sich Fauna zunutze, dass auch in der Türkei plötzlich Toilettenpapier knapp und damit zum Thema in den sozialen Medien wurde. „Alle suchten nach Stickern und Gifs zum Thema Toilettenpapier“, erzählt Emre Aksoy. Das brachte das Fauna-Team auf die ungewöhnliche Idee, die Cartoon-Figur über Giphy zu launchen, eine Plattform auf der Social-Media-Nutzer*innen animierte Gifs für ihre Chat-Kommunikation finden und die auch in weit verbreiteten Chat-Diensten wie Whatsapp, Facebook und Instagram eingebettet ist. „Normalerweise würde man eine Kampagne auf Instagram oder YouTube fahren“, sagt Aksoy. „Aber wir hatten verstanden, wie unsere Zielgruppe interagiert und auf welche Art von Humor sie anspricht.“ Die Gifs von Paper Poo erreichten über 320 Millionen Views innerhalb weniger Wochen.
Exportschlager: Kukuli läuft inzwischen in 71 Ländern
Als in 2017 der staatliche Kindersender TRT Çocuk eine Umfrage unter den Zuschauer*innen durchführte, welche Sendung sie gern im Fernsehen sehen würde, erreichte Kukuli einen Platz unter den ersten fünf. Fortan strahlte der Kindersender die Serie türkeiweit aus. Und so stieg die Bekanntheit noch einmal stark an. „Nun erreichten wir auch Kinder, die in abgelegen Gegenden, zum Beispiel im Osten der Türkei leben“, erzählt Emre Aksoy.
2019 wagte Fauna den Sprung ins Ausland. Auch damit war die Firma wieder Vorreiter. Bisher hatte noch keine türkische Animationsserie die Expansion über das eigene Land hinaus geschafft. Kukuli läuft inzwischen in 71 Ländern. Ein wenig Hilfe kam dabei auch durch staatliche Förderung. Das Wirtschaftsministerium erstattet Unternehmen, die ins Ausland streben, einen Großteil ihrer Ausgaben für das dafür notwenige Marketing, etwa Auslandreisen für Messebesuche oder Vorstellungsrunden bei potentiellen Kooperationspartnern.
Von Kindern und aus der eigenen Kindheit lernen
Die Geschichten entstehen meist aus der Beobachtung von Kindern. Regelmäßig lädt Fauna Kinder zu sich ein, stellt ihnen eine Frage und wartet ab, was passiert. Oder das Team trifft sich und tauscht sich über eigene Kindheitserinnerungen aus. So entstand ein Song für Kukuli, in dem es um einen Apfelbaum geht. „Jeder hatte in seiner Kindheit irgendein Erlebnis, in dem ein Baum eine Rolle spielt“, sagt Aksoy und beschreibt damit, warum die Songs so viel Resonanz erfahren.
Die vertrauensvolle Zusammenarbeit und die familiäre Atmosphäre sind der Schlüssel für den Erfolg der Firma. „Wir haben uns alle unsere kindliche Art erhalten“, sagt Emre Aksoy und strahlt selbst wie ein Kind.
Auch in schwierigen Zeiten möchte das Unternehmen ihren Nutzer*innen Freude und bereiten mit ihrem Content. „Ich versuche immer optimistisch zu sein und das Positive zu sehen“, sagt Ömer Fener. In der Türkei, die in den letzten Jahrzehnten viele Krisen durchlebt hat, ist es nicht einfach, sich diese Einstellung zu behalten. Fener aber lässt sich so gut wie nie aus der Ruhe bringen. Er interessiert sich für indische Philosophie und meditiert täglich. Am liebsten arbeitet er im Café und geht in der Mittagspause ins Fitnessstudio.
Co-Produktionen mit Partner*innen aus Spanien und Indien
Gerade ist das neueste Projekt angelaufen, eine Serie in Co-Produktion mit einer Produktionsfirma für Animationsfilme in Spanien und einer in Indien. Sie dreht sich um den kleinen Jungen Briko, der zusammen mit einem kleinen Hasen aus allerlei scheinbar nutzlosen Alltagsdingen Spielzeug bastelt und Spannendes erlebt. In jeder Folge erhalten die beiden eine Überraschungsbox, in der sich ein Gegenstand befindet. „Es geht um Nachhaltigkeit“, sagt Aksoy. Die Kinder lernen so, dass man aus alten oder kaputten Dingen oder gar Abfall noch etwas Neues machen und damit Spaß haben kann. „Sie lernen eine Flasche nicht nur als Flasche zu sehen, sondern als einen Gegenstand, aus dem man zum Beispiel eine Rakete bauen kann.“ Wichtig war dem Team dabei, dass es sich um Dinge handelt, mit denen Kinder in allen Teilen der Welt etwas anfangen können.
In Bezug auf die Hauptzielgruppe, Kinder zwischen etwa 5 und 8 Jahren, verfolgt Fauna einen Ansatz auf Augenhöhe. Regelmäßig führt die Firma Treffen mit Kindergruppen durch. Sie beobachtet sie beim Spielen oder stellt eine Frage – zum Beispiel was sie in der vorigen Woche erlebt haben – und wartet, was sich daraus ergibt. Daraus zieht das Team Inspirationen für neue Charaktere und Geschichten. „Wir möchten Kinder nicht belehren, sondern sie unterhalten“, erklärt Aksoy. „Wir glauben, dass wir mehr von ihnen lernen können als sie von uns.“
Dieser Artikel erschien zuerst in der April-Printausgabe der absatzwirtschaft.