Von Gastautor Julius Ewig, Geschäftsführer bei metapeople und strategischer Vorstand der NetBooster Gruppe
Rund 30.000 Start-Up-Gründer, Werbe- und Medienmenschen, Online-Marketer, Wirtschaftsvertreter und Politiker, Coder und Nerds waren diesmal in der texanischen Hauptstadt zum Kongress für Digitaltechnik und Netzkultur zusammengekommen. Und sie redeten nicht nur über Politik (in diesem Jahr sogar noch mehr als 2016, als Barack Obama dem Festival einen Besuch abstattete), hörten Musik und schauten neue Filme. Sie tauschten sich im Brand & Marketing-Track des Interactive-Events auch über neue Entwicklungen im Online-Marketing aus. Fünf Trends sind mir dabei aufgefallen:
Trend 1: Künstliche Intelligenz ist inzwischen überall
Künstliche Intelligenz (KI) und Machine Learning sind mittlerweile im Marketing (aber nicht nur da) überall präsent: Ob beim autonomen Fahren im Auto, bei der Suche im Web, als Teil von konversationsfähigen Bots oder in Anwendungen der Marketingautomation. Spannend war die Diskussion, wie sich diese Entwicklung auf die Sensorik des Menschen auswirkt und die Art und Weise, wie wir künftig denken, handeln und sprechen werden. Und vielleicht sogar, wie wir die Welt sehen. Für Marken kommt es darauf an, auf diese technologischen Entwicklungen und wie sie die menschlichen Erfahrungen erweitern, angemessen zu reagieren und einen entsprechenden Kontext zu finden, um weiter erfolgreich zu sein.
Trend 2: Marketing im Zeitalter der Non-Konformisten
Da der Verbraucher heute nicht durch Etiketten und Schubladen eingeschränkt werden will, gleichzeitig aber ein personalisiertes Marketing-Erlebnis erwartet, wurde in Austin viel über „Marketing im Zeitalter der Non-Konformisten” gesprochen. In einer Welt mit 7 Milliarden Individuen verspricht psychographisches Marketing, wenn es mit aussagekräftigen Benutzerprofilen gekoppelt ist, hier eine Lösung des Dilemmas. Das Nutzen von psychographischen Daten – die Einstellungen und Interessen der Kunden – in Verbindung mit einem demographischen Targeting zum Beispiel in sozialen Netzwerken könnte die Art und Weise, wie heute Marken Daten für die Kundenansprache einsetzen, völlig auf den Kopf stellen und hat disruptives Potenzial.
Trend 3: Neue Konversationsschnittstellen verändern die Suche
Aber auch die klassischen Disziplinen im Performance Marketing waren in Austin ein Thema. Im Falle von SEO und SEA werden wir in den nächsten Jahren einen massiven Rückgang der Suche im klassischen Webbrowser erleben. Schon heute ist zu beobachten, dass mehr nach kompletten umgangssprachlichen Phrasen gesucht wird und weniger nach einzelnen Keywords. Gleichzeitig fallen auch die Antworten der Suchmaschinen im Zusammenhang mit mobiler Sprachsuche und neuen Konversationsschnittstellen – etwa im Auto – zunehmend verbal aus. Und da sie auf eine Anfrage im Normalfall auch nur eine Antwort geben, spielt das Ranking bei den Treffern in Zukunft eine noch wichtigere Rolle. Denn nur die Nummer Eins wird bei der Ausgabe berücksichtigt.
Trend 4: Display schafft kontextabhängige Mikro-Räume für Dialoge
Auch Werbeanzeigen entwickeln sich künftig zu einer Interaktionsmöglichkeit für Verbraucher mit Marken ohne die Barriere einer Website oder den bisherigen Zahlungswegen. Wearables und das Internet der Dinge sind da erst der Anfang. Display-Werbung leidet seit Jahren an einem Verständnismangel auf Seiten der Marketer hinsichtlich seiner Möglichkeiten. Das hat seine Ursachen in einer sehr starken Fokussierung auf die Performance-Kanäle und dem Problem, den Beitrag von Display-Aktivitäten am Umsatz genau messen zu können. Doch – so war in Austin zu hören – im Zusammenhang mit Datenerfassung in der Cloud, Analysen mit Hilfe von KI und psychographischem Marketing, aussagekräftigen Kundenprofilen und adaptiven Targeting in Echtzeit steht die Display-Werbung vor einem neuen Aufschwung. Über „Situated Opportunities“ reden wir seit Jahren. Nun können wir solche kontextabhängigen Mikro-Räume für Dialoge zwischen Verbrauchern und Marken intelligent realisieren.
Trend 5: Die Content-Welle könnte noch größer werden
„Vor 20 Jahren haben Marken nur vier große Content-Stücke im Jahr produziert, heute sind es zwischen 400 und 4000 – und das bei einem kleineren Budget“. Dieses Zitat von PepsiCo-Chef Brad Jakeman wurde auf der SXSW einem Roundtable zum Klassiker-Thema „Content Marketing” vorangestellt. Wie kann man in diesem Inhalte-Tsunami erfolgreich überleben? Einhellige Meinung: Nicht die Masse macht es, sondern der Mehrwert, den der Content bringt. Und das unterscheide Content Marketing auch von Werbung. Um die wachsenden Ansprüche der Verbraucher zu erfüllen, das wurde in den Diskussionen in Austin deutlich, gibt es keinen einfachen Weg beim Erstellen und Verbreiten von Inhalten. Mehrere Content-Versionen, die auf unterschiedliche Nutzerprofile abzielen, können hier ein Weg sein. Allerdings ist die Gefahr einer „Filterblase“, die auf der SXSW vor allem in den politischen Diskussionen immer wieder thematisiert worden, nicht von der Hand zu weisen.
Fazit
Bei insgesamt über 3000 Veranstaltungen in 24 thematischen Tracks, hunderten von mehr oder minder prominenten Keynote-Speakern und hochkarätig besetzten Diskussionsforen fällt es auf der SXSW immer schwerer, den Überblick zu behalten und seine Aufmerksamkeit den richtigen Programmpunkten zu widmen. Da hilft auch keine App mehr. Trotzdem konnte man ein paar interessante Entwicklungen entdecken, die auch für Europa relevant sein werden. Zwar liegen wir auf der Technologieseite – etwa beim KI-Einsatz – deutlich hinter den USA zurück. Aber immerhin: Beim psychographischen Marketing dürfte Europa die Nase vorne haben.
Zum Autor: Julius Ewig ist seit 2013 als Geschäftsführer bei metapeople u.a. für die Bereiche Affiliate-Marketing, Finance und Controlling und internationale Entwicklungen verantwortlich. Seit 2016 ist er auch strategischer Vorstand der Muttergesellschaft NetBooster Group, wo er die Strategie der börsennotierten Unternehmensgruppe weiterentwickelt.