Eurowings, Germanwings, Chicken Wings: fressen und gefressen werden
Studien über Flugangst belegen: Essen und Trinken in Flugzeugen minimiert ganz praktisch Flugangst. Wer also verhindern will, von der eigenen Flugangst gefressen zu werden, sollte zuschlagen: Die Fokussierung auf Bestell- und Verzehrabläufe lenkt die Aufmerksamkeit auf kleine, strukturierte Routinen: Bestellen, Kauen, Trinken, Schlucken, Leergut entsorgen lassen. Anstatt der eigenen Angst ausgeliefert zu sein und penibel all jene situativen Flugphänomene wahrzunehmen, die ihr Nahrung geben, handelt man innerhalb simpler Strukturen. Das hilft messbar ein wenig.
Holzklassengäste allerdings scheitern am rudimentären Nahrungsangebot: Staubkekse oder trockene Germanwings-Betonbrote machen die Wahl nicht leicht: Dem aktiven Biss ins Betonbrot steht als Alternative für Passagiere mit Flugangst die Fantasie gegenüber, ins Gras zu beißen. Ich habe nach zwei sehr ernsten Krisen in der Luft zwar seit Jahren Reste von Flugangst, aber ich kann ohnehin auf nüchternen Magen nichts essen und spare mir die Bröselkekse. Unterstellte man, Mut sei, das zu tun, wovor man Angst habe, gäbe es ohnehin nur eine Therapie für den Umgang mit Flugangst: fliegen, so oft es geht.
Übrigens: Der scheinbar unerklärliche Tomatensaft-Hype über den Wolken wird von einigen Fachleuten mit der durch Druckverhältnisse veränderten Wahrnehmung der Geschmackspapillen erklärt.
Vielflieger zwischen HON und Honk: Status-Junkies
Selbst für Executives gilt: In jedem Fluggast steckt im guten Fall ein Mensch. Und damit auch ein Schicksal. Manchmal allerdings kollidieren propagierter Selbstwert von Executive-Status-Membern in eigenwilliger Weise mit gelebter Wirklichkeit und mutieren zu einem zwiespältigen Gesamtkunstwerk: Die Zentrifugalkraft der Vielflieger-Elite-Kreise scheint stärker als die Selbstwahrnehmung einzelner Mitglieder. Ab und an trennt nur ein Konsonant Mitglieder des HON-Circles von jenen der Honks. Ein Beispiel?
In Lounges und Kabinen werden immer wieder einmal ohne jede soziale Kontrolle hoch vertrauliche Gesprächsdetails mit Namen Beteiligter durch die Welt gebrüllt – Summen, Projekte, Details von Pitches und Shortlists. Situationen, in denen man sich fragt, ob das eine oder andere Beratergesicht am Telefon kurz vor dem Start nicht vor dem Flugzeug jede Bodenhaftung verloren haben mochte.
Ein weiteres Beispiel erzählt von einer Situation eines Air-Berlin-Flugs von München nach Berlin am Abflug-Gate: Die Boardinggruppe der Air-Berlin-Erleuchteten beginnt mit ihrem Einstieg: Businessclass-Gäste, Platin- und Gold-Card-Member. Unternehmensberater vielleicht. Finca-Zweithausbesitzer. Rote-Teppich-Läufer. Von hinten drängelt sich mit übersichtlichem Erfolg ein kleiner Quadratmann durch die Menge: Bluthochdruckgesicht mit hoher Drehzahl. Unzufrieden und unter Druck. Ein Mann mit Rolex-Handgelenken, gekleidet in dieser teuren Art, die irgendwie angestrengt locker wirkt, entschlossen, die arglose Menge von hinten aufzurollen. Er ruft: „Sind Sie alle Platin-Card-Member? Alle?“
Köpfe drehen sich um, und Augen schauen ins Leere: Das Drama vom Längenwachstum gebeutelter Kurz-Männer, Platin-Card hin wie her: Man hört sie, aber man sieht sie erst, wenn man die Augen nach unten richtet. Der quadratische Platinmann mit Allradantrieb wühlt sich durch die Menge und schafft es bis auf den Schlangenplatz direkt hinter mir. Wäre er körperlich größer, ich hätte seinen Atem im Nacken spüren können. Nun befeuchtet er mein Sakko knapp oberhalb der Lendenwirbelsäule durch hochfrequente Schnappatmung.
Zehn Meter weiter: Stau in jenem Tunnel zum Flugzeug, den man Finger nennt. Der Quadratmann will selbst auf den letzten Metern noch zum Überholvorgang ansetzen: Mit starrem Blick nach vorn tritt er rechts neben mich, als gäbe es im Finger zwei Parallelschlangen. Tunnelblick im Tunnel. Schlimmer Finger.
Schritttempo der Einstiegsschlange: Zentimeterschritte, von Pausen unterbrochen. Ich bin amüsiert, richte auch meinen Blick starr nach vorne, mache einen halben Schritt nach rechts und schneide ihm millimeterweise den Weg ab. Einen Meter vor der Einstiegsluke kann er seinen Platz neben mir nur noch halten, wenn er bereit ist, direkt in den Papierkorb zu laufen, der im Finger rechts neben der Einstiegsluke des Fliegers steht. Maximal sinnvoll, falls Terroristen kurzfristig noch ihre Kalaschnikow entsorgen wollen.
Beim Einstieg ist sein Atem nun wieder dort, wo er hingehört: nackenabwärts hinter mir. Besser so. Es ist Erkältungszeit. Gar nicht gesund, die ganzen Keime. Nicht mal die aus Platin. Ich lasse mir viel Zeit mit dem Verstauen des Handgepäcks. Schließlich hetzt der Platinmann schimpfend in einem Tempo an mir vorbei, als wolle er auf der hinteren Seite wieder aus dem Flugzeug hinauslaufen.
Lebenszeit in Fliegern? Effizienz und Effektivität? Wer Lust hat, Menschen und ihr Verhalten zu betrachten, wird ab und an auch in Terminals und Fliegern fündig. Das spart TV-Zeit vor Dschungelcamp und Soap-Operas. Mehr noch: Er darf dabei sein – live und manchmal in der ersten Reihe.
Wenn die Airline ihn lässt.
Airline-Floskeln und ihre Übersetzungen
„Durch die verspätete Ankunft der Maschine verzögert sich der Einstieg um circa 30 Minuten!“
Verspätungssalami: Ihr Einstieg verzögert sich um zunächst 30 Minuten. Es können auch viermal 30 Minuten werden, die wir halbstündig mitteilen. Wir bleiben aber unterhalb der Drei-Stunden- Verspätungsgrenze, um fällige 250 bis 600 Euro Entschädigungszahlungen pro Gast zu vermeiden.
„Durch einen technischen Defekt der Maschine warten wir auf ein Ersatzflugzeug. Ihr Einstieg verzögert sich.“
Aufgrund von Auslastungsdefiziten Ihrer und der darauf folgenden Maschine haben wir die Buchungen beider Maschinen zusammengefasst und fliegen nur einmal. Auch wir müssen auf unsere Kosten achten.
Boarding-Mitarbeiter vor Einstieg: „Guten Flug!“
Lauf schneller, wir essen zeitig.
„Gerne“ oder „Sehr gerne!“
Floskel von Bodenpersonal und Flugbegleitern: In Einzelfällen sogar Antwort auf das „Guten Morgen!“ der Gäste beim Betreten des Flugzeugs.
Flugbegleiter vor Start: „Wir möchten Sie nun mit den Sicherheitsvorkehrungen an Bord vertraut machen.“
Möchten wir nicht. Müssen wir aber. Mir hört ohnehin niemand zu. Wie in meiner Ehe.
Über den Autor: Vielflieger Christopher Lesko leitet die Leadership Academy Berlin und begleitet seit vielen Jahren internationale Companys zu den Themen Leadership und Change. Als Autor schreibt Lesko Hintergrundtexte für verschiedene Medien. Seine Meedia-Interview-Reihe porträtiert Personen und zeichnet ihre Lebenswege.