Diese Woche könnte unser Leben und Wirtschaften verändern, wenn die EU-Parlamentarier*innen dem Paket „Fit for 55“ zustimmen (Die Details zum Programm finden Sie gut erklärt hier) Was klingt wie ein Wellness-Angebot für angehende Best Ager ist ein „gigantisches Gesetzespaket“ (Deutschlandfunk) und Teil des „Green Deals“. Es geht im Großen und Ganzen um den ökologischen Umbau unserer Volkswirtschaft und im Detail zum Beispiel darum, ob ab dem Jahr 2035 noch Autos mit Verbrennungsmotor verkauft werden dürfen. Wie schwierig eine Einigung auf EU-Ebene ist, zeigt die Vertagung der Entscheidung im EU-Parlament vom Mittwochnachmittag. Das Europaparlament konnte sich zuvor nicht auf eine vorgeschlagene Reform des EU-Emissionshandels als Teil des Green Deals einigen.
Was die Pläne der EU fürs Marketing bedeuten und wie sich Unternehmen „green deal ready“ machen, hat meine Kollegin Christine Mattauch in der unbedingt lesenswerten Titelstory zum Green Deal in der absatzwirtschaft 05/2021 geschildert. Darin weist der wissenschaftliche Geschäftsführer des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, Professor Manfred Fischedick unmissverständlich auf die Verantwortung der Marketingprofis hin: „Marketing spielt eine ganz wichtige Rolle, um Nachhaltigkeit und Qualität von Produkten herauszustellen und Innovationen Akzeptanz zu verschaffen.“ Mit „Fit for 55“ werden verantwortungsvolle Marketingmenschen alle Hände voll zu tun haben.
Einheitliche Ladebuchsen: Top oder Flop?
Ganz abseits des Green Deals haben die EU-Politiker*innen in Brüssel am Dienstag ein großes Ärgernis abgeräumt: Schubladen voller Kabelsalat mit Strippen für alle möglichen Geräte. Ab Mitte 2024 sollen Mobiltelefone, Tablets, Laptops, Navis, Tastaturen, Kameras, E-Reader & Co endlich über eine einheitliche Ladebuchse verfügen. Das soll Elektroschrott einsparen.
Kaum freut man sich so richtig über diese Nachricht, kommentiert Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder, die politische Festlegung auf einen technischen Standard werde den Elektroschrott nicht reduzieren, sondern vor allem Innovationen bremsen und laufe dem wichtigen Prinzip der Technologieoffenheit massiv zuwider und – um es abzukürzen: Das Ganze nütze sowieso nichts. Es wäre sehr schade, wenn Bernhard Rohleder recht behielte.
Brad Smith und das elende Dilemma
Seit einem guten halben Jahr verhandelt „Die Zeit“ einmal im Monat im eigenen Ressort „Green“ Themen rund um Klimawandel und ein nachhaltiges Leben. Prädikat: wertvolle Lektüre! In der aktuellen Ausgabe steht Microsoft-Präsident Brad Smith Rede und Antwort. Smith gilt, so die „Zeit“ als Außenminister der Tech-Branche, und bringt das elende Dilemma zwischen wirtschaftlichem Wachstum und Planetvernichtung auf den Punkt: „Am einfachsten wäre es natürlich, wir würden unser Geschäft schrumpfen lassen und dadurch weniger Emissionen schaffen. Aber das Ziel ist ja, unser Geschäft zu vergrößern und trotzdem weniger zu emittieren.“ Genau an diesem Punkt nageln ihn die Journalist*innen natürlich fest. Die Argumentation von Smith ist spannend und seine Überzeugung, dass Fortschritt, Erfindungsgeist und Innovationskraft uns alle retten werden, ist bestechend. Doch, ach, dann kommt einem doch der Faust in den Sinn: „Die Botschaft hör´ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube“. Es wäre aber sehr schön, wenn Brad Smith recht behielte.
In einem anderen Dilemma stecken derzeit viele Deutsche: Inflation und hohe Energiekosten fressen ihnen das verfügbare Geld weg. Laut dem Anfang Juni vom Handelsverband (HDE) veröffentlichten „Konsummonitor Preise 2022“ achten die Konsument*innen bei Lebensmitteln deshalb mehr auf Sonderangebote und verzichten teilweise komplett auf Produkte. Fatal: Besonders Grundnahrungsmittel werden immer teurer. Im Preisranking von April 2022 haben sich Speiseöle, Eier, Schweinefleisch, Butter, Mehl und TK-Obst gegenüber dem Jahresdurchschnittswert 2019 um mehr als 25 Prozent verteuert. Insgesamt kaufen nur noch 56 Prozent der Käufer*innen wie bisher in den nachhaltigen Produktkategorien ein. Insbesondere Alleinerziehende kaufen weniger Bioprodukte, weniger regionale Produkte, weniger fair gehandelte Produkte und weniger Fleischersatzprodukte. Die zwar traurige, aber nicht überraschende Erkenntnis: Je größer die Angst, dass das Geld nicht reicht, desto eher wird verzichtet – nachhaltiger Konsum ist also immer noch eine Frage des Portemonnaies. Es wäre sehr gut, wenn sich das ändert.
Eine gute Woche noch, und behalten Sie die Zukunft im Blick!