Mein Mann und ich hatten einmal folgende, nicht ganz ernst gemeinte Business-Idee: Einen mobilen Snack- und Getränkeverkauf im Sommer zu maßlos überteuern Preisen entlang des Teilstücks der A1, das nur wenige Meter entfernt von unserem Haus verläuft. Den Landwirt, dem das kleine Feld zwischen Wohnstraße und Autobahn gehört, kennen wir gut. Sollte also kein Problem sein, sich mit Kühltruhe und Tapeziertisch irgendwo aufzustellen und die Ware direkt durchs offene Autofenster hineinzureichen. Denn Stau macht hungrig – und auf der A1 zwischen Lübeck und Hamburg ist häufig Stau.
Einem ähnlichen Konzept folgen Pizza-Lieferservices in den chronisch verstopften Straßen indischer Großstädte: Aus dem Taxi heraus bestellt man sich seine Wunschpizza, gibt seine Koordinaten durch – und nur kurze Zeit später bringt ein Bote per Roller das gute Stück zum Wagen. Essen auf Rädern mal anders.
Geschäftsidee würde in Frankreich floppen
Aber zurück zur Ursprungsidee: Für den deutschen Markt sehe ich großes Potenzial, in unserem direkten Nachbarland Frankreich wäre sie ein Rohrkrepierer. Denn schleppenden Verkehr kennen dort nur die wenigsten. Das wurde mir während meines zweiwöchigen Urlaubs in der Auvergne (absoluter Reisetipp!) einmal mehr bewusst. Das Geheimnis dahinter: die Maut. Sie sichert nicht nur einwandfreien Straßenbelag, sondern macht das Autofahren auch zu einem sicheren und vor allem entspannten Erlebnis. Dazu zählen unter anderem eigene Busspuren, elektronische Informationstafeln zur Verfügbarkeit von Ladestationen für E-Autos sowie zahlreiche Radarkontrollen (es gilt ein Tempolimit von 130 km/h) – ausgenommen die Stadtautobahn von Paris: Dort herrscht totale Anarchie.
Passiert man die Grenze zu Deutschland, bekommt man direkt schlechte Laune. Hupen und Pöbeln machen den Sound unserer Autobahnen aus. Warum ist das so? Meine Theorie: Die Infrastruktur beeinflusst unsere Psyche massiv. Ist sie fahrer*innenfreundlich ausgerichtet, bleibt man ruhig und gelassen. Quält sie uns mit Baustellen (auf denen erstaunlicherweise nie jemand zu sehen ist), Fahrbahnverengungen oder gar Ampeln (!) erwacht der Asphalt-Rambo in uns. Ich versuche mich dann immer selbst runterzupegeln mit dem Spiel „Ich sehe was, was es nicht gibt – eine Rettungsgasse“. Erfolgsquote: null.
Mobilität als Gigatrend
Zwei Gedankengänge weiter führt es mich zum Thema Digitalisierung, die auf politischer Ebene bekanntermaßen in der Hand des Verkehrsministeriums liegt. Für viele nicht nachvollziehbar, andererseits total sinnvoll: Denn Mobilität als digitaler Gigatrend kann entscheidende Impulse für den technologischen Wandel liefern (und umgekehrt). Könnte…
Nehmen wir das Treiben auf deutschen Autobahnen als Gradmesser für die Digitalisierung in Deutschland, zeigt sich jedoch ein eher durchwachsenes Bild. Gleichzeitig hat der zuständige Bundesminister Volker Wissing (FDP) angekündigt, sein Mehr an Befugnissen und finanziellen Mitteln zielführend einzusetzen. Ich hoffe, dass dies nicht nur leere Worthülsen sind, sondern wir endlich mal das ewige Mittelspurfahren überwinden und den Turbo einlegen. Zur Not mit der Einführung einer Maut – gerne als kompaktes “9-Euro-Ticket“.
Isabelle Ewald ist Senior Consultant Technology Strategy beim Handels- und Dienstleistungskonzern Otto Group. Überdies ist sie Co-Host des zweiwöchentlich erscheinenden True-Crime-Podcast „Mind the Tech“, der sich um den Tatort Internet dreht.