Am Vortag des Deutschen Handelskongress lud the retail academy aus Köln in Kooperation mit dem Management Forum zu einer Handelstour durch Berlin. Man wollte sich auf die Suche begeben nach der besseren Customer Experience, die in der Lage sein soll, dem stationären Handel einen USP zu bewahren, angesichts der starken Onlinebedrohung. Auf dem Tourprogramm stand eine bunte Vielfalt an Unternehmen, vom globalen Kosmetikurgestein Chanel bis zum winzigen Tee-Start-up Paper & Tea.
Die Lust zum Einkauf wecken
Den Auftakt machte der Besuch bei einer von weltweit drei Chanel Boutiquen. Schon die Wahl der Location unmittelbar neben den umtriebigen Hackeschen Höfen ist spannend. Die gesetzte Kosmetikmarke wirkt hier wie ein Fremdkörper. „Man will jüngere Zielgruppen erreichen“, kündigte Tourguide Hanna Sondermann an. Zumindest optisch scheint dieses Ansinnen verfehlt. Die klassische Kombination aus Schwarz, Rot, Chrom und Glas hätte so auch in den 80ern gebaut werden können. Hat man die Eintrittsschwelle dagegen überwunden, gewinnt das Konzept an Charme. Im Vergleich zu Parfümerien und Kaufhausabteilungen herrscht hier eine sehr ruhige, angenehme Atmosphäre, die Zeit lässt für das Ausprobieren von Produkten. „Hier geht keiner ungeschminkt raus“, sagt der Boutique-Leiter. Beratungs- und Dienstleistungsangebote wie Arm- und Handmassagen markieren die analoge Qualität. Der spannendste USP für die Stammkundinnen dürfte aber sein, dass die Boutique Neuware als erste präsentieren darf.
Nur wenige Meter weiter residiert der Wettbewerb mit Jo Malone, einer aufstrebenden Beauty-Marke aus London. Das Ladendesign ist deutlich progressiver als bei Chanel – das passt schon besser zu diesem Kiez. Alternativlos aber wird der Laden durch das grundlegende Geschäftsprinzip: Aus zwei Dutzend Grunddüften entwickeln die Berater mit dem Kunden eine individuelle Mischung. Auch die Verpackung der Produkte entsteht in der Interaktion mit den Kunden und folglich individuell. Nachbestellen kann man die einzelnen Düfte zwar auch im Netz, aber die Entwicklung des individuellen Duftes erfolgt nur hier.
Hin zum Offline-Gesicht
Branchenwechsel. Wieder einige Meter weiter nach Osten befindet sich das Clubhaus von Rapha. Rapha ist eine der traditionsreichsten Rennradmarken. Und statt ein klassisches Radgeschäft aufzubauen, setzen die Engländer auf ein Club-Konzept. Mitglieder verabreden sich zu Touren, trinken im Clubhaus Kaffee, reparieren ihr Material und kaufen Produkte. Und das weltweit. Was für die aktuell 300 Berliner Mitglieder das zweite Zuhause ist, wirkt auf den Erstbesucher zumindest gewöhnungsbedürftig. Richtig viel zu kaufen gibt es hier nicht. Aber bemerkenswert ist, dass die Expansion von Rapha zunächst über E-Commerce stattfand, bevor man sich entschied, in die Fläche zu gehen. Der Laden gibt der Marke ein (Offline-) Gesicht.
Eine echte Enttäuschung war der Pop-up-Store von Hugo Boss
Ein winziges Sortiment mit dem Schwerpunkt 90er, untergebracht in einem sehr schmalen Outlet und mit einer nicht wirklich einladenden Bar, vermittelten einen lieblosen Eindruck. Auch wenn es viele Gründe für einen Pop-up-Store geben mag, ein Kernkriterium ist unverzichtbar: Ein engagiertes und kompetentes Personal, das den Laden mit Seele füllt. Dieser Kontrast zu den anderen besuchten Stores tat der Tour gut, denn plötzlich wandelten sich die Teilnehmer von passiven Zuhörern zu aktiv diskutierenden Handelsexperten.
Viel Licht und ein wenig Schatten gab es auf der gegenüberliegenden Straßenseite bei Paper & Tea. Der Laden ist wunderbar verspielt eingerichtet, so dass von außen gar nicht mehr zu erkennen ist, was dort eigentlich verkauft wird. Traut man sich über die Schwelle, wird man mit einem spannenden sensorischen Erlebnis belohnt. Tee-Läden duften immer, dazu kommt aber das Knistern grober Papierverpackungen, die den Produkten viel Anmut verleihen. Die gleiche Liebe zum Detail spielt Paper & Tea auch online: Die Verpackung wird zum integralen Bestandteil der Customer Experience.
Vom liebsten Hobby der Männer: Grillen
Das sinnliche Erleben steht auch ganz im Mittelpunkt des Flagship-Stores der Grillspezialisten von Weber. Laden und Akademie schmiegen sich Schulter an Schulter. Es duftet nach Gegrilltem. Das heimelige Geräusch knisternder Holzkohle klingt aus den Lautsprechern. Und dabei ist das Weber-Team gerade auf der Mission „Elektro“. Die Abkehr von den geliebten fossilen Brennstoffen ist eingeläutet. „Akademie und Shop befeuern sich ständig gegenseitig“, so der Shop-Leiter. Insgesamt wächst die Kursnachfrage derzeit nicht mehr, dafür haben die Verkäufe auch im Merchandising jüngst angezogen. Und gelegentlich gibt es die Frage nach vegetarischen Grillkursen. Man kann sich der stilvollen Hightech-Retro-Atmosphäre des Ladens kaum entziehen.
Die letzten beiden Stationen der Retail Tour liegen am Kudamm. Das KaDeWe befindet sich mitten im größten Umbau der Geschichte des Hauses. Daher fokussiert sich die Tour vor allem auf das Konzept der Personal Shopper. Solvente Kunden werden in Separees geführt, dort bewirtet und mit einer Auswahl an Kaufbarem beglückt. Wer Clubmitglied ist und jährlich fünfstellig umsetzt, bekommt sogar seinen exklusiven Parkplatz mitten in der City. Für exklusive Kunden bleibt das KaDeWe zweifellos die erste Adresse, aber ob das historische Gemäuer neue Kunden anzieht oder vor allem für einen schlendernden Bummel ohne Kaufabsicht herhalten muss, wird sich zeigen. Auf jeden Fall könnte das größte Kaufhaus der EU (60 000 Quadratmeter) ein Indoor-Navigationssystem vertragen.
Personalisierung: Eine feste Umsatzgröße
Das Ende der Tour markierte der Nike-Flagship-Store. Nach Angaben des Store-Leiters ist er einer der progressivsten aller Nike-Stores. Vor allem im Erdgeschoss gibt es wenig feste Einrichtungsbestandteile. Alles ist im Fluss und wird an aktuelle Sportevents wie den Berlin Marathon oder eine Fußball WM radikal angepasst. Zum Berlin-Marathon hat man extra ein Profi-Laufband installiert, das bis zu 22 Km/h schafft. Zum Vergleich: Der normale Jogger schafft zwischen acht und zwölf Kilometer pro Stunde. Ein weiterer USP für die Fläche ist das Thema Nike-ID. Die Personalisierung ist inzwischen zu einer festen Umsatzgröße für die Sportartikler gewachsen. Zwar kann man auch online personalisieren, aber im Store kann man das Stickgarn und die Obermaterialien anfassen und Farben unter realen Lichtbedingungen auswählen. „Viele schauen sich das hier an und bestellen dann im Netz“, so der Filialleiter. Showrooming mit ausdrücklicher Erlaubnis.
Übrigens haben die Nike-Verkäufer Handhelds, mit denen sie Bezahlungen annehmen und Nachbestellungen im Online-Shop auslösen können. Die Kassenzone gibt es zwar noch, aber sie kann umgangen werden. Über ihr prangt der Schriftzug: „There is no finish line“. Das gilt wohl auch für den Wandel im Handel.