Seit zwei Jahren versuchen zwei ehemalige Kommilitoninnen und ich, auf unser 20-jähriges Studienjubiläum anzustoßen: Im Wintersemester 2000 sind wir uns das erste Mal am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Hamburg begegnet und haben uns seitdem nicht mehr aus den Augen verloren. Aus pandemisch-logistischen Gründen ist das Treffen bis heute nicht zustande gekommen beziehungsweise musste mehrfach verschoben werden. Dabei hätten wir große Lust, uns durch das gemeinsame Schwelgen in Erinnerungen in eine Zeit zurückzuversetzen, die zu den prägendsten unseres Lebens zählt. Bad Taste Partys, schrullige Professor*innen und unzählige Last-minute-Referate haben ein festes Band zwischen uns geschnürt.
Und auch wenn ich oft und gerne an diese Zeit zurückdenke, würde ich es heute anders machen. Denn heute hätte ich durchaus die Wahl, ob ich mich in einen muffigen Seminarraum setze oder die Vorlesung vom heimischen Bildschirm aus verfolge (zahlreiche Unis bieten onlinebasierte Studiengänge an, Präsenz wird auf ein Minimum reduziert).
Natürlich kann ein fleckiger Teppich seinen Charme haben. Er steht im wahrsten Sinne des Wortes für die vielen Spuren, die auf ihm hinterlassen wurden. Und mit ganz viel Fantasie haben abblätternde Wandfarbe und von der Decke hängende Kabel etwas Inspirierendes. Durch die Evolution der Hochschul-Bildungslandschaft könnten solche (von massiven Sparmaßnahmen gezeichneten) Lernumgebungen zunehmend verschwinden – beschleunigt durch zwei konkrete Ereignisse der jüngsten Zeit: die Corona-Pandemie zum einen und die Energiekrise zum anderen. Letztere zwingt auch Hochschulen zum Handeln, doch von der offensichtlichsten Lösung zur Einsparung von Ressourcen wollen viele nichts wissen. Die einhellige Meinung: bloß kein neues „digitales Semester“, dafür lieber eingeschränkt heizen oder ganze Gebäude(teile) stilllegen.
Zugegeben, für viele war und ist ein „Studium in Jogginghose“ keine Option: Angehende Operateur*innen oder Chemiker*innen etwa lernen ihr Handwerk nicht per Drag-and-drop, sondern durch praktische Erfahrungen. Aber viele andere könnten den Campus guten Gewissens meiden. Mehr noch: Sie könnten die Flexibilität eines Remote-Studiums voll auskosten. Zumal eine Gemeinschaftsstudie der Universitäten Tübingen und Kalifornien jüngst gezeigt hat: Je häufiger die Studierenden Onlinekurse belegt hatten, desto schneller und effizienter kamen sie zu ihrem Bachelorabschluss. Natürlich ersetzt Zoom das Zusammen nicht. Auf der anderen Seite: Überladen wir ein Studium vielleicht mit zu vielen romantischen Vorstellungen? Das „New Normal“ ist längst da – höchste Zeit, die damit verbundenen Chancen in die akademische Lehre zu übertragen.
Isabelle Ewald ist Senior Consultant Technology Strategy beim Handels- und Dienstleistungskonzern Otto Group. Überdies ist sie Co-Host des zweiwöchentlich erscheinenden True-Crime-Podcast „Mind the Tech“, der sich um den Tatort Internet dreht.