Herr Brien, die Automobilbranche kämpft mit den Nachwehen des Abgas-Skandals, hadert mit der Einführung von E-Mobilität und sich verändernden Geschäftsmodellen. Wie krank ist der Patient Automobilindustrie in Deutschland aktuell?
VOLKER BRIEN: Ich würde nicht von einer akuten Krankheit sprechen. Denn die Automobilindustrie verändert sich, seitdem es sie gibt. Aktuell befinden wir uns in einer tiefgreifenden Transformation. Große Märkte wie China, Europa und USA wachsen nicht mehr so stark wie gewohnt, es herrscht für alle ein weltweiter Absatzdruck. Was zudem neu ist: Früher haben wir entweder über gesellschaftliche oder über technische Veränderungen diskutiert – heute kommt alles auf einmal. Das führt mitunter zu einer großen Verunsicherung, auf allen Seiten. Auch Medien spielen heute eine ganz andere Rolle als noch vor zwanzig Jahren. Das meine ich gar nicht negativ, aber es wird heutzutage schlicht vielmehr und direkter kommuniziert. Wir müssen uns diesem Diskurs stellen und nehmen unsere gesellschaftliche Verantwortung sehr ernst.
Sie sind mittlerweile seit über zwei Jahrzehnten Jahren im Automobilmarketing aktiv und haben vor Ihrer Zeit bei Volvo unter anderem für Nissan und Opel gearbeitet. Haben Sie eine derart anspruchsvolle Lage schon einmal erlebt?
Auch vor vielen Jahren haben technische Neuerungen zu erdrutschartigen Kaufveränderungen geführt, allerdings durch relativ leicht nachvollziehbare Mechaniken wie bei der Einführung des Airbags. Die aktuelle Transformation der Autobranche ist tatsächlich viel einschneidender – durch die auf vielen Ebenen stattfindenden Veränderungen, die das Fahrzeug selbst betreffen, und die gleichzeitigen Veränderungen beim Käuferverhalten. Die Parallelität dieser Ereignisse und die Geschwindigkeit, mit der das Ganze aktuell stattfindet sind schon außergewöhnlich. Die Gemengelage ist gleichzeitig aber extrem spannend und durch die Agilität der Marke Volvo haben wir die Chance, hier sehr viel Positives zu schaffen.
Was wird dabei die größte Herausforderung fürs Marketing sein?
Die größte Herausforderung besteht darin, jeden Kunden auf seine ganz persönliche Reise mitzunehmen. Über die individuelle Kundenbetreuung wurde zwar schon immer viel geredet, aber jetzt wird es ernst. Denn der Kunde hat heute durch seine Online- und Service-Erfahrungen in anderen Handelsbereichen sehr viel höhere Anforderungen und Ansprüche an die Automobilindustrie. Kundenloyalität wird sich darüber in der Zukunft extrem stark definieren, das ist eine Riesenherausforderung.
Trotz der schwierigen Marktsituation ist Volvo in Deutschland weiter auf Wachstumskurs. Die Zahl der Neuzulassungen steigt seit sechs Jahren kontinuierlich und lag 2019 erstmals bei über 50.000. Warum hat Volvo in Deutschland dennoch seine Geschäftsleitung komplett neu aufgestellt?
Das ist für mich kein Widerspruch, sondern eine logische Konsequenz aus unseren jüngsten Erfolgen. Die Umstrukturierung beinhaltet zum einen Erkenntnisse aus den vergangenen Jahren und ist zum anderen sehr stark nach vorne gerichtet. Daraus ergeben sich Veränderungen, insbesondere im Vertrieb und im Customer Service (Details siehe im Infokasten unten, Anm. d. Red.). Wir gehen in beiden Bereichen neue Wege, wie zum Beispiel mit der Einführung unseres Abo-Modells „Care by Volvo“ im Herbst 2018 oder wie auch die steigende Bedeutung des Gebrauchtwagengeschäfts in der Zukunft zeigt.
„Die Marke Volvo war schlichtweg nicht vertraut genug, die Menschen wussten wenig über die Produkte und noch viel weniger über unsere Technologie.“
Volker Brien, Mitglied der Geschäftsführung, Volvo Car Germany
In Ihrer Marketing-Organisation bleibt ansonsten alles unverändert?
Im Marketing haben wir uns die Strukturfrage bereits vor fünf Jahren gestellt, als wir auch unsere Marke und unsere Media-Strategie neu ausgerichtet haben. Wir hatten damals zwar eine starke Awareness und auch eine gute Markenbekanntheit. Aber für viele Menschen war es offenbar sehr schwierig, Volvo konkrete Markenwerte und -Attribute zuzuordnen. Die Marke Volvo war schlichtweg nicht vertraut genug, die Menschen wussten wenig über die Produkte und noch viel weniger über unsere Technologie. Deshalb haben wir unsere Kommunikationsstrategie neu aufgesetzt und in den vergangenen Jahren auch entsprechende Erfolge eingefahren.
Können Sie das mit Zahlen belegen?
Konkrete Zahlen möchte ich hier nicht nennen. Nur so viel: Wir konnten den Wert Sicherheit ganz klar stärken und haben laut diverser Marktforschungsdaten auch beim Design deutlich zugelegt, was nach wie vor ein wichtiger Kaufgrund ist. Noch wichtiger ist für mich aber, dass wir bei den Kunden als innovative und technologisch fortschrittliche Marke wahrgenommen werden. Als Nächstes haben wir im Marketing den Schritt in die Elektromobilität vor uns.
Wie werden Sie dabei vorgehen?
Wir werden Elektromobilität zum einen auf der Produktseite weiter in den Fokus rücken. Bis 2025 wollen wir beispielsweise 50 Prozent unseres Volumens weltweit mit elektrischen Antrieben verkaufen und im gleichen Zeitfenster eine klimaneutrale Produktion umsetzen. Dahin gehend werden wir auch unsere Kommunikation ausrichten. Wir wollen unsere Kunden in ihrem Lebensumfeld erreichen. Dafür setzen wir insbesondere auf Erlebnismarketing und schichten zudem Budget in digitale Medien um.
Geben Sie uns bitte ein Beispiel dafür.
Wir haben mit unserem Roadshow-Konzept „Volvo Forum“ eine mobile Markenwelt geschaffen, die ausgezeichnet funktioniert. Es ist uns darüber in den vergangenen Jahren gelungen, 5,8 Millionen Netto-Kontakte zu erreichen. Wir generieren über das „Volvo Forum“ jährlich zudem 20.000 Leads, mit denen wir anschließend über digitale Kanäle in den Dialog gehen können. Auf dieses Zusammenspiel werden wir uns auch in den kommenden Jahren fokussieren.
Vita: Volker Brien
Volker Brien ist seit März 2014 Mitglied der Geschäftsleitung von Volvo Car Germany und verantwortet den Bereich Marketing Communications. Der 59-Jährige ist seit über 20 Jahren im Automobil-Marketing tätig. Zunächst auf Agenturseite bei Wundermann Cato Johnson, wo er die Kunden Ford und Jaguar betreute. 1999 wechselte er zu Nissan und war dort ab 2004 als Vice President Marketing & Strategy tätig. 2007 ging er zu Opel, wo er nach verschiedenen Positionen in Marketing und PR zuletzt als Director Marketing Operations für E-Mobility & Alternative Mobility zuständig war.
Im Oktober 2019 haben Sie unter dem Motto „Schneller sicher“ eine crossmediale Kampagne gestartet, um Volvo als Vorreiter im Kampf für mehr Sicherheit auf den Straßen zu positionieren: Von 2020 an wird kein neuer Volvo mehr schneller als 180 Kilometer pro Stunde fahren können. Wie ist die Kampagne in den ersten beiden Monaten angekommen?
Die Reaktionen auf die Absicherung unserer Modelle waren sehr unterschiedlich, so wie auch generell in Deutschland die Meinungen rund um das Thema Tempolimit auseinander gehen. Gefühlt ist die eine Hälfte dafür – und die andere dagegen. Dabei fällt ein ganz klarer positiver Ausschlag bei Menschen aus, die bereits Volvo-Kunden sind. Wohingegen sich Kunden der Wettbewerber eher kritisch zu unseren Absichten äußern. Wir sehen diesen Vorstoß nicht als Reglementierung oder Fingerzeig, sondern wir wollen in einer gewissen Tonalität eine Diskussion anregen und damit auch den Zeitgeist abbilden. Schließlich steht die Marke Volvo für Sicherheit.
Wie werden Sie die Kampagne 2020 weiterführen?
Wir haben das Thema 2019 mit einer ersten Print-Kampagne gestartet, nun werden weitere Maßnahmen folgen. Wir haben einen Plan entwickelt, der uns bis weit ins Jahr 2020 begleiten wird. Darin enthalten sind diverse Formate, unter anderem in den sozialen Medien. Aber Details kann ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt leider noch nicht preisgeben.
Der Großteil Ihrer Wettbewerber setzt auf klassisches Sportsponsoring und neuerdings wie beispielsweise Audi, BMW und Mercedes-Benz auch auf E-Sports und Gaming. Warum nutzen Sie den Sport nicht mehr als Werbeplattform?
Das ist am Ende eine Frage der Effizienz. Sie müssen im Sportsponsoring schon ein bestimmtes Budget in die Hand nehmen, um eine Durchdringung zu erreichen. Da reden wir von Größenordnungen, bei denen ein relativ kleiner Autohersteller wie Volvo nur schwer mithalten kann. .Wir wollen uns vielmehr auf unseren eigenen Auftritt konzentrieren und dabei unsere Möglichkeiten nutzen, uns sehr spitz an unsere Zielegruppen zu richten.
In Ihren eigenen Auftritt investieren Sie auch auf Händlerseite. Das ausgegebene Ziel ist es, dass bis Ende 2020 etwa 85 Prozent ihrer Autohäuser in Deutschland der sogenannten „Volvo Retail Experience“ entsprechen. Was steckt dahinter?
Die „Volvo Retail Experience“ umfasst einen in sich geschlossenen Auftritt, der unsere Marke von Autohaus zu Autohaus einheitlich erscheinen lassen soll. Dazu gehören inhaltlich auch Dinge, die uns in die Zukunft führen, wie zum Beispiel Digital Signage: Wir wollen flächendeckend Displays und Medien in den Showrooms installieren, mithilfe derer unsere Verkäufer die Kunden bei der Fahrzeugkonfiguration interaktiv beraten können. Da wird sich in den kommenden Monaten noch sehr viel mehr tun.
Ich will ja nicht negieren, dass es in der Gesellschaft neuartige Eigentumsmodelle gibt und sich entsprechend auch die Kundenbedürfnisse und -erwartungen geändert haben. Streamingdienste wie Netflix und Spotify haben hier gewissermaßen den Weg bereitet.
Volker Brien, Mitglied der Geschäftsführung, Volvo Car Germany
Apropos Kunden: Einige Marktteilnehmer gehen davon aus, dass jüngere Generationen weniger besitzorientiert seien. Wie sehen Sie das als Hersteller?
Bei einer Pauschalaussage, dass junge Leute keine Autos mehr kaufen wollen, gehe ich nicht mit. Die Gründe liegen schon etwas tiefer. Fakt ist: Die „sogenannten jungen Leute“ beenden ihr Studium in einem jüngeren Alter als früher, kommen eher in den Job, haben aber vor allem in den Städten auch höhere Kosten zu tragen. Dadurch ergeben sich auch andere Prioritäten, als eine hohe fünfstellige Summe in ein Auto zu investieren. Und diesen Umstand machen sich wiederum natürlich einige Anbieter zunutze, die Alternativen zum klassischen Kauf oder Leasing etablieren wollen.
Mit „Care by Volvo“ haben Sie wie eingangs in Deutschland ebenfalls ein eigenes Abo-Modell auf den Weg gebracht.
Ich will ja nicht negieren, dass es in der Gesellschaft neuartige Eigentumsmodelle gibt und sich entsprechend auch die Kundenbedürfnisse und -erwartungen geändert haben. Streamingdienste wie Netflix und Spotify haben hier gewissermaßen den Weg bereitet. Das gibt es auch im Automarkt – und unsere Antwort darauf ist das Auto-Abo „Care by Volvo“. Es richtet sich kurzum an Menschen, die, unabhängig vom Alter, eine flexible Haltedauer bevorzugen und auf Kostenseite von der Kfz-Steuer bis zur Versicherung alles außer das Tanken bequem von Volvo abwickeln lassen wollen.
Die personellen Veränderungen von Volvo Car Germany im Überblick:
- Frank Denzin (55) schied als Direktor Customer Service beim deutschen Importeur der schwedischen Automobil-Premiummarke aus und übernahm die Leitung der Uptime Organisation Central Europe. Der firmeneigene Dienstleister agiert global für diverse Volvo-Bereiche, unter anderem für das Abo-Modell „Care by Volvo“ und die Performance-Marke Polestar. Ebenso gehört der Bereich Customer Experience zu Denzins Aufgaben.
- Ralph Kranz (47), der bisher den klassischen Vertrieb leitete, entwickelt fortan den neuen Geschäftsbereich Customer Retention and Used Cars, der den Customer Service und das Gebrauchtwagengeschäft unter einem Dach zusammenführt.
- Thomas Bauch (56), Geschäftsführer von Volvo Car Germany, übernimmt in Personalunion den neuen Bereich Sales and Future Business Models, der aus dem Vertrieb hervorgeht.
- Neue Mitglieder im erweiterten deutschen Führungsteam werden Torben Meyer (41) als Head of Customer Service und Axel Zurhausen (50) als Head of Fleet and Retail Sales. Meyer berichtet an Ralph Kranz, Zurhausen an Thomas Bauch.