Voltaren Schmerzgel von der Rezeptpflicht zum Over-the-counter-Produkt

Der Selbstmedikationsmarkt wächst, immer mehr wird der Patient zum Entscheider über die Behandlung seiner Befindlichkeitsstörungen und Erkrankungen. Präparate werden aus der Rezeptpflicht entlassen und in die Selbstmedikation geswitcht – die Vermarktung ist nicht mehr primär auf den Arzt, sondern auf die Patienten ausgerichtet. Doch welche Produkte eignen sich für einen Switch, welche Strategien werden entwickelt und welche Faktoren gilt es bei der Umsetzung zu beachten?

Am Beispiel von Voltaren Schmerzgel, 1999 von Novartis Consumer Health als Selbstmedikationspräparat auf den Markt gebracht, soll ein Switch unter besonderer Berücksichtigung der notwendigen Kommunikationsmaßnahmen einmal untersucht werden.
Welche Präparate eignen sich für einen Switch, welche Faktoren entscheiden über Erfolg oder Mißerfolg eines Switches? Neben der Einschätzung der Marktsituation insgesamt, also der Entwicklung in der Vergangenheit, der Prognose für die Zukunft, der Konkurrenzsituation oder dem Preisgefüge gibt es verschiedene Kriterien, die sich direkt auf das einzelne Präparat beziehen wie

  • leichte Diagnostizierbarkeit,
  • Häufigkeit der Indikation,
  • spürbare Wirksamkeit,
  • schneller Wirkeintritt,
  • Sicherheit,
  • wenig bzw. nur leichte Kontraindikationen,
  • leichte Anwendung,
  • einfache Dosierung,
  • Name (leicht merkbar/ Bezug zur Indikation),
  • Vorgeschichte/ Bekanntheit bei Arzt und Apotheker und
  • Markenbekanntheit beim Konsumenten.

Der Markt für topische, also äußerlich anzuwendende Antirheumatika war 1998 stagnierend bis rückläufig und schrumpfte 1999 dann sogar um sechs Prozent. Die Werbeinvestitionen der wichtigsten Over-the-counter (OTC)-Marken Mobilat und Ibutop blieben dabei kontinuierlich hoch. Mobilat hatte im Juni 1999, kurz vor der Einführung von Voltaren Schmerzgel, einen Marktanteil von 10,2 Prozent, Ibutop einen Anteil von 4,6 Prozent. Der Rest teilte sich auf kleinere OTC-Präparate (und die verschreibungspflichtige Variante Voltaren Emulgel mit 18,7 %) auf. – Auf den ersten Blick also kein Markt, der Chancen auf Wachstum erwarten ließ.

Marktforschung als Voraussetzung
Große Bedeutung kommt im Vorfeld eines möglichen Switches der Marktforschung zu. Die Erhebung aussagekräftiger Daten zur Zielgruppe ist unerlässlich, wobei unter Zielgruppe nicht nur die Konsumenten verstanden werden dürfen, sondern gleichermaßen die Apotheker ins Visier genommen werden müssen. Ihnen kommt eine entscheidende Rolle zu, denn letztlich geht es auch im OTC-Segment um einen Markt, der massiv von der Empfehlung durch den Apotheker abhängt.

Im Falle von Voltaren wurden Informationen zur Haltung und zum Verständnis der Konsumenten zunächst durch eine groß angelegte Verbraucher-Studie erhoben. Außerdem wurden Kommunikationsansätze der wichtigsten Konkurrenten analysiert. Entscheidend war hier nicht nur, die relevanten Produktbotschaften herauszufiltern, sondern die Art und Weise der Ansprache, die „Tonality“ der Botschaften und den kreativen Ansatz zu analysieren.

Abschließend wurden die auf Basis der erhaltenen Daten erstellten Copies getestet. Verbraucher-Verständnis und –Erwartungen gingen gleichermaßen ein wie Produktversprechen und Gründe für einen möglichen Kauf. Qualitative Daten wurden im Rahmen von Focus-Gruppen-Befragungen erhoben, um die Kernthemen herauszufiltern und die Kommunikationsbotschaften en detail abzuklopfen. Konzept- und Copy-Test sollten nicht nur zeigen, welches Konzept am besten akzeptiert wurde, sondern auch, welches am ehesten in der Lage war, direkte Kaufanreize auszulösen.
Dass eine Creme oder ein Gel Schmerzen wirklich reduzieren kann, daran glaubten die Befragten nicht ohne weiteres. – Die Wirksamkeit eines neuen topischen Präparates wie Voltaren Schmerzgel musste in der Kommunikation folglich be-sonders glaubwürdig dargestellt werden.

Positionierung für Voltaren Schmerzgel
Die Analyse der Konkurrenz-Präparate ergab Positionierungen, die sich zwischen milden, natürlich wirkenden Produkten und solchen, die kraftvolle Wirkung versprechen, bewegen. „Mobilat macht sie schneller wieder beweglich“ – ein Beispiel für eine stark auf Wirksamkeit ausgerichtete Positionierung. Ein weiteres Raster zwischen stark emotionalen und stark funktionalen, „high-tech“ Produkten kristallisierte sich heraus. Aus zwei Gründen entschied man sich für die Positionierung von Voltaren Schmerzgel als hochwirksames State-of-the-art-Präparat – fokussierte also auf die Punkte Wirksamkeit und High-Tech: Zum einen erfüllt Voltaren Schmerzgel die Ansprüche in Sachen Wirksamkeit, zum anderen ist es durch seine spezielle Darreichungsform oder Galenik (Wasser-Öl-Emulsion) ein innovatives Präparat.

Trotz allem wäre Voltaren Schmerzgel damit ein weiteres unter diversen topischen Schmerzmitteln gewesen; die bisherige theoretische Positionierung implizierte kein relevantes Differenzie-rungs-merkmal, denn auch Ibutop reklamiert beispielsweise für sich, „schmerzlindernd“ und „entzündungshemmend“ zu wirken.
Durch die Konsumenten-Befragungen hatte sich jedoch ein weiterer Wunsch der Anwender herauskristallisiert: Ein Schmerzmittel, das gleichzeitig heilend wirkt. Voltaren Schmerzgel erfüllt dieses Kriterium, der Claim „Stoppt den Schmerz, beschleunigt die Heilung“ ist die konsequente Umsetzung und machte die Positionierung verbal klar, ergänzt durch einen Auftritt, der dem innovativen Charakter Rechnung trägt.

Zielgruppen der Kommunikation
Im Rahmen der neuen Kommunikationsstrategie wurden auch die Zielgruppen neu definiert. Susanne Kohout, Geschäftsführerin von Novartis Consumer Health Deutschland, dazu: „Der Endverbraucher stand im Fokus, aber wir hielten es für sehr wichtig, flankierend den Apotheker und die PTAs in die Kommunikation einzubeziehen.“
Geht es um die Kommunikation eines Switch-Präparates, sollte klar sein, dass es um alte und neue Zielgruppen geht, die angesprochen werden müssen. Im Falle von Voltaren Schmerzgel war die alte Ziel-gruppe „Ärzte“ weiterhin von Bedeutung, da es parallel rezeptpflichtige Voltaren-Präparate geben sollte. Die Zielgruppe „Apotheker“ ist differenzierter zu betrachten: Ihnen musste nicht nur der Switch als solcher kommuniziert werden, hier ging es auch darum, die gesamte Marketingstrategie zu erklären. Last but not least erweitert sich das Spektrum um die neue Kernzielgruppe “Verbraucher”.

Apotheker
Ansichten, Erwartungen und Meinungen des Apothekers zum jeweili-gen Indikationsgebiet gilt es im Vorfeld eines Switches zu durch-leuchten. Mittels Befragungen muss es auch bei dieser Gruppe zunächst um den Markt als solchen gehen, um die Konkurrenz und die Einschätzung der Kunden. In einem zweiten Schritt ist es unerläßlich, die Erwartungen des Apothekers an die Information, die er benötigt und erwartet, zu ermitteln. Erst dann können Kommunikations-Maß-nahmen exakt auf diese Zielgruppe abgestimmt werden.
Sinnvoll ist immer ein Kommunikations-Mix, vor dessen Auswahl folgende Fragen zu beantworten sind:

  • inwiefern wird die Zielgruppe abgedeckt,
  • wird Aufmerksamkeit erzielt,
  • wird die Empfehlungsbereitschaft gefördert,
  • wie sehen die Kosten pro Kontakt aus,
  • und wie lange nimmt die Vorbereitungszeit in Anspruch?

Folgende Maßnahmen und Instrumente kommen vorrangig in Frage:

  • Schulungsunterlagen für Apothekenpersonal (Print, CD-Rom u.a.)
  • Mailings
  • Muster, Produktmonographie
  • Broschüren
  • Beratungsleitfäden für PTAs
  • PR-Artikel in pharmazeutischen Fachzeitschriften
  • Anzeigen in pharmazeutischen Fachzeitschriften
  • Promotion-Material (z.B. Schaufenster-Dekorationen, Sonderdisplays für HV-Tisch, Give aways)
  • Wissensspiel für Apothekenpersonal mit Gewinnmöglichkeit
  • Fortbildungsveranstaltungen
  • Vorträge auf Fortbildungskongressen

Im Falle von Voltaren Schmerzgel macht Susanne Kohout das Timing als wichtigen Erfolgsfaktor aus: „Die frühzeitige Information vor dem eigentlichen Switch durch Fachan-zeigen, Mailings, einen speziellen Internet-Auftritt und PR-Aktivitäten war uns besonders wichtig.“ Apotheker und PTA´s sollten rechtzeitig vor den Verbrau-chern über das „neue“ Präparat informiert sein. Zum einen sollte da-durch ihre Empfehlerfunktion gestärkt werden, zum anderen war es wichtig, die Abgrenzung zum weiterhin verschreibungspflichtigen Voltaren darzustellen.

Zum eigentlichen Switch gab es dann umfangreiche POS-Materialien, Muster und weiterhin Fachanzeigen und PR. Maßgeblich für die erfolgreiche Einführung war außerdem der schnelle Aufbau der Distribution sowie eine starke Präsenz in der Sichtwahl, also im di-rekten Blick des Kunden. Im Fokus standen weniger Einzel-Maß-nahmen als vielmehr ein breites Paket an Kommunikations-Instru-menten.

Endverbraucher
Die Bedingungen für OTC-Kommunikation ähneln denen, die zum Beispiel von Konsumgütern bekannt sind. Doch bei einem OTC-Switch geht es darum, eine Marke, selbst wenn sie bekannt ist, neu zu etablieren und zu positionieren. Schließlich muss der Verbraucher nicht nur lernen, dass er plötzlich selber für ein Produkt aufkommen muss; vorher muss er erst einmal die Indikation mit Selbstmedikation in Verbindung bringen und dann auch auf das spezielle Produkt stoßen. Diese Neu-Positionierung kann nur mit der entsprechenden Kraft, dem Know-how und dem finanziellen Commitment geschehen, das einer klassischen Marken-Kampagne gleichkommt.

Bei der Endverbraucher-Kommunikation setzte Novartis Consumer Health voll auf TV-Werbung: „Durch den neuen Status als Selbstmedikations-Präparat hatten wir die Chance, TV-Werbung zu machen: Allein dafür haben wir ein Budget in Höhe von mehreren Millionen Euro investiert. Wir waren damit durchaus wettbewerbsfähig. Neben der Bekanntheit von Voltaren, die vor dem Switch ungestützt bereits bei 29 Prozent lag, war die Bereitschaft, massiv in TV-Werbung zu investieren, eine entscheidende Voraussetzung für unseren Erfolg.“

Auch die Indikationsbreite – Rücken-, Muskel- und Gelenkschmerzen – war für Novartis Consumer Health ausschlaggebend für die Durchführung des Switches. Auch wenn der Fokus zunächst auf Rückenschmerzen lag, so bot der Markt in diesem Teilsegment wie insgesamt hinsichtlich der Prävalenz gute Chancen.
Nach der Einführungsphase wurde das Anwendungsspektrum um die Indikation „Sportverletzungen“ erweitert. Mittels einer Print-Kampagne wurde die Indikation kommuniziert. In einer weiteren Print-Kampagne wurde im November 2000 eine Promotion-Packung mit einem speziellen Eincremeband in den Mittelpunkt gestellt. – Durch kreative Werbemaßnahmen erhielt die Marke so immer wieder neue Impulse.

Marktentwicklung
Im Juli 1999 wurde Voltaren Schmerzgel eingeführt, im März 2000 war es Marktführer der topischen OTC-Antirheumatika. Ende 2000 hatte das Switch-Präparat einen Marktanteil von etwa 20 Prozent. „Seitdem haben wir diese Stellung kontinuierlich ausbauen können“ so Susanne Kohout.
Mobilat hatte Ende 2000 nach massiven Umsatzeinbrüchen einen Anteil von 9 Prozent, Ibutop einen Anteil von circa 5 Prozent. Beide Präparate konnten demnach nicht von dem Impuls profitieren, den die Einführung von Voltaren Schmerzgel dem Markt gegeben hatte – 0,1 Prozent Wachstum Ende 2000 gegenüber einem sechsprozentigen Rück-gang im Vorjahr. Gleichzeitig fand ein Konzentrationsprozess statt, der auf Kosten „kleinerer“ Präparate mit weniger als 2 Prozent Marktanteil ging.

Die Mischung macht´s
Zusammengefasst war es im Falle Voltaren Schmerzgel immer die Kombination verschiedener Maßnahmen, die zum Erfolg führte. Hervorzuheben ist jedoch die Markenbekanntheit, die sowohl beim Apo-theker als auch beim Verbraucher (durch Verordnungen) auf ver-gleichsweise hohem Niveau vorhanden war. Der intensive, frühzei-tige Dialog mit dem Apotheker via Außendienst, mit Hilfe einer An-zeigenkampagne und durch Pressearbeit sorgten dafür, dass Voltaren Schmerzgel schnell und bevorzugt von den Apothekern empfoh-len wurde. Herausragende Maßnahme in der Endverbraucher-An-sprache war das hohe Investment in Werbespots, flankiert von krea-tiven Werbemaßnahmen. Last but not least hält Susanne Kohout den Claim für wichtig: „Wir haben dem Verbraucher den Benefit von Vol-taren Schmerzgel klar kommuniziert durch den Slogan „Stoppt den Schmerz, beschleunigt die Heilung“.


Autor: Anke Zarnow
eingestellt am 12. November 2002