Im Performance-Marketing ist es recht einfach zu bewerten, ob eine Kampagne erfolgreich war oder nicht: Man stellt einfach die erzeugten Verkäufe dem ausgegebenen Budget gegenüber. Wesentlich schwieriger ist es, die Bedeutung jedes einzelnen Kanals und Werbemittels herauszuarbeiten, die der Nutzer im Verlauf seiner Kundenreise sieht.
Während in der Frühphase des Performance-Marketing häufig der letzte Kontakt vor dem Kauf den größten Kuchen oder sogar das gesamte Budget zugeordnet bekam, hat man inzwischen gelernt, dass auch frühere Kontakte zu diesem Kauf beitragen. Ein gängiges Standardmodell ist die so genannte Badewanne: Hier werden die beiden Kanäle besonders hoch bewertet die am Anfang und am Ende der Kundenreise stehen; die dazwischen etwas geringer.
Eine solche Bewertung nennt man Attributionsmodell. Otto hat letztes Jahr ein dynamisches Attributionsmodell vorgestellt, das sich permanent ändert und auf Veränderungen im durch Werbung ausgelösten Nutzerverhalten reagiert. Onlinemarketingleiterin Kerstin Pape zieht nach einem Jahr eine erste positive Bilanz.
Frau Pape, können Sie nach einem Jahr Arbeit mit dem dynamischen Attributionsmodell bereits Effekte sehen?
KERSTIN PAPE: Ja. Mit der Einführung des Attributionsmodells hat beispielsweise Affiliate-Marketing bei uns durch die veränderte Nachfragezuordnung am stärksten verloren. Allerdings gibt es auch viele positive Effekte auf Kanäle, die in der Customer Journey eher am Anfang stehen wie beispielsweise Display oder Suchmaschinenwerbung.
Wenn die Zuordnung des Budgets dynamisch erfolgt, kann das dann das Budget auch sprengen?
PAPE: Die Kanalbudgets sind bei Otto dynamisch, finden allerdings in einem Planungsrahmen statt. Wir steuern die Budgets abhängig von der tatsächlichen Performance des jeweiligen Kanals und haben Zielwerte für Kanäle und einzelne Publisher festgelegt. Die Steuerung erfolgt nach Deckungsbeitrag. Ziel im Performancemarketing ist ja, dass der Umsatz und vor allem der Deckungsbeitrag mit dem Budget wachsen. Außerdem beziehen wir die Neukunden in Menge und Wert mit in der Steuerung als Zielgröße ein.
Wenn bei automatischen Anpassungen ein Ausreißer geschieht, schlägt dann ein Alarmsystem an?
PAPE: Wir überwachen die Entwicklungen auf Kanalebene täglich. Damit haben wir in den vergangenen drei Jahren gute Erfahrungen gemacht. Außerdem sind die einzelnen Klickpreise mit einer definierten Obergrenze gedeckelt.
Wer überwacht was?
PAPE: Die Kanalverantwortlichen sowie das Anayltics-Team monitoren ihre Zahlen auf Tagesbasis. Team-übergreifend findet der Austausch dazu wöchentlich statt. Bei uns im Onlinemarketing hat jeder Zugriff auf alle relevanten Zahlen.
Was passiert, wenn ein Kanalmanager feststellt, dass die Dynamik des statistischen Modells einen Kanal schwächer bewertet, der vielleicht insgesamt schlechter funktioniert, wo es aber einzelne Publisher gibt, die sich durchaus rechnen?
PAPE: Das Modell bewertet auf granularster Steuerungsebene. Insofern kann es innerhalb eines Kanals durchaus sein, dass einzelne Publisher sich nicht rechnen. Die Performance der Kanäle bewertet das Modell nicht – das ist die Summe der Publisher. Wir könnten zum Beispiel im Affiliate-Bereich auch Partnerschaften beenden, aber das geschieht relativ selten. Unser Konditionenmodell sieht die Auszahlung der Provision im Affiliate-Bereich erst nach Ablauf des Retourenzeitraums vor.
Dann sind Steuerung und Vergütung also voneinander getrennt?
PAPE: Ja. Die Steuerung erfolgt auf Tagesbasis, die Vergütung findet circa vier Wochen später statt. So können wir das Risiko auf unserer Seite reduzieren. Grundsätzlich ist es eine sehr spannende Frage, wie sich das Beenden eines Kanals auf die gesamte Customer Journey auswirkt. Das wird einem auch ein Attributionsmodell nie vollumfänglich prognostizieren können. Unsere Kanalverantwortlichen steigen dafür in die qualitative Analyse ein.
Was passiert, wenn eine ganz neue Plattform ins Spiel kommt, die bislang nicht Teil des Modells war?
PAPE: Bis eine ausreichende Datenbasis für die Modellierung individueller Attributionsgewichte einer neuen Plattform vorhanden ist, nutzen wir die Informationen eines vergleichbaren Publishers oder Segments. Sollte sich durch die neue Plattform die Datenkonstellation stark ändern, sehen wir das im permanenten Monitoring der Modellgüte. Das Modell würde dann auf aktuelleren Daten neu modelliert werden. Im Performancemarketing sehen wir sehr schnell, was funktioniert oder was nicht. Wir testen beispielsweise permanent unterschiedliche Preissuchmaschinen.
Wie bekommt man eine Plattform wie Pinterest in eine Customer Journey, bei der es anfangs noch keine Werbemöglichkeiten gab?
PAPE: Hier gilt das Gleiche. Wir ziehen Werte vergleichbarer Plattformen heran und modellieren dann auf tatsächlicher Basis neu. Alles, was wir machen vertaggen wir mit Tracking-Links, so dass wir im übergeordneten Kampagnentracking sehen können, wenn zum Beispiel ein Blogbeitrag oder ein Facebook-Post besonders gute Verkaufsleistung bringen. Außerdem ist das ganze Thema View-Tracking spannend. Wir werden uns im zweiten Halbjahr intensiver damit beschäftigen, denn die View-Wirkung auf einen Verkauf kann ein rein klickbasiertes Modell nicht abbilden.
Wie ist das Thema Branding beim Otto-Marketing verortet?
PAPE: Im Bereich Onlinemarketing steuern wir alle Kanäle nur nach Performance-KPI. Einzige Ausnahme bildet hier das Thema Social Media, bei dem Interaktionsrate und das Involvement eine größere Rolle spielen. Maßnahmen zum Online-Branding werden bei Otto im Bereich der Kampagnenentwicklung betreut. Dort entstehen alle mit der Dach-Kampagne direkt verbundenen Branding-Maßnahmen.
Wird das Thema View-Tracking hier zu hitzigen Diskussionen führen?
PAPE: Zunächst wollen wir View-Tracking unvoreingenommen verstehen. Gemeinsam mit unserem BI-Team schauen wir dann, in welcher Form wir das es ins Attributionsmodell mit aufnehmen können. Schließlich bleibt ja noch die Frage der technischen Machbarkeit auf Seite der Publisher.
Wie holt man das Know-how aus dem optimierten Modell wieder heraus und bildet damit das Unternehmen weiter?
PAPE: Wir haben eigene Standardberichte entwickelt, mit denen wir zum Beispiel auf Klickketten und Ähnliches schauen, um Muster zu erkennen. Bis zum einzelnen Werbemittel können wir das noch nicht herunter brechen. Das wäre auch zu komplex. Das findet auf Kanal- und Partnerebene statt.
Um die Performance einzelner Werbemittel zu beurteilen, greifen wir auch auf unsere lange Erfahrung zurück. Manche Effekte liegen außerdem nicht in unserem direkten Einflussbereich. Da gibt es weitere große Hebel, die auf das Performancemarketing einwirken, beispielsweise das Wetter, große Kampagnen oder Kataloganstöße.
Können Sie solche Ereignisse dem Modell füttern?
PAPE: Nein, das können wir noch nicht. Traffic- und Conversionprognosen sind mittelfristige Ziele auf unserer Roadmap. Da müssen wir aber auf jeden Fall hin.
Das Gespräch führte Frank Puscher.