Herr Gründgens, viele Marketingverantwortliche begleitet durch die zunehmende Digitalisierung die Angst vor dem Ungewissen. Spüren Sie diese manchmal auch?
GREGOR GRÜNDGENS: Nein. Denn es passiert in der Regel nicht viel, wenn man sich irrt – schon gar nichts Fatales! Es ist wichtig, dass die Kultur vieler Unternehmen sich dahingehend ändert, dass ihre Mitarbeiter etwas ausprobieren dürfen, ja müssen. Und sie eben keine Art von Stigmatisierung erfahren, wenn mal etwas schiefgeht. Allen Kollegen, die das lesen, kann ich nur eins raten: Lasst Euch von den ganzen Buzzwords nicht ins Bockshorn jagen. Und wenn Ihr eine Frage habt, dann fragt – auch das ist nicht peinlich. Viele, von denen man glaubt, sie seien schlauer, wissen es oft auch nicht besser. Alle die vorgeben, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, die lügen! Wir lernen alle gemeinsam.
Haben Sie den Anspruch, immer alles zu verstehen?
Ehrlich gesagt bin ich da auf einer Reise. Früher hatte ich nicht nur den Anspruch, alles selbst zu verstehen, sondern auch den, alles besser zu wissen. Das hat sich, glaube ich, schon ziemlich verändert und verbessert. Ich musste feststellen, dass ich in einer komplexen Welt mit vielen Chancen und auch der einen oder anderen Herausforderung, Probleme nicht alleine lösen kann. Kein Entscheider ist der Allmächtige.
Sie waren zunächst rund zehn Jahre bei Coca-Cola und sind nun schon zwölf Jahre für Vodafone tätig. Ist Ihre konstante berufliche Vita ein bewusster Gegenpol zu der sich rasant wandelnden Gesellschaft?
Ich mache das sicherlich nicht, weil ich ein beschauliches Leben führen will. Im Gegenteil: Coca-Cola und Vodafone waren und sind sehr dynamische Marken, von denen viel Gestaltung und Veränderung ausgeht. Denn was große Marken machen, das hat – ob man es nun will oder nicht – eine große Bedeutung für die Menschen. Ich will jetzt nicht übertreiben, aber gesellschaftliche Diskussionen wie beispielsweise die rund um „Fridays For Future“ werfen auch die Frage auf, wie große Marken dazu stehen. Von daher wird mir hier auch nicht langweilig.
Was reizt Sie an Ihrer Arbeit als Marketingchef am meisten?
Mich reizt es, mit großen Marken Veränderung zu bewirken und hier und da eine Anregung zu liefern – und zwar nicht nur zum Konsum, sondern auch dahingehend, über die Welt in einer differenzierten Weise nachzudenken. Es gibt kaum eine dynamischere Branche als die Tech-Branche. Vor allem, weil ihr eine Schlüsselrolle in der Frage zukommt, wie wir den gesellschaftlichen Herausforderungen begegnen können.
Wie macht sich der technische Fortschritt nicht nur bei Ihren Produkten, sondern auch in Ihrer Marketing-Abteilung bemerkbar?
Es gab in den vergangenen Jahren in unserer Marketing-Abteilung regelmäßig massive Veränderungen. Wir haben vor einigen Jahren intensiv Social-Marketing für uns erschlossen, Newsrooms eingerichtet oder das Community Management und die Content Creation ingesourct. Wir haben mittlerweile auch eigene Plattformen mit 70 bis 80 Prozent organischem Traffic und arbeiten als Marke fast wie eine Redaktion.
Was beschäftigt Sie und Ihre Abteilung aktuell?
Wir befinden uns momentan in einer sehr wichtigen Phase, in der wir in unserer Marketing-Abteilung und abteilungsübergreifend noch stärker crossfunktional zusammenarbeiten wollen. Das bedeutet auch wieder eine Welle an Insourcings, bei der wir uns digitale Leute in die Teams holen und durchmischen. Die Fusion von Disziplinen, um den Kundenbedürfnissen besser gerecht zu werden, ist neben den kommerziellen und gesellschaftlichen Fragen das dritte große Leuchtturm-Thema bei uns.
Was bedeutet das operativ?
Wir müssen die Customer Journey über die Paid-Media-Kanäle hinweg interpretieren und eben nicht nur über die Media Touchpoints, die wir in der klassischen Art noch mit Botschaften bespielen. Selbst wenn diese Botschaften kontextuell oder datengetrieben relevanter werden, hilft es – salopp formuliert – alles nichts, wenn der Service-Techniker beim Kunden im Trainingsanzug und ohne Vodafone-Kappe reinkommt. Kurzum: Wir müssen von der Produktentwicklung über die Logistik, den Vertrieb, das Call Center bis zum Service gemeinschaftlich denken und arbeiten. Hier sind noch viel mehr Wert und Hub drin, wenn wir diese Erlebniskette entsprechend crossfunktional bearbeiten.
Wie gehen Sie das an?
Wir hinterfragen permanent, ob unsere Aktivitäten unseren Kunden helfen oder ob das irgendwelche Hirngespinste aus dem Elfenbeinturm sind. Deshalb sitzen wir auch bereichsübergreifend häufig zu den genannten Themen zusammen und prüfen, wo und wie wir finanzielle und personelle Mittel allokieren können, um die Customer Journey – und damit letztlich auch unsere Geschäftszahlen – zu verbessern. Früher war das ganz anders.
Wie dürfen wir uns das vorstellen?
Die einzelnen Abteilungen waren eher darauf bedacht, ihre Partikularziele zu optimieren. Früher haben wir uns beispielsweise darüber gefreut, wenn unsere Marketing-KPIs alle Bombe sind oder wir unsere Kommunikationsziele erreicht haben. Nach dem Motto: Wenn der Vertrieb danach am hinteren Ende nichts verkauft, ist das doch nicht unser Beritt. Oder: Wir machen vorne ein Produkt, das hinten raus vielleicht nicht jedem Kunden gefällt, aber das kann dann ja der Kundenservice ausbügeln.
Wie agil arbeiten Sie in Ihrer Marketing-Abteilung?
Agile ist für mich eines der am meisten überschätzten Schlagwörter im Marketing. Denn manchmal schlägt das Pendel dadurch in die falsche Richtung aus, sodass man bewährte Prozesse über Bord wirft, die eigentlich noch für Produktivität sorgen oder eine Renaissance haben könnten beziehungsweise sollten. Unsere Rolle als Leader ist es auch, nicht alles zu machen, was uns Beratungsunternehmen vorschlagen. Wir müssen Prozesse so gestalten, dass sie für uns passen. Zwar bedienen wir uns beim crossfunktionalen Arbeiten natürlich auch agiler Arbeitsmethoden – von Kanban-Boards über Post-Mortems und Retrospectives bis zu Stand-Ups. In Projekten mit übergeordneten Fragen ist des Rätsels Lösung allerdings vor allem, miteinander zu sprechen.
Sie gelten eher als der Kreative denn als der Techie, doch Marketing wird immer technischer. Was lernen Sie von Ihren Mitarbeitern – und andersherum?
Das Lernen findet definitiv in beide Richtungen statt. Es ist ein großer Vorteil, wenn man junge und frische Leute um sich hat, die anders als ich keine digitalen Immigranten sind. Mit dem Umgang von technischen Tools – und damit meine ich jetzt nicht Plattformen wie Tiktok, sondern eher Software wie Microsoft Projects oder Jira – musste ich mich in der Vergangenheit beispielsweise nicht beschäftigen. Aber diese Lernprozesse freuen mich und machen mich in der Konsequenz auch zu einem besseren Manager. Umgekehrt trainieren bei uns seniorige Manager die weniger erfahrenen Mitarbeiter und bilden in Schulungen agile Coaches oder Scrum Master aus.
Neben den internen Strukturen haben Sie auch Ihre Dienstleister-Struktur verändert. Zusätzlich zur jahrelangen Stammagentur Jung von Matt wird Vodafone seit 2019 auch von deren vergleichsweise jungem Wettbewerber Antoni in der B-toC-Kommunikation unterstützt. Werden Sie perspektivisch weiterhin mit beiden Agenturen weiterarbeiten?
Wir sind mit der kreativen Arbeit genauso wie mit dem kommerziellen Erfolg der ersten Kampagne von Antoni Ende vergangenen Jahres sehr zufrieden. Insofern werden wir die Zusammenarbeit mit Antoni gern fortsetzen, aber gleichzeitig unsere Stammagentur Jung von Matt weiter beauftragen. Wir wollen damit das kreative Potenzial auf breitere Füße stellen. Und wir wollen auch ein bisschen Energie reinbringen – ohne dass wir gleich den großen Pitch ausrufen. Für Außenstehende ist das dann immer gleich ein „yes or no game“. Wenn ich zwingend müsste, würde ich mich aber im Ernstfall für Jung von Matt entscheiden.
Warum?
Das hat vor allem etwas mit Vertrauen und Loyalität zu tun. Wir arbeiten schon seit über zehn Jahren zusammen. Jung von Matt ist nach wie vor die beste Agentur Deutschlands.
Die Agentur Antoni zielt jedoch auf eine ganzheitliche Betreuung ihrer Kunden und nicht auf kleinteilige Kampagnenaufträge ab, wie die Customized-Modelle für Kärcher, Katjes und Mercedes-Benz zeigen. Haben Sie kein Interesse an einer für Ihre Bedürfnisse maßgeschneiderten Agentur?
Doch, das habe ich schon. Aber nur weil wir künftig möglicherweise ein Customized-Modell mit Antoni haben, heißt das ja nicht, dass wir nicht auch weiterhin mit anderen Agenturen zusammenarbeiten können. Wir arbeiten ja im Übrigen auch seit über zehn Jahren parallel zu Jung von Matt erfolgreich mit Scholz & Friends zusammen.
Die Partnerschaft mit Scholz & Friends bezieht sich aber hauptsächlich auf die B-to-B-Kommunikation von Vodafone.
Nicht nur. Scholz & Friends arbeitet für uns hier und da auch in der Markenstrategie oder übernimmt einzelne Endkundenprojekte. Wir wollen uns künftig die folgenden Fragen stellen: Who is the best for the job? Wer ist gerade ausgelastet mit welchen Themen? Und wen wollen wir im positiven Sinne mal gegeneinander antreten lassen, wenn wir ein Problem haben oder keine 0815-Lösung wollen? Auf der Meta-Ebene betrachtet lautet unser Ansatz: Komplexe Probleme löst man nicht alleine, sondern Diversität ist gefragt, sprich: Wir brauchen mehr schlaue Köpfe, die uns dabei helfen, Themen zu durchdenken, unsere Kunden zu verstehen und das bestmöglich in Marketingaktivitäten zu übersetzen.
Vita: Gregor Gründgens
Gregor Gründgens ist seit 2008 bei Vodafone. Als Director Brand Marketing von Vodafone Deutschland ist er für die hiesige Markenkommunikation des britischen Telekommunikationskonzerns verantwortlich. Zuvor war Gründgens, der an der Universität Siegen Wirtschaftswissenschaften studiert hat, von 1998 bis zu seinem Wechsel zu Vodafone in verschiedenen Marketing-Funktionen bei Coca-Cola tätig – zuletzt als Direktor Marketing Communication von Coca-Cola Deutschland.