Es ist DAS Bild des Mobile World Kongress: Facebook-Chef Mark Zuckerberg schlendert entlang der Sitzreihen in einem der Konferenzräume und lächelt milde. Er ist fast die einzige Person, deren Gesicht man erkennen kann, denn die überwältigende Mehrheit der Sitzenden trägt VR-Brillen. „Mark und sein neues Spielzeug“ lautet eine der vielen Schlagzeilen zu diesem Foto und das einzige, was darin stimmt, ist der Name „Mark“. Weder handelt es sich bei Virtual Reality um ein Spielzeug. Tatsächlich hat die Technik vor allem im so wenig verspielten Medizinsektor bereit einen „Proof of concept“ – einen Wirkunsgbeweis – erbracht, den die Unterhaltungsindustrie und Spielebranche noch schuldig ist.
Zum zweiten ist es mitnichten „sein“ neues Spielzeug, das im Foto zu sehen ist. Das Foto wurde nämlich während einer Pressekonferenz von Samsung zur Präsentation des Smartphones Galaxy 7 und der flankierenden Samsung VR Gear geschossen. Und bis Facebook Samsung kauft, könnte noch eine gewisse Zeit vergehen. Allerdings hat Mark Kooperationen angekündigt. Eine gibt es schon länger: Oculus hat an der Gear VR mitentwickelt.
Die Tech-Branche flippt aus
Virtual Reality ist das frühe Buzzword des Jahres 2016 und schon kennen die PR-Abteilungen und deren Ansprechpartner auf Redaktionsseite kein Halten mehr. Da wird Media Saturn die VR-Küchenplanung angedichtet, obwohl es sich um die Begehung von VR-Prototypen handelt. Da wird Audi als eines der ersten Automobilunternehmen gefeiert, das VR in den Handel bringt. Ausgerechnet eine deutsche Traditionsindustrie. Nur war Volvo früher da und Audi bringt das auf der Trendmesse CES mit viel Lob überhäufte System erstmal nicht nach Deutschland.
Und natürlich wird VR gleichgesetzt mit Oculus, der Facebook-Company. Dabei übersieht man geflissentlich, dass Google mit den Cardboards und Samsung mit der VR Gear schon letzten Sommer Lösungen auf dem Markt hatten, die ein näherungsweises VR-Erlebnis ermöglichen. Und wer jetzt über den Begriff „näherungsweise“ die Nase rümpft, hat noch nie unter einer Rift geschwitzt, denn auch deren Nutzungserlebnis ist noch weit von real entfernt. Und überhaupt glänzt Oculus vor allem durch die permanente Verschiebung von Veröffentlichungsterminen. Aktuelle Vorbesteller müssen bis Juli warten.
Der geneigte Marketer freut sich: So geht Buzz, so geht künstliche Verknappung. Das kann man so sehen, muss man aber nicht. Von der größeren Öffentlichkeit weniger, von der VR-Community umso mehr bemerkt, hat sich das schlagkräftige Duo HTC und Valve inzwischen auf den Thron des Klassenprimus gesetzt. Im April schon sei die neue Vive im Handel. Sie ist noch teurer als die Rift und sie besitzt ein hoch-geheimes neues Feature, das dafür sorgte, dass letzten November einmal die komplette Produktion angehalten wurde, weil man ohne die Neuerung nicht auf den Markt wollte. Ohne was? Soviel zum Thema Buzz. Seit der CES in Las Vegas ist klar: Es geht um die Positionierung des VR-Nutzers im Raum. Die Technologie nennt sich „Room Scale“.
Marketing mit Virtual Reality: pures Erlebnis
Die HTC Vive ist auch das Mittel der Wahl, wenn es um bereits lauffähige VR-Installationen geht. Und – um das in aller Deutlichkeit zu sagen – da kündigt sich Großes an. In bestimmten Bereichen wird die emotionale Übertragungskraft der virtuellen Realität eine Wirkung entfalten, die andere Methoden der Kommunikation, Unterhaltung oder Informationsaufnahme blass aussehen lässt. Gleichzeitig aber – und das steht auch schon fest – wird es Segmente geben, in denen die Augmented Reality, also die Vermischung von Wirklichkeit und Digitalbild wie bei Googles Projekt Glass, besser geeignet und vor allem in der Produktion erschwinglicher ist. Es ist ein Leistungskontinuum vom Smartphone über die Microsoft Hololens über das unglaublich hoch gehandelte Magic Leap bis zu Rift und Vive. Es ist kein Entweder-Oder.
Im Marketing ist VR derzeit eine klassische Eyecatcher-Technologie. Sie spielt noch auf dem „A“ und „I“ der AIDA, ist aber gerade schon auf dem Weg zum „D“: Volvo und Smart bieten virtuelle Probefahrten in ihren Fahrzeugen an Audi erlaubt die virtuelle Konfiguration der Autos. Das geschieht bei ausgewählten Fachhändlern, die somit lokal einen Aufmerksamkeitsschub erhalten. Bei Smart konnte man in der angesagten Mall of Berlin eine Cabrio-Probefahrt in einer Sommerkulisse durchführen. Das war auch für das Shopping-Center eine PR-würdige Nachricht.
Vorsicht vor der Hype-Falle
Mehr Buzz erzielte Anfang des Jahres Media Saturn mit der Bekanntgabe der Küchenplanung per VR in Berlin und Ingolstadt. Tatsächlich handelt es sich um die Begehung von fertig designten Küchen, bei denen Schrankblenden und technische Geräte ausgetauscht werden können. Der Entwurf eigener Grundrisse ist bislang nicht vorgesehen und das Mitbringen eigener Daten für das Aufmaß auch nicht. Dabei ist genau das der Grund, warum Projektpartner Kiveda – ein Onlinehändler für Küchen – hier mitmacht. Hat man einmal die Wohnungsgrundrisse der potenziellen Kunden digitalisiert, verfügt man über wertvollste Marketing-Grundlagen und eine echte Markteintrittsbarriere für den Wettbewerb. Dessen ungeachtet hat die VR-Präsentation, in der sich der Nutzer frei bewegen kann, mehr Desire-Potenzial als die CAD-Ansicht auf dem Monitor des Küchenplaners oder etwa der Ausdruck davon.
In die Hype-Falle tappt dagegen Kaufda. Die VR-App, die einen virtuellen Einkaufsbummel ermöglicht, mag zwar die erste Shopping-App sein, sie wirkt aber so blutleer wie seinerzeit Second Life. Und genau das ist der wohl wichtigste Unterscheid zwischen 2004 und heute: Gut gemachtes VR wirkt echt und zieht die User in seinen Bann. Second Life war eine Comicwelt. Ob man sich durch Handelsprospekte dreidimensional navigieren will, mag bezweifelt werden. Spannender, aber bislang auch nur ein Impuls, war da der letztjährige Auftritt von Sapient Nitro während des Cannes-Festivals. Man digitalisierte kurzerhand The Appartement, eine Top Shoppinglocation in NewYork, und ließ die Kunden die Einrichtung kaufen. Das passt besser. Und trotzdem macht die Kaufda-Mutter Bonial alles richtig: Wer nicht mit VR experimentiert, kann auch nicht lernen.
Virtual Reality ist gerade im Begriff, eine Qualität zu erreichen, die in der Lage ist, ganz neue Erlebnisse zu schaffen. Das gilt nicht nur für Marketing Unterhaltung und Gaming, das gilt auch für Medizin und Bildung. In den letzten beiden Bereichen kann das Angebot sogar schneller wachsen, weil man nicht darauf wartet, dass der Endkunde sich eine Brille kauft. Der Anbieter selbst hält die Hardware vor.
Zwar sind die Prognosen über das Marktwachstum für VR-Brillen enorm, Goldman-Sachs sprechen von 110 Milliarden Dollar pro Jahr bis 2025. Doch wird es zum Beispiel in Deutschland eine ganze Zeit dauern, bis sich der Familienvater durchringt, die 800 Euro in die Freizeitgestaltung des Nachwuchses zu investieren. Und selbst wenn in jedem Haushalt eine Rift oder Vive existiert, heißt das noch lange nicht, dass die Familienmanagerin das Ding aus dem Kinderzimmer klaut, um damit virtuell einkaufen zu gehen. Die Distribution von VR-Inhalten via Onlinemarketing wird also, wenn überhaupt, zunächst auf die preiswerteren Gerätegattungen abzielen, also auf CardBoard oder Galaxy Gear VR. Google hat sich hier mit dem Panoramaformat #360Video bereits gut positioniert.
Es gibt noch einen dritten limitierenden Faktor, und das ist die Qualität der Immersion, wenn man so will der Eindringtiefe in virtuelle Welten. Noch ist sie auf Visuelles, Auditives und auf ein begrenztes Spektrum an Bewegungen begrenzt. Ein Mangel an Haptik kann von der Simulation allein nicht wettgemacht werden. Andererseits regt gutes Storytelling die Fantasie so weit an, dass auch eine technisch nur halb-umfassende Lösung viel Leidenschaft beim Nutzer entfachen kann. Bestes Beispiel sind die Minecraft-Simulationen, die Microsoft auf der AR-Brille HoloLens zeigt.
VR bringt die Fokussierung zurück ins Digitale
Aber warum nur von den Begrenzungen reden? VR kann vieles, was die Wirklichkeit nicht kann. Zum Beispiel kann ein prominentes Testimonial virtuell geklont werden und jeden VR-Besucher persönlich begleiten, gerüstet mit allem, was wir heute schon über Personalisierung und Targeting wissen. Und der virtuelle Benutzer eines Nike-Turnschuhs kann etwas schneller laufen als in der Realität. Wenn das kein „Desire“ auslöst.
Tatsächlich kann VR sogar etwas leisten, das den Industriegesellschaften in den letzten Jahren immer mehr verloren ging: Fokussierung. Durch die Scheuklappen der VR-Brille rückt der Bildschirm gänzlich in den Mittelpunkt. Und wer mal in Marriott in London die zur Suite gehörige HTC Vive aufgesetzt und damit eine virtuelle Weltreise unternommen hat, der bekommt ein Gefühl dafür, was VR in den nächsten Jahren zu leisten im Stande ist.