Vielleicht einfach mal die Klappe halten? 

Das Marketing kommt in der öffentlichen Debatte oft nicht gut weg. Vielleicht sollte die Branche eine Nachhaltigkeitskampagne in eigener Sache machen. Und in manchen Punkten schlicht das Falsche lassen und das Richtige tun.
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Wer am lautesten schreit, hat selten recht. (© Unsplash)

Liebe Marketingverantwortliche, liebe Branchenverbände, liebe Werbeagenturen, irgendwie müsstet Ihr bitte mal was fürs eigene Image tun. Wenn man sich so durch die Wirtschaftsteile der Presse fräst, wird dort immer wieder gerne die unterschwellige Botschaft transportiert, Marketing-Profis wären nur aufs Geld versessen, ignorant und hielten Verbraucher*innen für dumm. Das ist nicht gut. 

Am Mittwoch zum Beispiel war in der „Süddeutschen Zeitung“ das sehr interessante Interview „Es ist zu teuer, Müll zu vermeiden“ zu lesen. Darin beklagt die Verpackungsingenieurin Carolina Schweig, dass nachhaltige Verpackungen vom Marketing oft nicht akzeptiert werden. Um einen hochwertigen Eindruck zu vermitteln, würden Produkte oft viel zu aufwändig verpackt. Da werden dann zum Beispiel Zahnpastatuben nochmals in Kartons verpackt. Oder teure Cremes in Tiegel und die in Kartons und die in Folie. Ein Wahnsinn. Die Botschaft von Schweig: Eine gute Verpackung ist so ressourcenschonend wie möglich. Und: Die beste Verpackung ist keine Verpackung. Aber dafür, sagt sie, fehle vielen Marketingmenschen das Bewusstsein. 

Ein falscher Eindruck!? 

Das Bewusstsein fehlt der Branche manchmal vielleicht auch dafür, wann sie einfach mal die Klappe halten sollte. Zum Beispiel in der leidigen Debatte darüber, ob Werbung für ungesunde Lebensmittel an Kinder eine gute Idee ist oder nicht. Cem Özdemirs Vorstoß, genau diese Werbung einzuschränken, lehnten Branchenverbände reflexartig und mit großer Entrüstung ab. Nun ist es so: Wir haben hierzulande rund 15 Prozent übergewichtige Kinder, sechs Prozent davon sind adipös. Übrigens lautet eine Erkenntnis des brandaktuellen Kinder Medien Monitor 2023: Immer mehr 6- bis 13-Jährige nutzen BEWEGTbildinhalte. Das ist geradezu zynisch, oder? 

Das Risiko, dass aus diesen Kindern kranke Erwachsene werden, ist ziemlich hoch. Und wenn die Werbung nur ein kleines bisschen dazu beiträgt, dass wir hier dicke Kinder haben, dann ist das ein kleines bisschen zu viel. Deshalb sollte man es lassen. Das finden offenbar auch 66 Prozent der Menschen, die das Meinungsforschungsinstitut Kantar im Auftrag der Verbraucherorganisation Foodwatch befragt hat, und die eben solche Werbeverbote für ungesunde Kinder-Lebensmittel befürworten. In der öffentlichen Debatte entsteht der Eindruck, Herstellern und ihren Marketingprofis gehe der Profit über die Gesundheit der Menschen. Das ist nicht gut fürs Image und wird sich über kurz oder lang bemerkbar machen, zum Beispiel bei der Nachwuchssuche.  

Herrlichst verpackt findet sich ein leiser Zweifel an der Glaubwürdigkeit mancher Marketingaktion übrigens auch in den Bewerbungsunterlagen für den „Marketing for Future Award 2023“. Der Award positioniert sich als „Deutschlands erster Preis für nachhaltiges Marketing“.​ Wer sich bewirbt, muss unter anderem auf folgende Fragen antworten: „Inwiefern sagt euer Case die Wahrheit?“ und „Wie kann unser Case aus externer Sicht auf seine Substanz überprüft werden?“ Wahrscheinlich wird die Jury viel Spaß bei der Lektüre haben. Die Einreichungsfrist endet am 30. September, zur Bewerbung geht’s es hier

Die Flugscham ist verflogen 

„Verzicht ist keine Lösung“, lautet die Headline eines SZ-Artikels über einen Vortrag des Präsidenten des Ifo-Instituts Clemens Fuest bei den Munich Economic Debates. „Der Konsum wird weiter zunehmen, das Wachstum wird weiter zunehmen und wir müssen uns damit arrangieren“, wird Fuest zitiert. Um die Zerstörung der natürlichen Ressourcen zu stoppen, setzt der Ökonom auf technologischen Fortschritt. Zudem plädiert er für eine Bepreisung von Umweltgütern und fordert mehr Investitionen in Naturkapital sowie den Umbau der Landwirtschaft, den Ausbau der Recyclingwirtschaft und einen stärkeren Schutz von Naturflächen. 

Dass Clemens Fuest mit seiner Mit-dem-Verzicht-wird-das-nichts-Einschätzung recht haben könnte, zeigt eine Twitter-Meldung von Flightradar24: Der Tracking-Service registrierte am 6. Juli die höchste jemals gemessene Zahl an Flugbewegungen, genauer: Es waren weltweit 134.386 kommerzielle Flieger unterwegs (ohne Privatjets und Frachtflüge). Flugscham? Nix da! Hoffen wir mal, dass ganz, ganz schnell eine massentaugliche Technologie für klimafreundliches Fliegen erfunden wird. 

Eine gute Woche noch, und behalten Sie die Zukunft im Blick!

(vh, Jahrgang 1968) schreibt seit 1995 über Marketing. Was das Wunderbare an ihrem Beruf ist? „Freie Journalistin mit Fokus auf Marketing zu sein bedeutet: Es wird niemals langweilig. Es macht enorm viel Spaß. Und ich lerne zig kluge Menschen kennen.“