Bei der Europawahl gab es am Sonntag – leider – wenig Überraschungen. Aus deutscher Sicht wurden die Ampelparteien abgestraft, AfD und BSW legten am stärksten zu. Was die Ergebnisse aus Arbeitgebersicht bedeuten, wird sich in den nächsten Monaten zeigen müssen.
Die gute Nachricht für alle, die Vielfalt und Toleranz in diesem Lande und in den Unternehmen zu schätzen wissen, ist dabei: 15,9 Prozent der Stimmen für die AfD heißt auch, dass 84,1 Prozent der Deutschen die in Teilen rechtsextremistische Partei nicht gewählt haben. Ein Fakt, auf den man meiner Meinung nach sehr gerne, sehr viel öfter hinweisen sollte. Nicht im Sinne eines „Weiter so”. Aber im Sinne eines: die Mehrheit denkt definitiv anders. Und das ist vielleicht dann doch ein kleiner Hinweis an alle Arbeitgebenden, die vielleicht noch auf der Suche nach einem Kompass für ihre Kommunikation sind.
Springers gigantische Rückrufaktion
Handfeste Nachrichten in Sachen „Work & Culture“ gibt es derweil aktuell vom Axel-Springer-Konzern. Ende vergangener Woche wurde via „Medien Insider” bekannt, dass nun auch Springer-Chef Matthias Döpfner düstere Zeiten für Homeoffice-Enthusiasten plant. Sein Ziel: Alle Mitarbeitenden sollen wieder zurück ins Büro kommen. Per E-Mail soll Döpfner seine Führungskräfte aufgefordert haben, bis Juni entsprechende Konzepte zu erarbeiten. Als Gründe für Springers gigantische Rückrufaktion nennt der Boss, dass „physische Nähe und persönliche Interaktionen“ für diverse Faktoren eine Rolle spielten, von denen der künftige Erfolg des Konzerns abhänge.
Ob Döpfner eine neue Studie von Gartner kennt, die die Kolleg*innen von „Business Punk” gerade unter der Headline „Fluchtgefahr bei Bürozwang“ zitieren, ist mir leider nicht bekannt. Laut Studie ist „die Absicht, bei strikten RTO-Anordnungen (Return to Office) weiterhin in demselben Unternehmen zu bleiben, bei Top-Performern um 16 Prozent niedriger als ohne solche Vorgaben“. Mit anderen Worten: Bei RTO sehen Führungskräfte Rot und suchen vermehrt das Weite. Laut Gartner liege das vor allem daran, dass „sehr leistungsstarke Mitarbeitende solche Anordnungen als Signal wahrnehmen, dass das Unternehmen ihnen nicht genug Vertrauen entgegenbringt, um selbst darüber zu entscheiden, wie sie am besten arbeiten“.
So gesehen bin ich mir ehrlicherweise nicht sicher, ob Döpfners Idee, seine Führungskräfte mit RTO-Konzepten zu beauftragen, in diesem Fall besonders klug war.
Kitas für alle
Derweil haben sich Teile der Springer-Redaktion einem anderen drängenden Arbeitsthema gewidmet. Mitte vergangener Woche veröffentlichte „Bild” ein Interview mit führenden Managerinnen und Managern zum „Kita Chaos“ in Deutschland. Der Wirtschaft gehe ein Potenzial von Arbeitskraft in Höhe von 22,7 Milliarden Euro verloren, zitiert das Blatt eine Stepstone-Studie, weil „Menschen aufgrund mangelnden Betreuungsangebots gezwungen sind, in Teilzeit zu arbeiten“. Marie-Christine Ostermann, Präsidentin „Die Familienunternehmer“, ergänzt dazu im Interview: „Bei 42 Prozent der befragten Unternehmer haben Mitarbeiter bereits gekündigt oder ihre Arbeitszeit reduziert, weil die Betreuung des Nachwuchses überhaupt nicht gesichert werden konnte.“
Eines der immer zahlreicher werdenden Unternehmen in Deutschland, die die Sache deshalb selbst in die Hand nehmen, ist Vodafone. Schon vor 17 Jahren startete der Telekommunikationskonzern mit heute rund 15.000 Mitarbeitenden die erste eigene Seesternchen-Kita in Düsseldorf. Seither haben fast 600 Kinder diese Kita besucht. Felicitas von Kyaw, Personalchefin Vodafone Deutschland, sagt in „Bild”: „So etwas stemmt man nicht mal eben so nebenbei. Für Arbeitgeber ist das ein echter Kraftakt und gerade für kleinere Unternehmen oftmals kaum machbar.“
Das ist sicher richtig – und bedeutet in diesem Punkt einen klaren Wettbewerbsvorteil großer Konzerne gegenüber dem Mittelstand. Dennoch bin ich überzeugt, dass angesichts der Zahlen über den Fachkräftemangel und zu Teilzeit gezwungenen Eltern jede Investition in firmeneigene Kitas eine gute Investition ist – ganz gleich wie groß oder klein die Unternehmen sind. Über den Staat lamentieren ist das eine, die Sache als Arbeitgebender pragmatisch selbst angehen, ist das andere.
VW: Bye Bye (almost all) Boomer
Den Volkswagen-Konzern plagen andere Sorgen. In den nächsten zwei Jahren sollen die Personalkosten in der Verwaltung um 20 Prozent gesenkt werden. Auf einer Betriebsversammlung wurden jetzt weitere Einzelheiten dazu bekannt: Abfindungen und Altersteilzeit sollen massiv forciert werden. Allein aus dem Jahrgang 1967, so rechnet das „Handelsblatt” vor, sollen rund 3000 Boomer in den nächsten Jahren in Altersteilzeit wechseln beziehungsweise den Konzern frühzeitig verlassen – und Platz machen für andere, im Zweifel jüngere Leute mit brauchbareren Skills. Deshalb darf oder muss (je nach Sichtweise) nicht jeder Boomer gehen. Erstmals hat VW ein „Prinzip der doppelten Freiwilligkeit“ eingeführt. „Auch das Unternehmen muss dem Ausscheiden zustimmen“, schreibt die Zeitung. So wolle der Konzern sicherstellen, dass für die Transformation wichtige Fachkräfte auch jenseits der 50 im Konzern bleiben.
Boomer sind digitale Champions
Die VW-Nachricht hat mich an einen Artikel des Kollegen Matthias Kreienbrink von t3n erinnert. Ende April hat er ein Interview mit dem Soziologen Heinz Bude über dessen kürzlich erschienenes Buch „Abschied von den Boomern“ geführt. Bude sagt darin: „Die Champions der digitalen Industrie sind Boomer.“ Von Bills Gates bis zu Steve Jobs würde man niemandem sagen, dass sie gestrig sind und sich mit neuen Technologien nicht auskennen. „Die Boomer haben die digitale Welt, wie wir sie heute kennen, ja überhaupt erst ins Leben gerufen“, so Bude.
Das ist doch zum Start in eine dank Europawahl eher bittere Woche zumindest mal ein netter Gedanke zur Versöhnung der Generationen und gegen den wachsenden Ageism.
In diesem Sinne: Eine vielfältige und versöhnliche Woche und bleiben Sie gut drauf!