„Das Wir zählt“, heißt es in einem Social-Media-Spot, in dem sich die Drogerieketten dm, Rossmann und Müller gemeinsam bei ihren mehr als 100.000 Mitarbeitern bedanken. Ansonsten in hartem Wettbewerb stehende Unternehmen reichen sich in der Krise virtuell die Hand.
Der Chef von Deutschlands größter Drogeriemarktkette, Christoph Werner, hat vor wenigen Tagen im absatzwirtschaft-Interview angekündigt, dass dm weitergehende Kooperationen mit anderen Händlern etwa zum Austausch von Mitarbeitern prüfe: „Die Mitarbeiter vieler Händler in Deutschland haben im Moment nichts zu tun, weil ihre Läden geschlossen sind. Da liegt es meiner Meinung nach nahe gemeinsam mit anderen Händlern zu überlegen, ob wir einem Teil ihrer Mitarbeiter die Möglichkeit geben, vorübergehend in einen dm-Markt zu wechseln.“
Die Grundlage für weitreichende Kooperationen selbst von direkten Konkurrenten in bestimmten Märkten ist durch die Corona-Krise gegeben. Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts und damit oberster Hüter des Wettbewerbs in der Bundesrepublik, zeigte sich dieser Tage offen für Lockerungen der Regeln: „Das Kartellrecht erlaubt weitgehende Kooperationen zwischen Unternehmen, wenn es dafür – wie in der aktuellen Situation – gute Gründe gibt.“ Auch wenn die Behörde keine Auskunft über die Anzahl und den Inhalt der diesbezüglichen Anfragen gibt, es dürften nicht wenige sein. Erste Kooperationen sind bereits gestartet. Wir stellen fünf positive Beispiele vor.
Post liefert Lebensmittel aus dem Supermarkt
In Landkreis Heinsberg, dem deutschen „Epizentrum“ der Coronavirus-Epidemie, beliefert die Deutsche Post DHL seit wenigen Tagen Haushalte mit Lebensmitteln. Für den Service, der sich speziell an Ältere und andere Risikogruppen richtet, kooperiert die Post mit der Supermarktkette Rewe. Per Postwurfsendung werden im Rahmen des Politprojekts derzeit 37.000 Haushalte im Bereich der Ortschaften Heinsberg und Gangelt in Nordrhein-Westfalen über das Angebot informiert.
Die Bestellung kann durch Aufhängen an der Haustür beim Postboten aufgegeben oder in einen Briefkasten der Post geworfen werden, die Abrechnung erfolgt per Lastschrift, für die Lieferung entstehen keine Zusatzkosten. „Wenn das Pilotprojekt erfolgreich ist, werden wir diesen Service gerne in weiteren Gebieten und mit weiteren Partnern ausweiten“, sagt Tobias Meyer, Konzernvorstandsmitglied für Post & Paket Deutschland.
Burgerbrater füllen Regale beim Discounter
Für ein großes mediales Echo sorgte vor rund zwei Wochen die Ankündigung eines Personalaustauschs von McDonald’s und Aldi. Die zwischen den ungleichen Partnern geschlossene Vereinbarung sieht vor, dass derzeit unbeschäftigte Mitarbeiter der Fastfood-Kette befristet zum Lebensmitteldiscounter wechseln, der auf zusätzliches Personal in Filialen und Logistik angewiesen ist.
Die Mitarbeiter erhalten von Aldi befristete Verträge, zu den jeweils üblichen Aldi-Konditionen. Gleichzeitig werden die bestehenden McDonald’s-Verträge für dieselbe Zeit auf „ruhend“ gestellt, mit dem Zusatz, dass der Mitarbeiter in dieser Zeit einer anderen Tätigkeit nachgehen kann, heißt es dazu bei McDonald’s: „So haben die Mitarbeiter – wenn sie das wollen – nach der Krise auch die Möglichkeit wieder zu McDonald’s zurückzukehren.“ Aldi Nord und Aldi Süd hätten der Schnellrestaurantkette vor ein paar Tagen zusammengenommen einen ersten Bedarf von knapp über 3000 Arbeitskräften gemeldet. Die Franchise-Nehmer von McDonald’s stünden dazu direkt mit den Regionalleitern von Aldi im Austausch, um die Vermittlungen in den einzelnen Fällen kurzfristig zu ermöglichen.
Der Lebensmitteldiscounter teilte auf absatzwirtschaft-Anfrage mit, man habe den kurzfristig entstandenen enormen Personalbedarf auch dank der schnellen, unbürokratischen Unterstützung von McDonald‘s decken können. „Insgesamt haben wir rund 2200 Teilzeitkräfte eingestellt“, sagt ein Sprecher von Aldi-Süd. Zur konkreten Zahl der übernommenen McDonald’s-Beschäftigten äußerten sich die Handelskonzerne nicht. Nur so viel: Die Job-Offensive habe sich ausgezahlt und man sei zuversichtlich, den Personalbedarf an Aushilfskräften damit kurzfristig decken zu können. Weitere Personalkooperationen seien vorerst nicht geplant, heißt es bei Aldi-Nord.
Ärzte und Pfleger fahren umsonst
BerlKönig ist im „Sondereinsatz“: Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und der Ridesharing-Anbieter ViaVan stellen ihr Angebot „BerlKönig“ vom 25. März bis zum 19. April in den Dienst des Berliner Gesundheitswesens. Während der reguläre Betrieb vorübergehend ausgesetzt wird, stehen die Fahrzeuge, die nach dem Prinzip des Anruf-Sammeltaxis gerufen werden, kostenlos und exklusiv für ärztliches Personal, Pflegepersonal, medizinische Fachangestellte und Rettungskräfte zur Verfügung. „In der Zeit von 21 bis 5.30 Uhr sind die BerlKönig-Fahrzeuge im Einsatz, um dem Personal vor und nach den Schichten zumindest eine kleine Erleichterung im Krisen-Alltag zu bieten“, heißt es in einer Mitteilung der BVG.
Auch Konkurrent Sixt ermöglicht Mitarbeitern des Gesundheitswesens in den Metropolen Berlin, Hamburg und München kostenlose Fahrten und bietet an den übrigen europäischen Standorten Sonderrabatte für medizinisches Personal an. Clevershuttle verteilt 50-Euro-Gutscheine an Beschäftige von Gesundheitswesen, Polizei und Feuerwehr, der Taxi- und Mietwagenservice Free-Now (ehemals MyTaxi) will gemeinnützige Organisationen wie Tafeln bei Lebensmittellieferungen unterstützen.
Apotheke und Destillerie kooperieren
Stellvertretend für viele kurzfristig auf die Beine gestellten Kooperationen zur Herstellung von Desinfektionsmitteln steht die pragmatische Zusammenarbeit zwischen einer Apotheke, einer Brauerei und einem Spediteur in Köln: Wie der „Kölner Express“ berichtete, saß die Apothekerin Ewa Gorissen buchstäblich wochenlang auf dem Trockenen: Weil sie keinen reinen Alkohol mehr auf dem freien Markt beziehen konnte, war es ihr nicht möglich Desinfektionsmittel für ihre Kunden herzustellen.
Das gelang erst mit Unterstützung der Destillerie „Pittermanns“ in Ehrenfeld, der Spediteur lieferte den begehrten Rohstoff schließlich auch noch kostenfrei. „Meine Apotheke hat dieser Tage erfahren, wie viel Solidarität und Zusammenhalt in solchen Zeiten bringen kann“, erklärt die Inhaberin der „Pro Vita“-Apotheke dem Blatt. Auch große Spirituosenhersteller wie Jägermeister oder Berentzen liefern mittlerweile Alkohol für Desinfektionsmittel oder wollen es selbst herstellen.
Händler helfen sich gegenseitig
Eine Initiative innerhalb einer stark von Corona betroffenen Branche ist „Händler helfen Händlern“. Hervorgegangen aus einer kleinen Gruppe von Händlern um den CEO von Rose Bikes, Marcus Diekmann, zählt die Initiative bereits mehr als 1700 Mitstreiter vom Kleinunternehmer über große Handelsketten bis zu Handels- und Wirtschaftsverbände.
Neben dem gegenseitigen Austausch etwa über Liquiditätsprogramme oder Steuererleichterungen und der Lobbyarbeit will die Initiative auch auf operativer Ebene ganz praktisch helfen: Stationären Händlern soll ein IT-Netzwerk zur Verfügung gestellt werden, auf dem sie sich untereinander vernetzen und Kooperationen starten können. Auf dieser Plattform sollen sie ihre Filialbestände hochladen und zum Beispiel durch Taxen, Lieferdienste, Getränkelieferanten und andere regionale Logistikdienstleister versenden können. Mit-Initiator Diekmann hat den Impuls, mit dem Netzwerk einen Gegenpol zur „Amazonisierung“ des Einzelhandels zu schaffen.