Viele „Digital Natives“ kaufen primär offline ein

Stationäre Händler sollten vor der Online-Konkurrenz keineswegs resignieren. Für die meisten Deutschen ist das stationäre Geschäft immer noch die beliebteste Einkaufsmöglichkeit, zeigt die Studie „Dem Kunden auf der Spur“ von Roland Berger Strategy Consultants und ECE Projektmanagement. Weder der Preiskampf im Internet noch die hohe Internetaffinität der nachwachsenden Generation von „Digital Natives“ werde daran etwas ändern.

Der Onlinehandel nimmt signifikant an Bedeutung zu: Obwohl in Deutschland nur sieben Prozent aller Transaktionen online stattfinden, werden hier mittlerweile rund 16 Prozent der Umsätze erwirtschaftet – Tendenz steigend. In einer umfassenden Analyse ermittelten die Strategieberater von Roland Berger und ECE Projektmanagement sieben Käufersegmente, die sich in ihrem Einkaufsverhalten klar unterscheiden. Fazit: Der deutsche stationäre Handel kann Kundenbedürfnisse befriedigen, die der Onlinehandel noch nicht oder gar nie wird befriedigen können. Allerdings müssen Unternehmen die Wünsche und Einkaufsbedürfnisse ihrer Kunden besser verstehen, um ihnen passende Angebote zu unterbreiten und die Möglichkeiten der digitalen Welt für sich zu entdecken.

Dementsprechend sagt Prof. Björn Bloching, Partner von Roland Berger Strategy Consultants: „Der Kampf zwischen Online- und stationärem Handel ist noch lange nicht entschieden. Wenn der traditionelle Handel seine Stärken erkennt und sie um passende Online-Angebote erweitert, wird er die Verbraucher langfristig auf seiner Seite haben.“ Eine gezielte Multichannel-Strategie, die On- und Offline-Angebote kombiniert, könne nicht nur bessere Angebote für die Konsumenten hervorbringen, sondern dem Handel auch neue Zukunftsperspektiven eröffnen – aber nur, wenn er verstehe, welche Kundentypen er wie bedienen müsse.

Verbraucherverhalten – ein facettenreiches Bild

Die Studie analysiert das Konsumverhalten sowohl in der digitalen Welt als auch im traditionellen Handel. Dabei wurden deutschlandweit rund 42.000 Konsumenten zu ihrem Einkaufsverhalten befragt. Außerdem führten knapp 2.000 Probanden persönliche Einkaufstagebücher: Ausgaben, Zeitpunkt, Produktgruppe und Vertriebskanal wurden darin festgehalten. Daraus ergaben sich sieben verschiedene Kundensegmente mit unterschiedlichen Kaufgewohnheiten, Bedürfnissen und Vorlieben.

Für Alexander Otto, CEO der ECE, ist die Offline-Affinität vieler junger „Digital Natives“ die größte Überraschung: „Das zweitgrößte Segment, das wir betrachtet haben, sind junge Menschen mit einer hohen Affinität zum Internet, die aber nur in den seltensten Fällen online einkaufen. Diese Generation ist also mitnichten für den stationären Handel verloren. Man muss ihr nur genau das Einkaufserlebnis bieten, das sie mag.“ Insgesamt variieren die identifizierten Käuferprofile stark: von jungen, internetaffinen Kunden, die aber doch vorwiegend stationär shoppen, über effizienzorientierte Multikanalkäufer oder ökonomisch etablierte Verbraucher, die hochqualitative Produkte suchen, bis hin zu den Service-orientierten Rentnern, die fast nur in traditionellen Geschäften einkaufen.

Stationärer Handel häufig im Vorteil

Dass die Zeiten des traditionellen Offline-Handels noch lange nicht vorbei sind, zeigt die umfangreiche Studie eindeutig: Zwei Drittel der Konsumenten sind Stammkunden im stationären Handel, das heißt, sie kaufen alle zwei Wochen und häufiger im Shopping Center oder der Innenstadt ein. Online gilt dies gerade mal für 13 Prozent. Zudem sind 55 Prozent der Käufe online geplant, während dies offline nur circa ein Drittel sind. „Diese Zahlen zeigen, wie wichtig der stationäre Handel nach wie vor für die Menschen ist – Online-Umsatzwachstum hin oder her“, betont Henrie W. Kötter, Geschäftsführer Centermanagement von ECE. Ein klares Phänomen, das sich auch in den Umsatzzahlen widerspiegelt: Erwirtschaftete der Internet-basierte Handel in Deutschland im Jahr 2012 rund 30 Milliarden Euro, so lag der Umsatz des traditionellen Handels bei knapp 389 Milliarden Euro.

„Sicherlich befindet sich der Onlinehandel gerade auf dem Vormarsch, doch der Abstand zwischen On- und Offline ist immer noch riesig. Und genau hier liegt das Potenzial des traditionellen Handels“, erläutert Roland Berger-Partner Lars Luck. „Es stimmt auch nicht, dass der stationäre Handel zum Schaufenster für Onlinehändler wird. Im Gegenteil: Einkäufe, die online vorbereitet, dann aber im Geschäft getätigt werden, generieren einen elfmal höheren Umsatz als im umgekehrten Fall.“ Viele Verbraucher kauften am liebsten im Geschäft ein – dort, wo sie die Möglichkeit hätten, die Waren anzufassen oder anzuprobieren und sofort mitzunehmen.

Kundenbindung durch persönliche Beratung

Hinzu komme der wichtige Wohlfühlfaktor, wie Bloching erkärt: „Kunden besuchen immer wieder gerne bestimmte Geschäfte, weil sie dort passende Angebote in einer angenehmen Atmosphäre mit einer freundlichen und persönlichen Beratung finden. Das trägt zu einer starken Kundenbindung bei.“ So erkläre sich, warum selbst High-Tech-Unternehmen, die ganz auf das Internet setzen, große, repräsentative Flagship-Stores in den wichtigsten Zentren eröffnen. Der Roland-Berger-Stratege warnt jedoch: „Anlass zur Sorge gibt die immer stärkere emotionale Bindungswirkung vieler Onlineshops. Hier muss sich der traditionelle Handel stärker bemühen, den Kunden weiterhin zu begeistern und zu halten.“

Wenn das gelingt – lautet eine weitere Erkenntnis der Studie – ist auch der Preis im stationären Handel nicht das wichtigste Kriterium. „Die Kunden, die heute offline kaufen, tun dies im vollen Bewusstsein, dass sie dabei nicht den günstigsten Preis zahlen. Die zunehmende Transparenz ist daher offenbar nicht die zentrale Bedrohung. Vielmehr gewinnt in einer Multichannel-Einkaufswelt der, der diejenigen Motive der Kunden kennt, die mehr zählen als der Preis“, sagt Kötter.

Showrooming als Chance betrachten

Der Umsatz, der nach einer Online-Information in die Kasse des stationären Handels gespült wird, ist elfmal höher als im umgekehrten Fall. Aber auch unabhängig davon gilt: „Marken brauchen ein Umfeld, in dem sie sich wertig und wirkungsvoll präsentieren können. Das ist für alle Marken wichtig – auch und vor allem, wenn sie im Internet erfolgreich sein wollen. Daher sehe ich für uns eine Menge Potenzial, denn wir haben Orte, an denen Menschen auf Marken treffen und die das richtige Ambiente bieten“, ist sich Kötter sicher. Mehr noch: Durch Showrooming und Online-Umsatzwachstum würden plötzlich Flächennachfrager auftreten, die früher gar nicht über eine Präsenz im stationären Handel nachgedacht hätten. Kötter erklärt weiter: „Gerade angesichts der schwindenden Bedeutung klassischer Werbekanäle wie TV oder Print und dem veränderten Informations- und Kaufverhalten erkennen diese die zunehmende Bedeutung hochfrequenter Standorte wie einem Shopping Center.“

Handelsunternehmen müssen das Potenzial der Internetnutzer aktiv angehen. Dafür kann ein Multichannel-Ansatz sinnvoll sein. Kötter warnt jedoch: „Ein blinder Multichannel-Ansatz bringt für viele ein hohes Maß an Risiko und Komplexität. Das Erfolgsrezept für Händler lautet ganz klar: Ein Händler muss auch in der Multikanalwelt seine Kunden kennen, damit er weiß, wo er die Schwerpunkte in der Multikanalstrategie setzen soll, und um die Kanäle am besten zu verzahnen.“ Das Potenzial des Internets zu nutzen, muss gar nicht immer gleich einen eigenen Onlineshop bedeuten. Es geht vor allem um die Zielgruppenansprache, die Warenpräsentation und die Kundenbindung im Netz. Schon die Information im Internet, ob ein Artikel im Ladengeschäft verfügbar ist, wäre für viele Kunden ein starker Besuchsimpuls.

Die Studie steht kostenfrei zum Download zur Verfügung:
www.rolandberger.com