Versteht ChatGPT meine Kund*innen besser als ich? 

Ist ChatGPT bald der neue Kund*innen-Versteher? absatzwirtschaft-Redakteur Andreas Marx setzt sich mit der Frage auseinander, ob der intelligente Tausendsassa auch menscheln kann.
Frage für einen Freund: Marketing Nachhaltigkeit
Wir beantworten Fragen, die sich Marketingverantwortliche unbedingt stellen sollten. (© Olaf Heß)

Zugegeben, meine aktive Zeit in einer Agentur liegt schon etwas zurück. Doch die Erinnerung an die Zusammenarbeit mit Kund*innen ist noch nicht verblasst (keine Angst, ich erzähle jetzt nicht vom Krieg…) Zwischen 2017 und 2020, als ich in einer großen Content-Marketing-Agentur arbeitete, war KI noch ein Zukunftsversprechen. Wir setzten auf Kreativität, Erfahrung und das, was wir gerne als „Bauchgefühl“ bezeichnen. 

Klar, Daten waren damals schon der „State of the Art“, sowohl bei der Entwicklung einer heißen Strategie wie auch bei der Kreation. Für uns Editors ging es darum, die richtige Story für die richtigen Kunden zu finden. Das bedeutete, einzutauchen in die Marken-DNA, den Markt zu durchleuchten und die Konsument*innen zu verstehen – auch mithilfe von Daten.  

Dieses Bauchgefühl scheint in Gefahr zu schweben. Denn ChatGPT ist mittlerweile in der Lage, aus einem Wust an Daten Texte zu schreiben und sogar komplexe Kundenanfragen zu verstehen. Da drängt sich die Frage auf: Braucht man da überhaupt noch den Menschen? 

Bevor wir uns alle nun nach alternativen Karrierepfaden umsehen, sollten wir uns bewusst machen, was Verstehen wirklich bedeutet. ChatGPT kann Daten analysieren und Muster erkennen, aber Verstehen? Das geht tiefer – gerade bei der Arbeit mit Kunden. Da geht um das subtile Spiel aus Kultur, Kontext und dem, was unausgesprochen zwischen den Zeilen liegt. Es geht um das Gespür für den richtigen Moment, um die emotionale Intelligenz, die man nicht einfach in einen Algorithmus packen kann. 

Menschen müssen Emotionen verstehen  

In der Agentur habe ich gelernt, dass es oft nicht die Fakten sind, die den Unterschied machen, sondern die fast unsichtbaren Hinweise. Die Art, wie ein Kunde eine E-Mail formuliert oder welches Bild er in seiner letzten Präsentation besonders betont hat – all das gibt uns ein tieferes Verständnis davon, wer dieser Kunde ist und was er wirklich braucht. Da kann eine KI noch so viele Daten analysieren – sie wird nie in der Lage sein, diesen zwischenmenschlichen Faktor vollständig zu erfassen. 

Natürlich hat ChatGPT seine Vorteile: Es kann uns helfen, schneller zu arbeiten, effizienter zu analysieren und soga Insights zu generieren, die wir vielleicht übersehen hätten. Aber es bleibt ein Werkzeug – ein nützliches, aber eben doch nur ein Werkzeug. Es liegt an uns, wie wir es nutzen. Und wir sollten uns darauf konzentrieren, das zu tun, was die KI nicht kann: kreativ denken, Emotionen verstehen und echte Beziehungen aufbauen – empathisch sein. 

Am Ende des Tages entscheidet der Mensch. Wir sind es, die den Kontext verstehen, die Geschichte erzählen und Kund*innen wirklich kennen. Eine KI kann uns dabei unterstützen, aber sie kann uns nicht ersetzen. Sie kann uns Daten liefern, aber die Interpretation und die kreative Umsetzung – das bleibt unser Job. 

(amx, Jahrgang 1989) ist seit Juli 2022 Redakteur bei der absatzwirtschaft. Er ist weder Native noch Immigrant, doch auf jeden Fall Digital. Der Wahlberliner mit einem Faible für Nischenthemen verfügt über ein breites Interessenspektrum, was sich bei ihm auch beruflich niederschlägt: So hat er bereits beim Playboy, in der Agentur C3 sowie beim Branchendienst Meedia gearbeitet.