Den markenstrategischen Prozess begleitet seit 2010 die Düsseldorfer Branding-Agentur Metadesign. Nach einer Analyse der Marke definierte die Agentur gemeinsam mit der Arag die Stärken und Alleinstellungsmerkmale des internationalen Konzerns. Als neue Positionierung schälte sich das übergeordnete Leitmotiv „Unabhängigkeit“ heraus. Ein Markenfilm veranschaulicht die Überzeugung die Positionierung des Unternehmens und vermittelt das Selbstverständnis der Marke für die Mitarbeiter. Mit einem Investititonsvolumen von sechs Millionen Euro soll bis Ende des Jahres soll die Kampagne die Kunden von den neuen Werten überzeugen.
Herr Heiermann, ist es augenblicklich eine gute Zeit für eine Markenkampagne eines Versicherungsunternehmens?
KLAUS HEIERMANN: Wir brauchen als Familienunternehmen mit einer starken Traditionsmarke unsere unternehmerische Handlungsfreiheit in dieser Frage. Ich halte es für wenig sinnvoll, abzuwarten, bis sich vielleicht irgendwo das Umfeld wieder normalisiert. Wir haben unsere Gründe so vorzugehen und nutzen auch die Chance zur Diskussion.
Welche Ziele verfolgen Sie mit der Kampagne?
HEIERMANN: Hinter der Kampagne steht die gründliche Überarbeitung unserer Markenstrategie. Die Arag ist eine reine Produktmarke, die seit mehr als 75 Jahren mit einem bestimmten Versicherungsprodukt, dem Rechtsschutz, verbunden ist. Das entspricht aber nicht mehr unserer Unternehmenswirklichkeit im Arag-Konzern. Die Arag hat sich zu einem vielseitigen Qualitätsversicherer entwickelt, der sich zum Beispiel in Deutschland einen Namen als exzellenter Krankenversicherer erarbeitet hat – und das müssen wir stärker zeigen.
Mit der Kampagne wollen Sie sich auch stärker als Mehrspartenversicherer positionieren? Das bringt der Spot aber nicht unbedingt zum Ausdruck!
HEIERMANN: Doch, das tut er, aber wir fallen dem Zuschauer nicht direkt mit Produktwerbung ins Haus. Wir zeigen, dass wir für verschiedene Lebenssituation das richtige Angebot für den Verbraucher haben. Egal, welche Entscheidungen er für sich trifft, wir können ihn dabei begleiten. Mit dem Motiv der Wendejacken wird dies pfiffig angezeigt. Das ist eine deutlich andere Ansage als bei den bisherigen überwiegenden Rechtsschutzthemen, die wir in der Tierkampagne transportiert haben.
Die Produkte und Services sind weitestgehend austauschbar im Versicherungsmarkt und Innovationen haben nur eine kurze „Halbwertzeit“. Versprechen Sie sich durch die Emotionalisierung der Marke eine stärkere Differenzierung vom Wettbewerb?
HEIERMANN: Diese emotionale Differenzierung gibt es bereits im Markt. Sie wird von den meisten Unternehmen – wir haben knapp 600 Versicherer in Deutschland – nur nicht aktiv und entschlossen genug durch eine Markenstrategie gemanagt. Wir sehen in der Branche in erster Linie Produktmarketing. Das muss den Unternehmensmarken aber nicht immer nutzen. Oftmals schadet aggressives Produktmarketing sogar den Dachmarken. Ich bin überzeugt, dass gerade Versicherungsmarken sehr starke und attraktive Marken sein können, weil sie ein großes Problemlösungspotenzial vermitteln können. Aber hier müssen wir alle – da nehme ich unser Haus auch nicht aus – auch noch Lernschritte vollziehen.
Wie groß ist der Markenfit zwischen Unabhängigkeit und Versicherung?
HEIERMANN: Der liegt derzeit bei etwa 56 Prozent. Vor allem im Grundthema der Risikoabsicherung sehen die Verbraucher einen wichtigen emotionalen Anker, wenn sie an ihre eigene Unabhängigkeit denken. Hier schlummert offenbar ein größeres Potenzial, das wir für uns nutzen wollen.
Wie viel investieren Sie in die Kampagne?
HEIERMANN: Bis Ende des Jahres zunächst sechs Millionen Euro. Dann messen wir durch und treffen unsere Entscheidungen für 2012.
Sie werben im Fernsehen und relaunchen Ihren Internet-Auftritt. Spielt Print keine Rolle?
HEIERMANN: Nein, im aktuellen Vorgehen nicht. Wir haben kein großes Budget und konzentrieren uns auf die Bereiche, die im Rahmen unserer Möglichkeiten den höchsten Druck erzeugen können. Das sind TV und Online im Zusammenspiel.
Welche Absatz- und Umsatzziele verbinden Sie mit der Kampagne?
HEIERMANN: Ich bin kein Anhänger von klassischen Stimulanz-Response-Modellen. Sie funktionieren meist nicht. Wir haben eine Image-Kampagne aufgesetzt, die zunächst die wichtigsten Markenwerte wie die Bekanntheit im Markt verbessern muss. Hier ist eine ungestützte Bekanntheit von elf bis zwölf Prozent zunächst ein realistisches Etappenziel.
Bedeutet eine höhere Bekanntheit auch mehr Umsatz?
HEIERMANN: Die Mechanik vor allem im Privatkundengeschäft ist komplizierter. Bekanntheit ohne gute Reputation bringt keinen Umsatz. Eine höhere Bekanntheit ist die erste Wirkungsstufe. Darauf folgt die unternehmerische Reputation und dann erst kommen wir in den Bereich der Kaufneigung. Wenn wir nur auf die reine Bekanntheit schauen, bilden wir die Komplexität der Kaufentscheidung beim Verbraucher nicht ab.
Und wie er erlebt der Kunde die Marke, wenn er mit der Arag in Kontakt kommt?
HEIERMANN: Wir haben in unserer neuen Markenstrategie drei Differenzierungsmerkmale und 17 emotionale Treiber identifiziert, die zu uns passen. Diese Treiber werden wir mit den Service- und Produktbereichen sowie dem Vertrieb in funktionale Zusatznutzen übersetzen. An diesen Punkten kommt der Kunde mit dem Thema in Berührung. Dieser Entwicklungsprozess wird uns in der zweiten Jahreshälfte maßgeblich beschäftigen.
Welches sind die Treiber für den Kauf eines Versicherungsprodukts?
HEIERMANN: Wie in vielen anderen Branchen, zeigt sich auch in der Assekuranz ganz klar: Der Verbraucher kann die Fülle der angebotenen Leistungen nicht mehr unterscheiden und einzelnen Anbietern zuordnen. Die Marken bekommen hier wieder eine wachsende Bedeutung als emotionale Orientierungspunkte für den Verbraucher – das ist ganz klassische Markenstrategie. Wir gehen davon aus, dass die Abschlussentscheidung bei einer Versicherung zu 70 Prozent eine rein emotionale Entscheidung ist.
Wie wird die Markenphilosophie im Unternehmen bei den Mitarbeitern verankert?
HEIERMANN: Wir haben einen besonderen Weg gewählt und die Markenstrategie direkt aus unseren Unternehmens- und Führungsgrundsätzen, den Arag-Essentials, abgeleitet. Diese konzernweite Integrationsinitiative haben wir Anfang 2006 gestartet und dazu mehr als 900 einzelne Teammeetings national und international durchgeführt. Dabei haben wir die neue Vielseitigkeit der Marke bereits angelegt und als Thema der internen Markenbildung mitgeführt. Für ein Unternehmen, das sich bis dahin als spezialisierter Nischenanbieter betrachtet hat, war das ein wichtiger Schritt. Erst als wir uns sicher waren, dass diese interne Markenbildung durch unsere Unternehmensgrundsätze weit genug fortgeschritten war, haben wir nun die Markenstrategie auch ganz offiziell geändert. Wir haben also etwa fünf Jahre Zeit investiert, um dieses Thema gründlich vorzubereiten. Ich bin stolz darauf, dass wir diese Hartnäckigkeit aufgebracht haben. Das ist ein deutlich anderer Weg, als zunächst eine neue Markenstrategie zu entwerfen und zu hoffen, dass das Unternehmen der Sache auch folgt.
Sie wollen nicht verkaufen, sondern beraten. Findet dieser Ansatz auch seinen Niederschlag in veränderten Incentivierungssystemen für den Vertrieb, in denen stärker die Beratung als der Abschluss gefördert wird?
HEIERMANN: Beratung und Verkauf sind kein Widerspruch. Wenn sie sich nicht als Billiganbieter aufstellen, sondern deutlich qualitätsorientierter arbeiten, dann erleichtert die Beratung immer den Abschluss. Auch hier konnten wir an den Prozess der internen Markenbildung anknüpfen. Die Arag-Essentials hatten bereits im Vorfeld zu neuen Überlegungen im Vertrieb geführt. Dort wurde bereits Anfang 2010 ein neues Beratungskonzept eingeführt, dass sich ganz auf die Orientierungswünsche des Kunden einstellt. Wir verfügen über eine eigene Ausschließlichkeitsorganisation, die sich durch eine neue Vertriebsführung neu positioniert hat. Eine solche „Stammorga“ hat als beratender Vertrieb deutlich mehr Chancen im Markt. Die neue Markenstrategie ergänzt und unterstützt diese Veränderung im Vertrieb.