Verpaßte Chancen der Krise

Warum Unternehmen Krisen nicht unterschätzen sollten.

Fallbeispiel 1
Fallbeispiel 2
Wie lassen sich Krisen beschreiben?
Empirische Befunde

Fallbeispiel 1

Der Pentium-Prozessor

Spätsommer 1994: Thomas Nicely, Mathematik-Professor am Lynchburg-College in Virginia (USA), ist ratlos. Schon bei einfachen Divisionen treten bei seinem neuen Personal Computer mit Intel-Pentium-Prozessor ab der fünften Stelle hinter dem Komma Rundungsfehler auf. Grund genug für eine Beschwerde beim Chip-Produzenten Intel. Die Reaktion des Unternehmens ist eindeutig: Man sieht keinen Grund zum Handeln, denn der Rundungsfehler sei ein Insider-Problem und damit für den „normalen“ Computerbenutzer ohne Bedeutung. Auch weiterhin bewirbt Intel den Chip als den besten im Markt.

Doch der abgewiesene Mathematik-Professor läßt nicht locker: Ende Oktober 1994 macht er seinem Ärger im Internet Luft. Die Resonanz ist gewaltig: Über 10.000 E-Mails haben nur ein Thema – den Rechenfehler des Intel-Pentium-Prozessors. Fortan diskutieren mehr als 20 Newsgroups das Problem. Die Massenmedien rund um den Globus berichten in großer Aufmachung über den fehlerhaften Chip. Doch Intel zeigt sich weiter uneinsichtig: Andy Grove, Chef des Chip-Giganten, fordert die Kunden auf zu beweisen, daß sie derart hochmathematische Berechnungen durchführen und somit die richtige Ausführung „essentiell“ sei.

Daraufhin bahnt sich eine „Rebellion“ gegen Intel an: Der Computer-Riese IBM, einer der Hauptkunden von Intel, gibt Anfang Dezember 1994 bekannt, daß alle Personal Computer mit Intel-Pentium-Prozessor ausgetauscht und zukünftig keine weiteren Computer mit dem fehlerhaften Chip IBM-Produktionsstätten verlassen würden. Die New York Times verleiht Intel einen „Konsumenten-Täuschungspreis“ und auch die Reaktion der Börsen läßt nicht lange auf sich warten: Die Intel-Aktie fällt binnen weniger Stunden um mehrere Prozentpunkte. Der Handel mit Aktien des Chip-Produzenten wird daraufhin vorübergehend ausgesetzt. Nun endlich – wenige Tage vor Weihnachten 1994 – reagiert auch Intel: Zähneknirschend entschuldigen sich die drei Vorstände bei den Konsumenten und bieten an, alle Prozessoren ohne weitere Fragen und ohne jegliche Beweisführung auf Wunsch kostenlos auszutauschen.

Fallbeispiel 2

Spätsommer 1997: Wenige Wochen vor der Markteinführung der neuen A-Klasse von Mercedes-Benz heben zwei Fahrzeuge dieses Typs bei einer zügigen Kurvenfahrt auf einer Teststrecke im dänischen Tannishus mit je zwei Rädern vom Boden ab. Eilig reist ein Experten-Team des Automobilherstellers aus Stuttgart an und analysiert die Panne. Ernsthafte Konsequenzen werden jedoch nicht gezogen. Die Vorbereitungen zur Markteinführung laufen unvermindert weiter.

Wenige Wochen später: Drei Tage nach dem ersten Verkaufstag kippt ein Wagen der A-Klasse bei einem Test durch schwedische Motorjournalisten auf sein Dach – ein Ereignis, das fortan alle als (mißlungenen) „Elchtest“ bezeichnen. Doch auch jetzt will der schwäbische Automobilbauer von einer Krise nichts wissen. Anfragen von Journalisten kanzelt der Konzern mit den Worten ab: „Der Vorstand hält es nicht für notwendig, ein offizielles Statement abzugeben, bloß weil irgendwo ein Auto umgekippt ist.“ Mehr noch: Daimler-Benz weist die rufschädigenden Äußerungen des schwedischen Motorjournalisten und Elch-Testers Robert Collin entschieden zurück und erwägt sogar rechtliche Schritte.

Ende Oktober 1997 wendet sich das Blatt – wenn auch in die falsche Richtung: Auf einer unsäglich unglücklichen Pressekonferenz erklärt PKW-Vorstand Jürgen Hubbert, die A-Klasse sei „absolut sicher“. Schuld am Debakel seien vielmehr die Reifen der Marke „Goodyear“, die zukünftig nicht mehr für die A-Klasse freigegeben werden. Auf Betroffenheit, Nachdenklichkeit oder gar ein klares und uneingeschränktes Schuldeingeständnis des Autoherstellers warten die Journalisten auch in den folgenden Wochen vergeblich.

Als Mitte November 1997 die „Welt am Sonntag“ über einen geplanten Auslieferungsstopp der A-Klasse berichtet, dementiert der Konzern vehement. Was folgt ist bekannt: Bereits zwei Tage nach dem Dementi verkündet Daimler-Benz-Chef Jürgen Schrempp einen dreimonatigen Auslieferungsstopp der A-Klasse. Für gut 100 Millionen Mark wird der Fahrzeugtyp nachgebessert. Erst im Frühjahr 1998 ist die A-Klasse wieder in den Niederlassungen verfügbar.

Beide Fallbeispiele machen dreierlei deutlich:

Unternehmenskrisen kündigen sich manchmal schon weit vor ihrem „akuten“ Ausbruch durch „schwache Signale“ an.

Unternehmen entwickeln häufig eigentümliche Mechanismen, um selbst offenkundige Signale einer drohenden Krise nicht als solche zu erkennen.

Defekte in der internen und externen Unternehmenskommunikation können eine latente – also wahrgenommene – Krise schnell zu einer akuten werden lassen.

Welche kommunikativen Instrumente sollten zur Früherkennung von Unternehmenskrisen eingesetzt werden? Ist die frühzeitige Erkennung einer drohenden Krise durch „schwache Signale“ in jedem Fall möglich? Wie kann die Unternehmenskommunikation die anschließende Krisenvermeidung, Krisenbewältigung und Krisennachbereitung flankieren? Antworten auf diese Fragen möchte der vorliegende Beitrag geben. Dabei sollen die theoretischen Überlegungen zur Rolle von Frühwarnsystemen in der internen und externen Unternehmenskommunikation anhand von empirischen Befunden überprüft werden. Basis hierfür sind 96 Krisenfälle eines deutschen Unternehmens, die sich zwischen April 1954 und März 1994 ereignet haben. Alle Daten wurden erhoben durch eine breit angelegte Dokumentenanalyse und mehrstufige Expertenbefragung im betreffenden Unternehmen.

Die Betriebswirtschaftslehre beschäftigt sich schon seit ihren frühesten Anfängen mit dem Phänomen „Unternehmenskrise“. Dennoch fehlt es bis heute sowohl an einer geschlossenen, empirisch verifizierten Theorie als auch an einer einheitlichen Definition des betriebswirtschaftlichen Krisenbegriffes. Die vielfältigen Begriffsbestimmungen lassen jedoch gewisse Gemeinsamkeiten erkennen: So werden Unternehmenskrisen im allgemeinen verstanden als vom betroffenen Unternehmen ungeplante und ungewollte Prozesse mit zeitlich begrenzter Dauer. Sie sind in Grenzen beeinflußbar und in ihrem Ausgang ambivalent.

Wie lassen sich Krisen beschreiben?

Möchte man Krisen näher beschreiben und empirisch erfassen, so ist eine Operationalisierung – also Meßbarmachung – des abstrakten Begriffs „Unternehmenskrise“ nötig. Hierzu werden fünf Indikatoren – also meßbare Stellvertretergrößen für das nicht unmittelbar meßbare Phänomen „Unternehmenskrise“ – herangezogen:

Die Krisensituation kann beschrieben werden durch die Bedrohung bestimmter Ziele des Unternehmens, die begrenzte Entscheidungszeit und die limitierten Eingriffsmöglichkeiten der Entscheidungsträger. Für Frühwarnsysteme sind insbesondere die Entscheidungszeit und die Eingriffsmöglichkeiten von Interesse. Einerseits kann die Entscheidungszeit – also die Zeitspanne zwischen der Wahrnehmung erster Krisensignale und der endgültigen „Wendung zum Schlimmen“ – möglicherweise durch die Existenz von Frühwarnsystemen verlängert werden. Andererseits bewirkt der Krisenverlauf unter Umständen ein sofortiges Ausbrechen der akuten Krise. In diesem Fall sind den Entscheidungsträgern – trotz vorhandener Frühwarnsysteme – keine Eingriffsmöglichkeiten gegeben, denn die Krisenwahrnehmung und die „Wendung zum Schlimmen“ – also der offene Ausbruch der Krise – fallen unmittelbar zusammen.

Krisenursachen können sowohl innerhalb des Einflußbereiches eines Unternehmens liegen (endogene Ursachen) als auch aus dem Umfeld des Unternehmens stammen und sich damit einer direkten Beeinflussung durch das betroffene Unternehmen entziehen (exogene Ursachen). Die Befunde der Krisenursachenforschung deuten außerdem daraufhin, daß Krisen in der Regel nicht nur eine Ursache haben, sondern aus dem Zusammenwirken einer Vielzahl krisenverursachender Faktoren entstehen (Multikausalität). Darüber hinaus sind Krisenursachen häufig nicht einstufige Ereignisse, sondern mehrstufige Ursache-Wirkungs-Konstellationen. Die Wirkungen einer vorgelagerten Ebene werden damit zu Krisenursachen auf einer nachgelagerten Ebene (Mehrstufigkeit).

Der Krisenverlauf kann zum einen durch die drei Kernbestandteile „Anfang“, „Wendepunkt“ und „Ende“ näher beschrieben werden. Die Ermittlung dieser drei Knotenpunkte des Krisenprozesses erfolgt in der Regel nicht durch objektive Maßgrößen, sondern hängt vielmehr vom subjektiven Wahrnehmungsvermögen der Entscheidungsträger im betreffenden Unternehmen ab. Zum anderen kann die Prozeßdauer – also der Zeitraum zwischen dem Anfang und dem Ende des Krisenprozesses – zur Charakterisierung unterschiedlicher Krisenverläufe herangezogen werden. Als Extremformen sind schlagartig auftretende Krisenprozesse mit rasanter Beschleunigung und extrem kurzer Prozeßdauer ebenso denkbar wie Krisenprozesse mit allmählicher Beschleunigung und langer Prozeßdauer. Um den Einsatz von Frühwarnsystemen möglich zu machen, sollte der Krisenverlauf im Idealfall gekennzeichnet sein durch eine möglichst lange Zeitspanne zwischen den Kernbestandteilen „Anfang“ und „Wendepunkt“ bzw. durch einen Krisenprozeß mit allmählicher Beschleunigung und langer Prozeßdauer.

Zur weiteren Präzisierung des Krisenverlaufs wird üblicherweise eine Unterteilung des Krisenprozesses in einzelne Krisenphasen vorgenommen. Das Spektrum reicht dabei von einfachen Zwei-Phasen-Modellen bis hin zu komplexen Sechs-Phasen-Modellen. Im folgenden kommt ein Modell mit vier Krisenphasen zur Anwendung.

Die potentielle Krisenphase bildet den Ausgangspunkt des Krisenprozesses. Wegen der Abwesenheit von wahrnehmbaren Krisensignalen wird diese Phase auch als „Normalzustand“ oder „Nichtkrise“ bezeichnet.

Ist eine Wahrnehmung der sich entwickelnden Krise durch geeignete Maßnahmen – wie beispielsweise Frühwarnsysteme – möglich, so erreicht der Krisenprozeß die latente Krisenphase. In dieser Phase ist dem überwiegenden Teil der Unternehmensumwelt die drohende Krise allerdings noch verborgen. Auch unternehmensintern entwickeln Entscheidungsträger häufig eigenwillige Mechanismen, um – trotz relativ eindeutiger Signale – eine latent vorhandene Krise nicht als solche zu identifizieren.

Die akute Krisenphase beginnt in dem Zeitpunkt, in dem die Unternehmensumwelt die Krise wahrnimmt. Ursächlich hierfür kann einerseits sein, daß – trotz der Existenz von Frühwarnsystemen – die (unternehmensinterne) Krisenvermeidung mißlungen ist. Andererseits kann die Krise so überraschend eintreten, daß eine Voraussicht auf die bevorstehende Krise – auch durch Frühwarnsysteme – nicht gegeben war.

Hat das Unternehmen die akute Krise soweit überwunden, daß die Erreichung wichtiger Unternehmensziele wieder möglich ist, so tritt der Krisenprozeß in die Nach-Krisenphase ein. Durch eine kritische Analyse der zurückliegenden Krise können „Lehren“ für zukünftige Krisenfälle gezogen und Frühwarnsysteme optimiert werden.

Die Krisenwirkungen lassen sich anhand dreier Kriterien operationalisieren. Erstens sind – wegen der ambivalenten Entwicklungsmöglichkeiten einer Unternehmenskrise – sowohl destruktive als auch konstruktive Wirkungen denkbar. Zweitens bleiben die Wirkungen einer Unternehmenskrise häufig nicht – endogen – auf das betroffene Unternehmen beschränkt, sondern greifen auch – exogen – auf das Umfeld des Unternehmens über. Drittens manifestieren sich die Krisenwirkungen nicht nur im materiellen Bereich (z.B. hoher Sachschaden an Produktionsanlagen), sondern betreffen häufig auch den immateriellen Bereich (z.B. Vertrauensverlust bei den Mitarbeitern).

Empirische Befunde

Welches Bild von Unternehmenskrisen zeichnen die empirischen Befunde? Jeder dritte untersuchte Krisenfall hatte (mindestens) eine Krisenursache im sozioökonomischen Umfeld des Unternehmens – wurde also ausgelöst durch Medienberichterstattung über tatsächliches oder vermeindliches Fehlverhalten des Unternehmens (20,9 Prozent) oder durch die Aktionen von Bürgerinitiativen (10,1 Prozent). Störungen in Produktionsprozessen haben jeden fünften Krisenfall verursacht (19,4 Prozent), Defekte in Transportprozessen jeden siebten (14,7 Prozent). Vergleichsweise gering waren die Diskontinuitäten infolge von Gesetzen und Auflagen zum Nachteil des Unternehmens bzw. durch angedrohte oder realisierte Terroranschläge gegen das Unternehmen (jeweils 7,8 Prozent).

Für die Gestaltung von Frühwarnsystemen in der Unternehmenskommunikation implizieren diese Befunde, daß der Beobachtung von Medien und Bürgerinitiativen bei der Früherkennung von Unternehmenskrisen eine überragende Bedeutung zukommt. Noch deutlicher wird dieses, wenn die Entwicklung der Krisenursachen im Zeitablauf betrachtet wird. So zeigt sich, daß in den ersten zehn Jahren des Erhebungszeitraums (Mitte der 50er bis Mitte der 60er Jahre) nur jeder zehnte Krisenfall eine Ursache im Bereich „Medien“ (10,0 Prozent) und kein einziger Krisenfall eine Ursache im Bereich „Bürgerinitiativen“ hatte (0 Prozent). Im vierten Zehn-Jahres-Abschnitt (Mitte der 80er bis Mitte der 90er Jahre) wurde hingegen jeder vierte Krisenfall durch Medienberichterstattung (25,0 Prozent) und jeder sechste Krisenfall durch die Aktionen von Bürgerinitiativen ausgelöst (15,6 Prozent).

Hinsichtlich des Krisenverlaufs zeichnen die Befunde ein außerordentlich vielfältiges Bild. Zwar waren die Krisenfälle im Durchschnitt nach rund 12 Wochen beendet (2,7 Monate). Dennoch ist die Varianz der Krisendauer erheblich: Während die Bewältigung von Krisenfällen mit Ursachen im Bereich „Produkte und Dienstleistungen“ im Regelfall schon nach wenigen Wochen gelungen ist (0,5 Monate), konnten Krisen, die durch Kunden und Lieferanten ausgelöst wurden, erst nach über einem Jahr bewältigt werden (12,7 Monate). Auch Krisen durch Medienberichterstattung (3,6 Monate) und die Aktionen von Bürgerinitiativen (7,2 Monate) erfordern von den Krisenmanagern überdurchschnittlich „langen Atem“.

Für die Ausgestaltung von Frühwarnsystemen in der Unternehmenskommunikation bedeutet dieses, daß die personellen und finanziellen Ressourcen zur Beobachtung des sozioökonomischen Umfeldes von Unternehmen keinesfalls nach den ersten „schwachen Signalen“ abgezogen und in der akuten Krisenbewältigung eingesetzt werden sollten. Vielmehr erfordert die überdurchschnittlich lange Prozeßdauer dieser Krisenfälle eine kontinuierliche Beobachtung der Segmente – weit über die latente Krisenphase hinaus. Andernfalls besteht die Gefahr, daß veränderte Tendenzen in der Medienberichterstattung und variierte Argumentationsmuster der Bürgerinitiativen nicht rechtzeitig erkannt werden.

Die Befunde zu den Krisenphasen dämpfen einen allzu großen Optimismus beim Einsatz von Frühwarnsystemen. Lediglich jeder sechste Krisenfall konnte in der latenten Krisenphase erkannt werden (15,6 Prozent). Anders formuliert: In fast 85 Prozent aller untersuchten Krisenfälle war die Existenz von Frühwarnsystemen irrelevant. Auch der „Erfolg“ von Frühwarnsystemen läßt – zumindest auf den ersten Blick – zu wünschen übrig: Nur bei jedem zehnten Krisenfall konnte ein Übergang in die akute Krisenphase – und damit ein „offener Ausbruch“ der Unternehmenskrise – verhindert werden (9,4 Prozent). Deutlich positiver stimmen dagegen die Befunde zum Zusammenhang zwischen Krisenursachen und Krisenphasen.

So konnten 40 Prozent aller Krisenfälle, die durch Bürgerinitiativen initiiert wurden, in der latenten Krisenphase erkannt und noch vor dem Eintritt in die akute Krisenphase bewältigt werden. Bei drohenden Gesetzesänderungen und Auflagen zum Nachteil des Unternehmens waren die Lobbyisten sogar in drei von vier Krisenfällen erfolgreich (75,0 Prozent). Für den Einsatz von Frühwarnsystemen in der Unternehmenskommunikation implizieren diese Befunde zweierlei: Zum einen zielt der Einsatz von Frühwarnsystemen weniger auf die generelle Krisenvermeidung als vielmehr auf die frühzeitige Krisenerkennung – und damit auf die Gewinnung von Entscheidungszeit. Zum anderen ist der Einsatz von Frühwarnsystemen insbesondere im politischen Bereich und bei Bürgerinitiativen erfolgsversprechend.

Exakt die Hälfte aller untersuchten Krisenfälle war mit nennenswerten materiellen oder immateriellen Krisenwirkungen verbunden (50,0 Prozent). Bei jedem sechsten Krisenfall sind Schäden von mehr als einer Million Mark entstanden (17,7 Prozent). Bei jedem 14. Krisenfall wurden Menschen getötet (7,3 Prozent). Auch hier zeigen sich deutliche Zusammenhänge zwischen den Krisenursachen und den Krisenwirkungen. So hat die Hälfte aller Produktionsstörungen und die Hälfte aller Unwetter materielle Schäden in Millionen-Höhe verursacht (52,0 bzw. 50,0 Prozent).

Auch der finanzielle Schaden durch Boykottaufrufe und Werksbesetzungen infolge negativer Medienberichterstattung kann erheblich sein. Immerhin bewirkte jeder siebte durch Medienberichterstattung induzierte Krisenfall Schäden von deutlich mehr als einer Million Mark (14,8 Prozent). Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, daß Frühwarnsysteme in der Unternehmenskommunikation keineswegs Kostentreiber ohne meßbaren monetären Nutzen sind. Vielmehr kann durch die frühzeitige Erkennung (und möglicherweise Vermeidung) medieninduzierter Krisenfälle erheblicher finanzieller Schaden vom Unternehmen abgewendet werden.

Zur abschließenden Charakterisierung der Krisensituation lohnt ein erneuter Blick auf die Befunde zu den Krisenwirkungen und Krisenphasen. Die Bedrohung wichtiger Unternehmensziele kommt für den Bereich „Unternehmenskommunikation“ insbesondere im Vertrauensverlust bei den Anspruchsgruppen des Unternehmens zum Ausdruck. So lassen hohe materielle Krisenwirkungen die Aktionäre um ihre Dividende fürchten und stellen das Vertrauen in die Professionalität der Unternehmensführung auf eine harte Probe. Hohe immaterielle Schäden (z.B. der Verlust von Menschenleben) erschüttern nicht selten das Vertrauen von Anwohnern und Mitarbeitern in die Zuverlässigkeit der Werksanlagen.

Die Befunde zu den Krisenphasen machen allerdings deutlich, daß die Unternehmen dieser Bedrohung keineswegs unvorbereitet und passiv gegenüberstehen. Entscheidungszeit – im Sinne einer latenten Krisenphase – und damit Eingriffsmöglichkeiten für die Entscheidungsträger des Unternehmens waren immerhin bei jedem neunten Krisenfall infolge negativer Medienberichterstattung vorhanden (11,1 Prozent). Politiker und Bürgerinitiativen haben sogar rund 40 Prozent ihrer Aktionen vorher angekündigt (40,0 bzw. 38,5 Prozent).

Wenn Frühwarnsysteme in der Unternehmenskommunikation diese „schwachen Signale“ rechtzeitig wahrnehmen und an die Entscheidungsträger des Unternehmens weiterleiten, wird sich sicherlich nicht in jedem Fall der Übergang in die akute Krisenphase verhindern lassen. Dennoch können die destruktiven Krisenwirkungen durch eine frühzeitige Intervention des Unternehmens möglicherweise deutlich abgemildert werden.

Autor:
Dipl.-Kfm. Frank Roselieb von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel promoviert zur Zeit bei Prof. Dr. Dr. h.c. Jürgen Hauschildt. Außerdem ist er Initiator, Online-Redakteur und Webmaster von www.krisennavigator.de, einem deutschsprachigen Internet-Angebot für Krisenmanagement, Krisendiagnose, Krisenkommunikation, Risikomanagement und Katastrophenmanagement.